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1941
Am 14. März
feiert der Hochwürdigste Herr Apostolische Administrator von
Aachen, Weihbischof Dr. Hermann Joseph STRÄTER sein goldenes Priesterjubiläum.
Infolge des Krieges sind äußere Feiern unmöglich, um so
mehr gedenken die Gläubigen ihres hochverehrten und geliebten Oberhirten
in der Kirche bei Gebet und Opferfeier.
Sonntag, den 16. März ist aus diesem Anlaß Hochamt mit
Te Deum und sakramentalem Segen, nachmittags Andacht in den
Anliegen unseres Bistums und ihres Oberhirten.
In diesem Jahr findet die Feier der Erstkommunion nicht am Weißen
Sonntag (20. April) statt, sondern Ostersonntag, weil zu erwarten
ist, daß der 20. April (HITLERS Geburtstag) für weltliche
Veranstaltungen in Anspruch genommen wird.
Das an den Ostertagen übliche 40stündige Gebet wird in
ein 13stündiges gekürzt und am Ostermontag gehalten.
Zur Intensivierung
der Seelsorge an den einzelnen Ständen werden besondere kirchliche
Veranstaltungen für sie gehalten:
Am 27. April
ist ein vom Bischof angeordneter Kindersonntag.
Predigt, Vortrag und Kindergottesdienst erinnern sie an ihre Pflichten
gegen die Eltern; das ist um so notwendiger, als durch die Einberufung
vieler Väter die ganze Erziehungsarbeit auf die Schultern der Mütter
gelegt ist.
Für die Mütter
werden am gleichen Tage Standesvorträge von einem Pater gehalten
mit dem wichtigen Thema:
Wie soll ich in der heutigen Zeit meine Kinder christlich unterrichten
und erziehen?
Für die Männer
findet am Sonntag, dem 4. Mai ein Bet- und Opfertag statt.
Eine gemeinsame Feierstunde für die katholischen Männer des
Dekanates findet in der großen neuen Pfarrkirche zu Birgelen statt.
(Das alte Gotteshaus in Birgelen ist in den letzten Jahren zu einem größeren
modernen Gotteshaus erweitert worden.)
Der Diözesanpräses für Männer-Seelsorge, Pfarrer Joseph
TENBUSCH, ein Freund des derzeitigen Pfarrers von Steinkirchen, hält
die Festpredigt.
Die Beteiligung der Männer ist trotz der vielen Einberufungen eine
sehr gute.
Für die katholische
Jugend (Jünglinge und Jungfrauen) wird am Sonntag, dem 8.
Juni in Wassenberg eine Glaubensfeier veranstaltet.
Auch hier ist die Beteiligung und Haltung der Jugend äußerst
lobenswert.
Der Reichsminister
des Inneren hat für die Seelsorge in öffentlichen Krankenhäusern,
Heil- und Pflegeanstalten angeordnet, daß die diensttuenden
Pflegepersonen den Besuch des Geistlichen beim Kranken nur dann zulassen
dürfen, wenn der Kranke den Besuch des Priesters ausdrücklich
wünscht.
Damit nun bei Unglücksfällen oder plötzlichen Erkrankungen
die religiöse Versorgung der in eine Krankenanstalt eingelieferten
Katholiken sichergestellt wird, wird jeder Katholik aufgefordert, schon
in gesunden Tagen folgende Erklärung schriftlich niederzulegen und
zu unterschreiben:
Bei Einlieferung in eine Krankenanstalt verlange ich in kürzester
Zeit den Besuch des zuständigen römisch-katholischen Geistlichen.
Vorgedruckte Erklärungen dieser Art werden an die Pfarrkinder verteilt
und von allen unterzeichnet.
Die spätere Erfahrung hat erwiesen, daß die Krankenhäuser
der näheren Umgebung dem katholischen Priester auch weiterhin ungehindert
Zutritt zu den Kranken gewährt haben.
Die Kriegsverhältnisse bringen es mit sich, daß vielen Gläubigen
der Empfang der hl. Kommunion, namentlich die Erfüllung des Nüchternheitsgebotes
vor der hl. Kommunion sehr erschwert ist.
Folgende Erleichterungen und Dispensen werden deshalb für die Dauer
des Krieges von der Kirche gewährt:
1. Wehrmachtsangehörige,
ebenso Zivilarbeiter, die zu militärischen Arbeiten
eingezogen sind (z.B. Arbeitsdienst und Organisation Todt),
ferner
Kriegsgefangene und Internierte können zu jeder Zeit des Tages und
der Nacht und an jedem würdigen Ort die hl. Kommunion empfangen;
sie sollen 4 Stunden vorher nüchtern sein.
2. Jugendliche (Schulentlassene,
Jungmänner, Jungfrauen) in Landjahrheimen,
Reichsarbeitsdienstlagern und dergleichen können an Sonn- und Feiertagen,
auch nachmittags die hl. Kommunion empfangen, wenn sie 3 Stunden vorher
nüchtern bleiben.
3. Angehörige
des weiblichen Arbeitsdienstes brauchen unter gleichen Voraussetzungen
nur 1 Stunde nüchtern zu sein.
4. Soldaten, die zum
Kampf beordert sind, können zu jeder Tages- und Nachtzeit
mit völliger Dispens vom Nüchternheitsgebot die hl. Kommunion
per modum
Viatici empfangen.
5. Alle Gläubigen
können an Tagen nach nächtlichem Fliegeralarm (d.h. nach
Mitternacht und vor 6 Uhr morgens) bis 4 Stunden vor der hl. Kommunion
etwas essen und bis 1 Stunde vor der hl. Kommunion etwas trinken.
Dasselbe gilt für die Kommunion am Nachmittage.
Die gleichen Erleichterungen
sind dem zelebrierenden Priester gewährt.
Damit zeigt die Kirche eine wahrhaft mütterliche Klugheit und großherziges
Entgegenkommen in diesen schweren Zeiten.
Viele Gläubige bringen es anfangs nicht fertig, von den gewohnten
kirchlichen Bestimmungen abzugehen und von den gewährten Erleichterungen
Gebrauch zu machen.
Der Sakramentenempfang bleibt jedoch ein reger und nimmt von Jahr zu Jahr
zu.
Eine schöne Sitte,
die anderswo bereits besteht, ist die Zelebration von 6 heiligen Messen
(in jeder Woche 1) für einen Verstorbenen im Anschluß an die
Beerdigung.
Sie wird auch hier eingeführt und von den Gläubigen freudig
aufgenommen.
Das Kriegsgeschehen des Jahres 1941 ist gekennzeichnet durch den
Einbruch Deutschlands in Rußland am 22. Juli.
Auffallend schnell rücken unsere Truppen an der gesamten Ostfront
vor. Im Oktober stehen sie im Norden unmittelbar vor Leningrad,im Mittelabschnitt
kommen sie bis auf 48 km an Moskau heran, im Süden haben sie das
Industriebecken des Donez erreicht. HITLER proklamiert am 3. Oktober:
Ich spreche es heute aus, daß dieser Gegner (Rußland)
gebrochen ist und sich nicht mehr erheben wird.
Aber im Dezember setzt Rußland zum Gegenangriff an und wirft die
deutschen Armeen unter verheerenden Niederlagen aus dem Umkreise von Moskau
heraus.
Deutschland erleidet seine erste große Niederlage in diesem Kriege.
Die Heimat bangt um
ihre Söhne an der Ostfront. Aus Effeld stehen viele Soldaten in Rußland.
Aber Gott Dank gibt es keine Verluste unter ihnen.
Die Zentralstelle des BORROMÄUS-VEREINS in Bonn teilt uns
mit, daß nach einer Verfügung der Geheimen Staatspolizei die
Borromäus-Bibliotheken nur noch religiöse Bücher ausleihen
dürfen; es brauchen jedoch nicht rein belehrende Bücher zu sein,
es können auch Erzählungen mit religiösem Inhalt sein.
Daraufhin wird die Pfarrbücherei durchgesehen, und alle nicht religiösen
Bücher zurückgehalten, d.h. ein Teil (die ältesten und
weniger wertvollen Bände) wird pflichtgemäß an den Dechanten
in Dalheim zur Aufbewahrung abgeliefert, ein anderer Teil (die besseren
und wertvolleren Bände) bei zuverlässigen Privatpersonen des
Ortes untergebracht, um sie einer zu erwartenden Beschlagnahme zu entziehen.
Am 20. Mai erscheinen 2 Beamte der GESTAPO Aachen im Pfarrhause,
um sich von der Durchführung der Verfügung zu überzeugen.
Sie stellen fest, daß noch religiös erzählende Bücher
vorhanden sind und verfügen die Beschlagnahme des gesamten noch vorhandenen
Bücherbestandes.
Ein Protest meinerseits, daß religiöse Bücher erzählenden
Inhalts gestattet seien, fruchtet nichts.
Die Beamten erklären, sie hätten Anweisung, die Bibliothek überhaupt
zu schließen und die vorhandenen Bücher sicherzustellen.
Diese werden in einer Truhe des Pfarrhauses eingeschlossen, und die Truhe
versiegelt.
Damit ist die Pfarrbibliothek einstweilen amtlich außer Betrieb;
im Stillen geht die Ausleihe an verschwiegene Leser weiter.
Nebenstehendes Gebet für unsere Soldaten wird seit einiger Zeit im
Gottesdienst und in der Familie gern verrichtet:
(Das Gebet ist leider nicht mehr vorhanden!)
1942
Eine strenge und
anhaltende Kälte setzt mit dem Jahresbeginn 1942 ein.
Tagelang fällt dichter Schnee, und die Gegend verwandelt sich bald
in eine echt russische Landschaft.
Die ältesten Einwohner entsinnen sich nicht, eine so große
und so lange anhaltende Kälte erlebt zu haben.
Die Zeitungen berichten, es sei der strengste Winter seit 100 Jahren.
Die nebenstehenden Aufnahmen mögen dies bestätigen.
(Vgl. Fotos in der Originalchronik!)
Der Aschermittwoch
(18. Februar) ist ein schwarzer Tag für die Pfarre:
Effeld verliert seine 3 Kirchenglocken
(Töne: a c´ d´ - Te Deum-Geläute).
Nach längeren Vorbereitungsarbeiten im Turm werden sie mittels Winde
herabgelassen, auf einen Lastkraftwagen verfrachtet und zu einer Sammelstelle
nach Kall in der Eifel gebracht. Sie sollen verhüttet und zu Kanonenmaterial
umgeschmolzen werden. Traurig sehen die Pfarrangehörigen ihre Glocken
scheiden, die, nachdem sie nur zu friedlichen und gottesdienstlichen Zwecken
ihre eherne Stimme erhoben haben, nun Tod und Vernichtung auf die Menschen
schleudern sollen. Manch einer macht die Bemerkung: Das ist der
Anfang unserer Niederlage. So war es im ersten Weltkriege auch!
Zum 2. Male muß
Effeld seine Glocken für Kriegszwecke abliefern.
Die ersten Glocken wurden im Jahre 1911 angeschafft und fielen
dem Weltkrieg
1914-1918 zum Opfer. Die jetzigen wurden im Jahre 1925 beschafft,
haben also kaum 17 Jahre Dienst getan.
Die alte Glocke
von Steinkirchen (aus dem Jahre 1248?) wurde von dort
nach Effeld geholt und hier aufgehängt, um den Dienst der Einberufenen
zu übernehmen.
Bald trifft die erste
Gefallenen-Nachricht ein.
Theo NELLISSEN, der einzige Sohn der Eheleute Johann NELLISSEN und Ida
geborene BÖHLEN ist bei den Kämpfen in Rußland am 12.
Dezember 1941 gefallen.
Die EXEQUIEN für gefallene Krieger der Gemeinde werden sonntags anstelle
des Hochamts in der liturgischen Tagesfarbe gehalten, damit die ganze
Pfarre sich daran beteiligen kann.
Vor der Kommunionbank ist ein einfaches Kriegergrab nachgebildet,
vor welchem nach einer Ansprache des Priesters besonders zusammengestellte
liturgische Gebete, zum Teil dem Begräbnisritus entnommen, verrichtet
werden.
Unter der Orgelbühne
ist eine schlichte Gedächtnisstätte für die Gefallenen
errichtet. Holzkreuzchen mit dem Namen des toten Kriegers ersetzen das
wirkliche Grab in fremder Erde. Sie sind mit kleinen Blumenvasen versehen
und werden das ganze Jahr hindurch von den Angehörigen geschmückt.
Es wird eifrig vor denselben für die Gefallenen gebetet.
Eine 2. Gefallenen-Nachricht
folgt kurz darauf:
Herr Kaplan Richard HERMANNS, der im Jahre 1936 mehrere Monate hierselbst
als Hauskaplan und Pfarrverwalter segensreich gewirkt hat, ist am 18.
Januar
als Sanitätsgefreiter an der mittleren Ostfront gefallen. Auch für
ihn werden unter großer Beteiligung der Pfarrgemeinde feierliche
EXEQUIEN in der Kirche in Effeld gehalten.
Der Erzbischöfliche Stuhl von Köln, der seit dem Ableben des
Kardinals Dr. Karl Joseph SCHULTE am . .1941 vakant ist, wird am 1.
Mai 1942 wieder neu besetzt durch die Ernennung des bisherigen Regens
des Kölner Priesterseminars Dr. Joseph FRINGS zum Erzbischof von
Köln.
Der neu ernannte Erzbischof ist 55 Jahre alt, war 13 Jahre Pfarrer in
Köln-Braunsfeld.
Ad multos annos!
Durch besondere Gesetze ist das Abhören von fremden Sendern im
Radio verboten und schwer strafbar.
Mehrere Geistliche der Nachbardekanate Erkelenz und Wegberg werden wegen
dieses Vergehens vom Sondergericht in Düsseldorf zum Teil zu Gefängnis
verurteilt und zum Teil freigesprochen.
Das Verfahren wird kurz darauf auf Veranlassung der GESTAPO wieder aufgenommen,
und das Reichsgericht als höchste Instanz verhängt über
alle, auch über die Freigespro-chenen Zuchthausstrafen von mehreren
Jahren.
Im Laufe des Winters sind viele Kinder auf längere Zeit erkrankt
und konnten den Unterricht nicht besuchen.
Mit Rücksicht darauf wird die Erstkommunionfeier in diesem Jahre
von Ostern auf Pfingsten verlegt.
Die Belieferung der
Priester mit Meßwein wird immer schwieriger. Es muß
äußerste Sparsamkeit geübt werden.
Das für die Konsekration verwendete Quantum wird so beschränkt,
daß eine Flasche Wein (670 ccm) für einen Monat reichen muß.
Die Ritenkongregation gestattet, daß bei der purificatio calicis
et digitorum in der hl. Messe nur Wasser gebraucht wird.
Am 10. Mai
ist die gesamte katholische Jugend des Dekanates zu einer Marienfeier
in der Pfarrkirche zu Birgelen versammelt.
Die Beteiligung ist gut, jedoch merkt man, daß die Jungmännerwelt
zum größten Teil an der Front steht.
Freitag, den 26.
Juni kommt der Hochw. Herr Weihbischof Dr. Friedrich HÜNERMANN
zur Firmung und Bischöflichen Visitation in unsere Pfarre.
Nachmittags 4 Uhr wird er am Kirchenportal in Effeld empfangen.
Eine Prozession zum Abholen des Bischofs wie in früheren Zeiten ist
verboten.
58 junge Christen (27 Knaben und 31 Mädchen) empfangen das Sakrament
des Heiligen Geistes. Die übrigen Gläubigen erneuern in die
Hand des Bischofs ihr Firmversprechen.
Die Visitationsreise
des Bischofs in unserem Dekanate schließt ab mit einer erhebenden
Papstfeier am 28. Juni in Wassenberg, bei welcher der Hochwürdigste
Herr die Festpredigt hält. Die Kirche ist überfüllt; das
katholische Volk beweist, daß es nach solchen Kundgebungen verlangt
als Protest gegen die vielen Einschränkungen, die der katholischen
Kirche in der Öffentlichkeit auferlegt sind.
Anlaß zu der Papstfeier war das 25jährige Bischofsjubiläum,
das der Heilige Vater am 13. Mai diese Jahre begangen hat. Der
Hochwürdigste Herr Administrator Dr. STRÄTER würdigt diese
Tatsache in einem
Hirtenschreiben vom 5. Juni und schildert seine Tätigkeit
als Nuntius in Deutschland, seine Hirtensorge um die christliche Ehe und
Familie, um die christliche Erziehung.
Von den deutschen Katholiken hat PIUS XII. einmal gesagt:
Ich weiß, daß die Katholiken Deutschlands ihre Ehre
darein setzen, den Glauben an die göttliche Institution des Papsttums
zur Tat werden zu lassen - auch da und gerade da, wo er die großen
und letzten Lebensfragen berührt.
Der Bischof fügt hinzu:
Darin wollen wir den Redner von damals, den Jubilar von heute nicht
enttäuschen; dessen sollen Freund und Feind gewiß sein.
Zum 3. Male in diesem Jahre versammeln sich die deutschen Bischöfe
in Fulda und nehmen Stellung zu den brennenden Fragen der Gegenwart.
In einem gemeinsamen
Hirtenschreiben ermahnen sie zu Ehrfurcht und Treue gegen die katholische
Kirche.
Mögen irdische Reiche in den Fluten der Zeit zusammenstürzen,
die Kirche steht auf felsenfestem Grunde und wird nicht zusammenbrechen.
Sie erweist sich auch in den Stürmen und Wettern unserer bewegten
Tage als unerschütterlicher Gottesbau und Gottes Ordnungsblock in
der Welt.
Am 6. Juni
erscheint in Heimat, Blätter für heimatliche Geschichte,
Volks- und Naturkunde, Beilage zur Heinsberger Volkszeitung,
von P. A. THOLEN ein bemerkenswerter Artikel über
Die alte St. Martinskirche in Steinkirchen,
der nebenstehend beigeheftet ist.
Das Kriegsgeschehen im Jahre 1942 ist gekennzeichnet durch folgende
bedeutende Tatsachen:
An der Ostfront machen unsere Truppen gewaltige Fortschritte im Süden
Rußlands.
Am 13. September
dringen sie nach harten Kämpfen in Stalingrad ein.
In Afrika stehen die
Deutschen fast an den Toren Ägyptens. Heftige Kämpfe entbrennen
um die Bergfestung Tobruk, die mehrfach den Besitzer wechselt. Jedoch
am 2. November durchbricht der englische Feldherr MONTGOMERY die
Stellungen ROMMELS bei El Alamein.
Am 8. November
gelingt es den Amerikanern, mit einer Flotte von 600 Schiffen, von
unseren U-Booten ungehindert, in Französisch-Nord-Afrika zu landen.
Die Front vergrößert
sich, der Feinde werden mehr.
1943
Die Not des Krieges
wächst, es wächst auch das sehnliche Verlangen der Menschheit
nach Frieden.
In dieser verhängnisvollen
Stunde der menschlichen Geschichte wendet sich der Heilige Vater
an das unbefleckte Herz Mariens und weiht ihr die ganze Christenheit.
In einem besonderen Weihegebet erbittet der Papst einen 4fachen Frieden:
den Frieden der Waffen, die Bekehrung der Heiden, die Wiedervereinigung
der getrennten Christen, die Freiheit der katholischen Kirche.
Jeden Samstag während
der heiligen Messe wird dieses Weihegebet von Priester und Volk verrichtet.
Zu Beginn der Fastenzeit
erlassen die Bischöfe der Kölner und Paderborner Kirchenprovinz
ein gemeinsames Hirtenschreiben über die Pflichten des 6. Gebotes.
Wir sehen,
so erklären sie einleitend, daß das 6. Gottesgebot nicht
nur häufig und auf mannigfache Weise übertreten wird, sondern
daß dieses Gebot vielfach grundsätzlich geleugnet wird.
Dieser gottlose Zeitgeist macht aus der weitverbreiteten Haltlosigkeit
ein Recht, aus der geschlechtlichen Vergehung eine Tugend und reißt
so die Widerstände des Geistes, die Hemmungen des Gewissens, die
Rücksichten des Mitgefühls und der Rechtlichkeit nieder, die
den Menschen bisher noch einigermaßen vor sich selbst schützten.
So ist die Unsittlichkeit in der Form der Unzucht aus gelegentlichen Entgleisungen
zur bewußten Absage an die christliche Sitte, an das hier geltende
Gottesgesetz, so ist sie zur gefährlichen Macht geworden, die Mark
und Kraft des Volkes, besonders der Jugend zu vergiften droht.
Im einzelnen behandelten
die Bischöfe die voreheliche, die eheliche und die jungfräuliche
Keuschheit, und stellen abschließend fest:
Der genußsüchtige
Naturalismus untergräbt die voreheliche Keuschheit der Jugend durch
seine Forderung nach Freigabe der freien Liebe und die Gleichstellung
der unehelichen mit der ehelichen Mutterschaft. Er untergräbt die
eheliche Keuschheit durch seine Billigung des Ehebruchs und seine Rechtfertigung
und Förderung der Ehescheidung.
Er bekämpft erbittert die jungfräuliche Keuschheit der freiwillig
Ehelosen, deren Ideal er grundsätzlich verwirft.
Statt der von Papst
LEO XIII. vorgeschriebenen Gebete nach der stillen hl. Messe werden auf
Anordnung des Bischofs folgende Fürbitten verrichtet:
Lasset uns beten um Gottes Schutz für unser Volk und Vaterland
vor allen feindlichen Anfällen und halte von uns fern die Verwüstungen
des Krieges. Beschütze alle von uns, die in treuer Erfüllung
ihrer Pflicht den Gefahren des Todes ausgesetzt sind.
V: Herr, erhöre
unser Gebet - A: und laß unser Rufen zu Dir kommen.
V: Königin des Friedens, - A: bitte für uns.
V: Heiliger Michael, - A: bitte für uns.
V: Heiliger Bonifatius, - A: bitte für uns.
V: Heiliger Petrus Canisius, - A: bitte für uns.
Lasset uns beten!
V: Daß Du, o Gott, unsere Brüder im Felde beschützen und
segnen wollest.
A: Wir bitten Dich, erhöre uns.
V: Daß Du unsere Kranken und verwundeten Soldaten trösten und
ihnen die
Gesundheit wiederschenken wollest.
A: Wir bitten Dich, erhöre uns.
V: Daß Du Deine schützende Hand über unsere vermißten
und gefangenen
Soldaten halten wollest.
A: Wir bitten Dich, erhöre uns.
V: Daß Du unsern gefallenen Kriegern die ewige Ruhe verleihen wollest.
A: Wir bitten Dich, erhöre uns.
Dienstag, den 16. März ist der Hochwürdigste
Herr Apostolische Administrator der Diözese Aachen, Dr. theol. Hermann
Joseph STRÄTER im Alter von nahezu 77 Jahren nach kurzer Krankheit
in die Ewigkeit heimgegangen.
Unermüdlich setzte der Verstorbene seine ganze Kraft für die
ihm anvertrauten hohen Aufgaben ein, in allem geleitet von einem starken
Gottvertrauen, wie es sein Wahlspruch bekundet: Der Glaube siegt!
Er war ein Priester und Bischof nach dem Herzen Gottes von tiefer Frömmigkeit
und Demut und war bis in die letzten Tage seiner Krankheit unermüdlich
für das Bistum tätig.
Als Schreiber dieser
Zeilen in den Jahren 1935/36 wegen Bekämpfung des Nationalsozialismus
8 Monate Gefängnis verbüßen mußte, hat Weihbischof
Dr. STRÄTER sich tatkräftig für ihn eingesetzt, ihm öfters
ins Gefängnis geschrieben und ihm seinen Generalvikar zum Besuch
geschickt.
So schrieb er am 9. April 1936:
Nun steht das hochheilige Osterfest bevor, und wenn am Karsamstag
beim feierlichen Pontifikalamt verkündigt wird:
Annuntio vobis gaudium magnum, quod est: Alleluia,
dann möchte ich meinerseits dieses frohe und große Alleluia
auch Ihnen in Ihre Zelle hineinrufen..... Nun freue ich mich darauf, Sie
bald wieder zu sehen, habe auch in Ihrem Interesse etwas unternommen,
was hoffentlich von Nutzen sein wird.....
Die feierliche Beisetzung
des verewigten Oberhirten erfolgt am 20. März in Aachen.
In allen Pfarr-, Rektorats- und Klosterkirchen werden feierliche EXEQUIEN
gehalten.
i. P.!
Für die Zeit der Verwaisung des Bischöflichen Stuhls wird der
Hochw. Herr Weihbischof Dr. HÜNERMANN zum Kapitularvikar gewählt.
Am 13. September
kommt die frohe Kunde, daß das Bistum Aachen wieder einen Bischof
hat.
Herr Prälat Johannes Joseph VAN DER VELDEN, bisher Regens des Priesterseminars,
ist vom Heiligen Vater zum Bischof der Diözese Aachen ernannt worden,
nachdem die Preußische Staatsregierung erklärt hatte, daß
ihrerseits keine Bedenken gegen die vom Domkapitel vorgenommene Wahl bestünden.
Der neue Bischof ist geboren am 7. August 1891 zu Übach, Krs.
Geilenkirchen,
zum Priester geweiht am 24. Juni 1915, danach Kaplan in Frielingsdorf,
Krs. Wipperfürth,
1916 Kaplan in München-Gladbach St. Bonifatius, 1920
Rektor in Rheydt-Geneiken, 1926 Generalsekretär des Franziskus-Xaverius-Missionsvereins
in Aachen, 1929 Generaldirektor des Volksvereins für das katholische
Deutschland in München-Gladbach, 1933 Vizepräsident des Franziskus-Xaverius-Missionsvereins,
1938 Regens des Priesterseminars.
Dem neuen Oberhirten gilt unser ehrfürchtiges Vertrauen, unser kindlicher
Gehorsam, unser Gebet.
Ad multos annos!
Am 10. Oktober erfolgte seine feierliche Bischofsweihe und Inthronisation.
Datiert vom 29. Juni 1943 hat Papst PIUS XII. ein Rundschreiben
über
die Kirche als mystischer Leib Christi
(Mystici corporis)
erlassen.
Hauptgedanken des Schreibens sind:
Die Kirche ist ein Leib,
weil sie aus verschiedenartigen Gliedern mit verschiedenen Aufgaben zu
einem gemeinsamen letzten Zweck besteht. Sie ist der Leib Christi, weil
Christus ihr Stifter, ihr Haupt, ihr Erhalter, ihr Erlöser und Heiliger
ist. Sie ist mystischer Leib, d.h. kein physischer, kein moralrechtlicher,
sondern ein einzigartiger Leib, dessen Glieder im Heiligen Geiste übernatürlich
verbunden sind.
Die geheimnisvolle Verbindung der Glieder mit Christus wird hergestellt
durch Glaube, Hoffnung und Liebe, durch die Einwohnung des Heiligen Geistes,
durch die Eucharistie. Des Katholiken Pflicht ist es, die Kirche zu lieben
in ihrem Haupte und in ihren Gliedern, und zwar mit einer Liebe der Tat
in Gebet und Opfer.
Die Vertiefung in die herrlichen Gedanken dieser Enzyklika dürfte
die beste Festigung im Glauben und die beste geistige Ausrüstung
im Kampfe gegen die kirchenfeindlichen Bestrebungen der Zeit sein.
Schade, daß der Krieg mit seinen immer stärker sich vordrängenden
zeitlichen Sorgen nicht zum gebührenden Studium der Enzyklika kommen
läßt!
Das religiöse Leben der Pfarre hält sich trotz des Krieges auf
der Höhe, der Sakramentenempfang steigt, was wohl zu erklären
ist aus der großen Not, die zu Gebet und religiösem Eifer antreibt.
Hier eine Übersicht
über die Zahl der jährlichen hl. Kommunionen seit 1937:
1937 - 17.000
1938 - 18.000
1939 - 19.000
1940 - 19.000
1941 - 18.000
1942 - 19.000
1943 - 21.000
Die Pfarre Steinkirchen
steht in bezug auf Sakramentenempfang an dritthöchster Stelle; über
ihr stehen Ophoven und Dalheim.
Nach Mitteilung des Bürgermeisteramtes Wassenberg
müssen wegen der gespannten Luftlage alle Prozessionen
unterbleiben, auch die Bitt prozessionen, die bisher hier noch gehalten
wurden.
Tatsache ist, daß der Luftkrieg immer schlimmere Formen annimmt.
Nur im Anfang war Deutschland in der Luft überlegen, schon bald riß
der Feind die Überlegenheit an sich.
Er setzt immer stärkere Bomberverbände ein, die bis ins Herz
Deutschlands nach Berlin vordringen.
Sehr oft geht abends oder nachts die Sirene und schreckt die Menschen
aus dem Schlafe auf. Manchmal hören wir stundenlang das Donnern der
schweren Motoren in der Luft. Unsere Nachtjäger, stationiert im benachbarten
Holland, sind auf der Hut und bringen manche feindliche Bomber zum Absturz.
Wir sehen sie wie brennende Fackeln zur Erde stürzen, einige in unmittelbarer
Nähe des Dorfes, wo sie als unkenntliche Trümmerhaufen liegen
bleiben. Auch die Flak ist gut und legt einen dichten Sperrgürtel
von krepierenden Granaten um unsere Städte.
Angriffe auf München-Gladbach, Krefeld, Düsseldorf, Köln
und Aachen können von hier aus gut beobachtet werden. Schaurig ist
der Anblick, wenn von unten her die Scheinwerfer ihre Strahlenbündel
in die Höhe schicken, wenn von oben her Schwefel vom Himmel regnet,
wenn der Widerschein der brennenden Städte die Wolkendecke erhellt,
wenn die explodierenden Geschosse wie Sterne dazwischen stehen, wenn die
Erde zittert und ein gewaltiger Geschützdonner das Ohr betäubt.
Furchtbar ist dann der Gedanke an die vielen armen Menschen in den Städten,
die dem Luftangriff zum Opfer fallen.
Ganz von selbst drängt sich dann die Bitte auf die Lippen:
Requiem aeternam dona eis, Domine!
Dona nobis pacem!
Durch die vielen nächtlichen Luftalarme des Schlafes beraubt wird
die Bevölkerung immer unruhiger und nervöser, einige werden
krankhaft ängstlich und tragen gesundheitliche Schäden davon.
Am schlimmsten leiden die armen Städter; alle, die einen schweren
Luftangriff mitgemacht haben, erklären übereinstimmend, daß
sie für nichts in der Welt einen zweiten erleben möchten.
Auch in unserem Orte
werden von den Einwohnern sogenannte Bunker errichtet, d.h.
Erdlöcher mit einer dicken Erdschicht überdeckt, im Innern mit
Holz oder Stroh ausgeschlagen, oft mit einem kleinen Ofen ausgerüstet,
mit elektrischem Licht versehen, in denen man bei Luftgefahr Schutz suchen
kann.
Die wichtigsten Kriegsereignisse des Jahres sind folgende:
Nach längerer
Belagerung durch die Russen muß Feldmarschall PAULUS mit seiner
erschöpften Armee in STALINGRAD kapitulieren.
Ists der Wendepunkt im Osten?
Am 12. Mai
bricht der deutsche Widerstand in Tunis zusammen.
Am 10. Juli
landen die Alliierten auf Sizilien und am 3. September in Süditalien.
5 Tage später kapituliert Italien bedingungslos und überläßt
die Verteidigung des Landes den Deutschen.
1944
Immer klarer kommt
uns zum Bewußtsein, daß auch wir ernstlich mit der Möglichkeit
rechnen müssen, einmal Frontgebiet zu werden.
Nicht nur haben wir seit dem Jahre 1938 den sogenannten WESTWALL, eine
mehrfach gegliederte, stark befestigte Bunkerlinie, die sich parallel
der westdeutschen Grenze
- in unserer engeren Heimat durch die Ortschaften Orsbeck, Birgelen, Dalheim
-
hinzieht.
Nun werden auch Maßnahmen für eine eventuelle Überschwemmung
des ganzen Roertales getroffen.
Beim Herannahen des Feindes sollen die Sperrmauern der Urft und Roer in
der Eifel gesprengt werden. Dadurch würden sich plötzlich Millionen
cbm Wasser über das Land an der Roer ergießen.
Auch unser Ort würde natürlich überschwemmt werden und
mehrere Meter tief unter Wasser stehen. Ein Schild in der Nähe des
Waldes bezeichnet die Stelle, bis zu welcher die Flut kommen würde.
Die Bevölkerung wird in Kenntnis gesetzt, daß sie im Ernstfalle
sofort den Ort zu verlassen hat. Die Wege sind eigens gekennzeichnet,
auf denen sie dem nassen Tod entrinnen kann.
Effeld muß den höher gelegenen Ort Rosenthal aufsuchen. Die
Kirchenglocken
- die wenigen, die geblieben sind! - müssen das Alarmzeichen zum
Aufbruch geben.
Die Aussicht, Hab und Gut plötzlich durch Überschwemmung zu
verlieren, trägt natürlich nicht dazu bei, die Bevölkerung
zu beruhigen, sondern versetzt sie in immer größere Angst und
Nervosität.
Die im Pfarrhause
versiegelten Bücher der Borromäus-Bibliothek werden eines
Tages vom derzeitigen Bürgermeister von Wassenberg, Parteigenosse
SCHMITZ, abgeholt, um - wie es heißt - an die Büchereien der
Wehrmacht vergeben zu werden.
Da mit einer solchen Aktion gerechnet wurde, ist rechtzeitig Vorsorge
getroffen worden, daß nur ein Teil der Bücher den Dieben
in die Hände fällt.
Das erste Fastenhirtenschreiben
des neuen Bischofs von Aachen behandelt die Familie, als Urzelle,
aus der alles Gemeinschaftsleben, auch der Staat Dauer und Kraft empfängt..
Ich sagte euch bereits, daß mein Bischofsring das Gold der Trauringe
meiner Eltern in sich birgt, damit ich nie vergesse, daß mir selbst
nächst der Gnade Gottes meine eigenen Eltern in der Familie alle
Wegweisung und alles Glück des Lebens bereiteten.
Die Beamtenfamilie (der Vater war Zollinspektor), der ich entstamme, mußte
ein tieferes Verwurzeln mit der Heimatscholle entbehren. Fünfzehnmal
mußte der Vater den Wohnort wechseln. Um so mehr schloß sich
aber die Familie in sich selbst zusammen, um so mehr war in der Fremde
die geistige Gestalt der Eltern, ihr frommes und starkes vor uns gelebtes
Beispiel, ihre heim- und familiengestaltende Liebe zusammenhaltenden Kraft.................
Die schlichte, fromme Mutter, die nichts von aller großen Wissenschaft
wußte, die aber ganz von ihrem Gott gebildet war, den gläubig
sie im Herzen trug und dem sie sich in Demut schenkte, hat mir des Lebens
Wert und Fülle mitgegeben.
Der ernste Vater, der nichts kannte als Dienst und Familie, nahm die Kraft
zu einem harten Leben und zu strenger Pflichterfüllung, zu hingebender
Sorge für seine große Kinderschar aus seinem Christentum, mit
dem er Ernst gemacht und das er weitergab als köstliches Vermächtnis.....
Die Sorge um die religiöse Erziehung der Jugend gebe ich als euer
Bischof euch, ihr christlichen Eltern, als heilige Verantwortung, die
Gott euch auferlegt hat.
Vater und Mutter sind meine Mitbischöfe in ihren eigenen Familien.
Am 11. April wird die Stadt Aachen aus der Luft schwer bombardiert.
Der Bischof schreibt:
Erschüttert stehen wir alle vor dem namenlosen Leid, das der
Fliegerangriff am Abend des 11. April über uns gebracht hat.....
Drei Priester blieben tot.
Der Herr Weihbischof und viele Geistliche verloren ihre ganze Habe.
Mehrere Kirchen wurden zerstört, so daß eine wirkliche Kirchennot
in Aachen entstanden ist.
Klöster wurden vernichtet oder beschädigt. Schwestern kamen
unter Trümmern und in Flammen um.
Das Priesterseminar wurde zum größten Teil vernichtet, seine
prächtige Kapelle liegt in Trümmern.
Das Gebäude des Generalvikariats wurde so getroffen, daß es
auf lange Zeit unbenutzbar bleibt.
Das Bischöfliche Generalvikariat wird kurz darauf nach Geilenkirchen,
Missionshaus St. Josef (Loherhof) verlegt. Im Oktober muß
es wegen der Räumung von Geilenkirchen nach München-Gladbach,
Franziskus-Heilstätte, Viersenerstraße 450 verlegt werden,
wo auch der Weihbischof von Aachen weilt.
In diesem Jahr ist die Aachener Heiligtumsfahrt, die alle 7 Jahre
stattfindet, fällig.
Sie kann aber wegen der Ungunst der Kriegsverhältnisse nicht gehalten
werden; die Aachener Heiligtümer sind aus Gründen der Sicherheit
ins Innere Deutschlands gebracht worden.
Der Gottbekenntnistag
der katholischen Jugend findet auch in diesemJahre überall, wo
es noch möglich ist, statt.
Mitten in ernster Zeit, schreibt der Bischof, rufe ich
Euch, katholische Jungen und Mädchen, zu einem Tage starken und verantwortungsbewußten
Bekenntnisses.....................
Wir wollen nicht um uns schauen und klagen über Niedergang des Glaubens
und der Sitte.
Wir sind überzeugt, ein Volk glaubt an Ideen, wenn es die Menschen
sieht, die sie leben, und aus der Tiefe der deutschen Seele wird gelebtes
Christentum herrliche Aufbaukräfte gestalten für das Reich Gottes
im Reich der Deutschen."
Unter dem Leitgedanken
Löschet den Geist nicht aus! versammelt sich die katholische
Jugend des Dekanates am 18. Juni in der Pfarrkirche zu Birgelen.
Zahlreich und begeistert wie immer ist die Jugend auch diesmal dabei.
Das Leben in den Städten wird immer schwieriger und gefährlicher.
Wer es kann, sucht Zuflucht auf dem Lande.
So kommt Herr Pfarrer a.D. Johannes DRITTE (73 Jahre alt), zuletzt Pfarrer
in Langbroich, Dekanat Gangelt, im Juni aus München-Gladbach nach
Effeld und wird mit seiner Haushälterin im Pfarrhause aufgenommen,
wo er ein ruhigeres und vor Fliegerangriffen besser gesichertes Leben
führen kann.
Am 6. Juni gelingt es dem Feinde, an der Atlantikküste bei
Cherbourg (Normandie) trotz des ATLANTIKWALLES mit starken Kräften
zu landen und festen Fuß zu fassen.
Ziemlich schnell erobert er die Normandie und drängt unsere Front
in Richtung Paris zurück. Die französische Hauptstadt fällt
am 25. August.
Der Westen Deutschlands ist bedroht.
Die deutsche Grenzbevölkerung im Rheinland wird zur EVAKUIERUNG
aufgerufen.
Die wenigsten jedoch leisten der Aufforderung Folge und widerstehen allen
Drohungen und Zwangsmaßnahmen. Sie wollen eher sterben als die Heimat
verlassen.
Auch die Aachener halten stand, mit ihnen der Bischof, der in der Stadt
bleibt und nun getrennt ist von seiner Bischöflichen Verwaltung in
München-Gladbach.
Den Geistlichen wird vom Generalvikar empfohlen, sich den evakuierten
Gläubigen anzuschließen und in der Diaspora Mitteldeutschlands
sich den Bischöfen von Paderborn und Hildesheim für die Seelsorge
der Evakuierten zur Verfügung zu stellen.
Aber so schlecht wie die Gläubigen können sich auch die Priester
von ihren Pfarreien trennen.
Wo noch Laien in größerer Zahl zurückgeblieben sind, sind
auch Priester notwendig, um deren seelische Betreuung zu übernehmen.
Effeld wird stark
mit Truppen belegt.
Der Stab der 176. Infanteriedivision unter General STUMM als Divisions-Kommandeur
kommt nach hier. Der Kommandeur bezieht das Schloß Haus Effeld.
Ins Pfarrhaus kommt der Ortskommandant Hauptmann HEIDE und der Adjutant
des Divisions-Kommandeurs Oberleutnant SCHLÖSSER.
Später wird General STUMM durch Oberstleutnant LANDAU ersetzt.
Mit dem Monat September
beginnt auch für unsere Pfarre die bitterste Leidenszeit diese
Krieges.
Gerüchte gehen um, daß der Ort von der Zivilbevölkerung
geräumt werden müsse.
Leider stellen sie sich bald als wahr heraus. Der Feind in Nordfrankreich
an der belgischen Grenze, stellenweise sogar in Belgien an der deutschen
Grenze.
Die Heimat ist unmittelbar bedroht.
Die Bevölkerung ist sich einig, daß sie lieber die Schrecken
des Krieges, auch den Tod auf sich nehmen will als die Heimat zu verlassen.
Mehrfach wird nachts durch Ausschellen bekanntgemacht, daß die Bevölkerung
andern-tags räumen muß. Marschbefehle werden ausgestellt.
Die Anordnungen werden nicht befolgt. Wohl treffen viele Vorbereitungen
für eine eventuelle Räumung, sie bringen wichtiges Gut nach
auswärts in Sicherheit, vergraben Sachen in der Erde, packen das
Notwendigste als Handgepäck zusammen, zimmern sich Flüchtlingskarren
oder -wagen zurecht, um nicht im Ernstfalle unvorbereitet wegziehen zu
müssen.
Auch ihre Seelenangelegenheiten
bringen viele in Ordnung; keiner weiß, was der nächste Tag,
ja die nächste Stunde bringen kann.
Die Gläubigen drängen sich in Scharen zu den hl. Sakramenten.
Der Priester kann nicht die einzelnen beichthören. Er macht Gebrauch
von der Generalabsolution, wie sie von den Feldgeistlichen den
Soldaten vor der Schlacht erteilt wird.
Die Lage der Zivilisten ist kaum anders als die der Krieger vor dem Einsatz.
Es vergehen einige
Tage, an denen man die Bevölkerung mit Räumungsbefehlen nicht
belästigt.
Den Pfarrkindern, die mich fragen, was zu tun sei, gebe ich die Weisung:
Wenn möglich nicht räumen! Andernfalls nur soweit fortgehen
als unbedingt nötig!
Der Bevölkerung
bemächtigt sich eine starke Arbeitsunlust. Man will die Feldarbeiten
einstellen und sogar die Kartoffelernte nicht mehr halten, weil man befürchtet,
daß der Feind den Nutzen davon haben könnte.
Außer den Soldaten sind viele Zivilisten aus rheinischen Städten
als Westwallarbeiter in Effeld zusammengezogen; sie werfen
PANZERGRÄBEN auf, die sich parallel der Roer durch das Gelände
ziehen.
Auch viele Russinnen und Polinnen kommen täglich aus dem benachbarten
Vlodrop (Holland), um unter der Aufsicht von SA-Leuten an den Panzergräben
zu arbeiten.
Das Gespenst der Räumung, das nun bereits 14 Tage vor uns steht,
droht immer mehr, Wirklichkeit zu werden.
Es passieren bereits mehrere FLÜCHTLINGSTRECKS unsern Ort aus Dörfern
jenseits der Roer, die schon räumen mußten, so eine lange Wagen-
und Karrenkolonne aus Braunsrath mit ihrem alten Pfarrer (SCHIFFERS),
die am Spätnachmittag durch Effeld nach Rosenthal ziehen, wo sie
in einer ehemaligen Gefangenenbaracke ihre erste Nachtunterkunft finden.
Samstag, den 16.
September laufen im Bahnhof Wassenberg SONDERZÜGE ein, die die
des Amtsbezirks Wassenberg mit unbekanntem Ziel wegbringen sollen.
Auch die Geistlichen werden von der Polizei telefonisch aufgefordert,
mit den Gläubigen abzureisen; ja man erwartet, daß die Abreise
der Geistlichen die Abreise der Laien von selbst nach sich ziehen werde.
Nur einige Pfarrer kommen der Aufforderung nach.
Samstagnachmittag werde ich von zwei Polizisten mit Auto nach Wassenberg
zum dortigen Ortsgruppenleiter der NSDAP Hans STEINER (Apotheker) gebracht
und wegen Nichträumens verhört.
Baronesse Anna VON BLANCKART (Haus Effeld) ist mitgefahren als Entlastungszeugin;
sie bestätigt, daß mir von einer gewissen Wehrmachtsstelle
inoffiziell der Rat erteilt wurde, Effeld nicht zu verlassen.
Ich werde aufgefordert, am gleichen Abend den letzten Sonderzug zur Abreise
zu benutzen und die Bevölkerung öffentlich zum Räumen anzuhalten.
Auf meine Einwendung, daß es nicht meine Aufgabe als Priester sein
könne, mich amtlich für die Räumung einzusetzen, legt man
mir nahe, wenigstens privat den Gläubigen die Räumung zu empfehlen.
Auf meine Zusage hin werde ich freigelassen und von der Polizei wieder
nach Effeld gebracht.
Die Verhandlung in Wassenberg hat mehrere Stunden gedauert; sie war aufregend
und schwierig, insbesondere weil der Ortsgruppenleiter angetrunken war
(was aber, wie die Wassenberger bezeugen, bei ihm meist der Fall war).
Mit der Zeugin Anna VON BLANCKART gab es eine sehr erregte Szene, bei
der der Ortsgruppenleiter sogar HAFTBEFEHL gegen sie aussprach, den er
später auf Anraten aller Anwesenden wieder zurücknahm.
Nur eine kleine Gruppe
von Effeldern begibt sich am Abend zum Sonderzug nach Wassenberg, um die
Heimat zu verlassen.
Sie kommt aber im Laufe des Sonntags wieder zurück, weil der Sonderzug
wegen Mangel an Reisenden nicht abgefahren ist.
Die Räumungsaktion ist also fehlgeschlagen.
Was wird die PARTEI jetzt tun?
Am Sonntagmorgen kommt ein Feldwebel der hier einquartierten Wehrmacht
und bietet mir im Auftrage seines Hauptmanns an, Soldatenwache am Hause
aufzustellen, damit die empörenden Ereignisse des Vortags - meine
polizeiliche Verhaftung - , über welche das Militär ebenso wie
die Zivilbevölkerung in gleicher Weise aufgebracht sind, sich nicht
mehr wiederholen sollen.
Ich lehne das Angebot ab, weil ich einen Konflikt zwischen Wehrmacht und
PARTEI vermeiden will, und verlasse für einige Tage mit geheimem
Ziel den Ort, in der Hoffnung, daß sich die Gemüter wieder
beruhigen werden.
Durch einen Geheimkurier (Kaplan Hubert DALLMANN, der in Effeld
als Sanitäter stationiert ist) werde ich in meinem Versteck auf dem
laufenden gehalten.
Nach 3 Tagen erfahre ich, daß die Räumungsaktion zum Stillstand
gekommen ist; ich kehre daraufhin nach Effeld zurück.
Eine Woche bleibts
ruhig.
Dann kommen neue Aufforderungen zum Räumen, diesmal unterstützt
von der Wehrmacht. Es ist den Einsichtigen klar, daß die Wehrmacht
in Effeld, die keine Fronttruppe, sondern ein Divisionsstab ist, nur deshalb
die Räumung befürwortet, weil sie in einem von Zivilisten verlassenen
Orte über die Quartiere freier verfügen und an den vorhandenen
Vorräten sich gütlicher tun kann.
Deshalb widerstehen auch diesmal die meisten Einwohner, nur eine kleine
Anzahl Effelder reist zu Verwandten diesseits und jenseits des Rheins.
Wenn aber der Ort von der feindlichen Artillerie beschossen wird,
dann muß jeder Zivilist weichen, geben die Soldaten als Parole
aus.
Am Abend des 3. Oktober fallen 6 Schüsse auf unsern Ort
und richten geringen Schaden an einer Häusergruppe zwischen Effeld
und Steinkirchen an.
Nicht ohne Grund vermuten wir, daß es Schreckschüsse
aus deutschen Kanonen sind, um die Bevölkerung für die Räumung
mürbe zu machen.
Eingeschüchtert und haltlos geworden geben manche den Widerstand
auf und ziehen zu Fuß, per Rad oder mit Karren von hinnen.
Donnerstag, der 5.
Oktober ist der Tag der ZWANGSRÄUMUNG.
Verstärkte fremde Polizei und Soldaten nötigen die noch anwesenden
Bewohner zur sofortigen Räumung.
Herzzerreißende Szenen spielen sich ab. An verschiedenen Stellen
gibt es heftige und tätliche Auseinandersetzungen zwischen Zivilisten
und Räumungskommando.
Manche Tränen werden vergossen, und traurig ist es zu sehen, wie
die einzelnen Familien, ihr Gepäck auf Pferdefuhren, Ochsenkarren,
Handwagen oder Fahrrädern geladen, etwas Vieh (Kuh, Schaf oder Ziege)
mit sich führend, Haus und Hof im Stiche lassen müssen, um einer
unbekannten Fremde und einer düsteren Zukunft entgegenzuwandern.
Einen letzten wehmütigen Blick werfen die Flüchtlinge auf ihr
liebes Heimatdörfchen mit der bangen Frage: Werden wir die
Heimat jemals wiedersehen?
Dann nimmt die Landstraße sie auf und reiht sie ein in die endlosen
Elendszüge von Flüchtlingen, die sich in diesen Tagen auf allen
Wegen nach Osten bewegen.
Bis auf einige Pfarrkinder, die bei den einquartierten Soldaten dienstverpflichtet
sind, ist die Pfarre menschenleer.
Nun kann auch der Hirt der Herde folgen und den Weg in die Fremde antreten.
Freitag, den 6. Oktober (Herz-Jesu-Freitag) verlasse ich die Gemeinde
und begebe mich nach Wanlo, 1 ½ Stunde östlich von Erkelenz,
wo ich mit meiner Haushälterin bei einem älteren kinderlosen
Ehepaar (Johann BODEWIG, Wanlo Haus 108) liebevolle Aufnahme finde. Von
hier aus ist es mir möglich, ab und zu in die Pfarre zurückzukehren,
um noch persönliche Sachen zu bergen und den Zurückgebliebenen,
sowie den katholischen Soldaten Gottesdienst zu halten.
Es zeigt sich bald, daß viele Pfarrkinder sich in den nächstgelegenen
Dörfern aufhalten; einige sind nur bis zum nahen Wald geflüchtet
und haben dort ehemalige Hühnerfarmen als Wohnungen bezogen; andere
sind sogar bei Nacht nach Effeld zurückgekehrt.
Alle 10-14 Tage ist der Pfarrer (in Zivilkleidung reisend) unter ihnen,
bringt das hl. Opfer dar, um Christus wenigstens vorübergehend in
der Gemeinde gegenwärtig zu machen, die Kranken zu versehen und die
Pfarrkinder nicht ganz ohne Trost und seelische Hilfe zu lassen.
Im November setzt
eine neue Räumungsaktion ein.
Es dürfen nur noch Notdienstverpflichtete, die
einen amtlichen Ausweis von Partei oder Wehrmacht haben, im Orte sich
aufhalten; es sind Männer und Frauen, die im Dienste der Wehrmacht
stehen oder für die Bergung der Ernte eingesetzt sind.
Es sind zeitweise über 100 Bewohner.
Hinzu kommt dieLANDWACHT, eine Gruppe von ca. 20 Männern,
die unter Führung des Ortsbürgermeisters den Schutz des zurückgebliebenen
Eigentums wahrzunehmen haben.
Diese kann der Pfarrer öfters persönlich betreuen.
Die andern, die Evakuierten versucht er, durch regelmäßige
Rundschreiben zu erreichen und zu trösten.
Als Beispiel diene das im Dezember 1944 und das letzte, Anfang März
1945 versandte Schreiben, die hier beigeheftet sind. (LEIDER von unbekannter
Hand entheftet!)
Zum größten teile sind die Pfarrkinder linksrheinisch geblieben
und haben in der Gegend von München-Gladbach (Viersen-Rahser, Helenabrunn,
Rheydt-Tackhütte, Rheindahlen, Wegberg, Beeck) sowie im Kreise Grevenbroich
(Otzenrath, Priesterath) Unterkunft gefunden.
Andere sind rechtsrheinisch geflüchtet und sind im Sauerland (Siegen),
im Bergischen (Leichlingen), in Sachsen (Helbra, Übigau,
Wurzen) untergekommen.
Viele Briefe gelangen an mich aus der Fremde, die alle tiefes Heimweh
atmen und nur den einen Wunsch äußern, doch bald die Rückreise
nach Effeld anzutreten, selbst wenn hier alles zerstört und nur noch
Keller zum Wohnen vorhanden sein sollten.
Die Evakuierten im linksrheinischen Gebiet besuche ich öfters mit
dem Fahrrade, wofür diese sich sehr dankbar erweisen.
Auch viele Gegenbesuche in Wanlo werden mir abgestattet.
Die Dienstverpflichteten von Steinkirchen erleben am 21. Dezember
eine große Freude:
es wird Gottesdienst gehalten von Jesuitenpater Unteroffizier Alfred GEIER
aus Salzburg, welcher bei einer Panzereinheit in Steinkirchen einquartiert
ist.
Es ist Gelegenheit zum Empfange der hl. Sakramente. Während der hl.
Messe eine erhebende Ansprache.
Es ist wie eine KATAKOMBENFEIER, die allen zu Herzen geht und ihnen das
freudige Bewußtsein gibt: Nun kann es Weihnachten werden.
Am Nachmittage
desselben Tages kommt auch der Ortspfarrer aus seinem Verbannungsorte
nach Effeld.
Ich habe die Erlaubnis erwirkt, bis zum 20. Januar in der Pfarre
zu verbleiben, um Seelsorge an den Zurückgebliebenen auszuüben
und ihnen besonders inmitten ihrer trostlosen Verlassenheit die Gnaden
und Freuden von WEIHNACHTEN zu vermitteln.
Eine KRIPPE wird im
Chor der Effelder Kirche gebaut. Dankbar benutzen die Zivilisten und viele
Soldaten die Gelegenheit zum Empfange der hl. Sakramente.
Durch Vermittlung des SS-Leutnant DIETZ aus Wien (ein musterhafter Katholik)
wird der Gefreite KOHNEN aus Godesberg (ein vorzüglicher Organist,
der wiederholt schöne Orgelstunden für die Soldaten auf der
Effelder Orgel veranstaltet hat) aus dem Frontabschnitt SELFKANT beurlaubt,
um das Weihnachtsfest mit seiner Kunst zu verschönern.
Das 6. Kriegsweihnachten
feiern wir, ein Weihnachten mit viel Entbehrungen und Sorgen, mit viel
Leid um die Brüder an den Fronten und die Angehörigen in der
Evakuierung, mit viel Ähnlichkeit mit der Geburt des Herrn in Armut,
Not und Verfolgung.
Es ist trotzdem ein stärkender und tröstender Lichtblick in
dem tiefen Dunkel der Zeit.
Der Ortskommandant Hauptmann HEIDE, der bisher im Pfarrhause einquartiert
war, hat eine andere Wohnung beziehen müssen, weil der SS-General
BLUMENTRITT (der mit seinem Stabe den Divisionsstab der Wehrmacht in Effeld
abgelöst hat) das Pfarrhaus bewohnen will.
Der General zieht es jedoch vor, eines der Zollhäuser am Ende der
Schleistraße zu benutzen, das nicht so zentral gelegen
und dem Artilleriebeschuß nicht so sehr ausgesetzt ist.
Wohl hält er im Pfarrhause zu Weihnachten und Neujahr gesellige Zusammenkünfte
mit seinen Offizieren ab.
Der General ist mir gegenüber sehr zuvorkommend und bietet mir sogar
seine Hilfe und Unterstützung an, wenn ich sie benötige.
1945
Samstag, den 6.
Januar, nachmittags gegen 4 Uhr werde ich von der Polizei nach Wassenberg
zum Kreisleiter der NSDAP abgeführt.
Dieser eröffnet mir, daß ich sofort das Gebiet zu verlassen
habe.
Auf meine Einwendung, daß ich im Besitze eines ordnungsgemäßen
Ausweises bis zum 20. Januar sei und auf die Frage, welcher Grund zur
Ausweisung vorliege, wird mir zur Antwort gegeben: ein Grund liege nicht
vor, aber der Ausweisung müsse auf jeden Fall Folge geleistet werden.
Auf meinen Protest hin werde ich zur GEHEIMEN STAATSPOLIZEI im Nebengebäude
verwiesen.
Hier erreichen meine Vorstellungen ebenso wenig wie bei der Kreisleitung,
nur wird die Zeit zum Verlassen des Gebietes bis zum nächsten Tag
(Sonntag) mittags 12 Uhr verlängert. Noch am Abend des Samstag begebe
ich mich zu General BLUMENTRITT, um ihn um seine Vermittlung zu bitten.
Der General versucht dann telefonisch und durch seinen Adjutanten den
Ausweisungsbefehl rückgängig zu machen.
Vergebens!
Er erklärt mir dann, ich könne trotz der Ausweisung auf seine
Gefahr hin, sooft ich es für nötig hielt, nach Effeld zurückkommen,
er würde mich mit seinem Kraftwagen holen und zurückbringen
lassen.
Von diesem entgegenkommenden Anerbieten habe ich leider keinen Gebrauch
machen können, weil der Generalstab in den nächsten Tagen weiter
nordwärts verlegt wurde.
Am 7. Januar verlasse
ich bei heftigem Schneegestöber Effeld und begebe mich wieder nach
Wanlo.
Mir ist klar: was nun kommt, ist schlimmer als das Bisherige, und ich
bin nicht der letzte, der den Ort verläßt.
Mitte Dezember
1944 hat RUNDSTEDT eine neue Offensive im Westen eröffnet.
Mit viel Geschrei (sogar mit Lautsprecherwagen in den Städten) wird
sie angekündigt.
Aber der Erfolg entspricht nicht der Reklame.
Zur Vorbereitung dieser Offensive werden von November an die Dörfer
des unteren Roertales mit Einquartierung stark belegt.
Das kleine Steinkirchen hat zeitweilig 300 Soldaten mit Pferden
und motorisierten Fahrzeugen.
Nach Effeld kommt der SS-Generalstab mit General BLUMENTRITT.
Die deutsche Offensive schlägt fehl. Unsere Truppen weichen schnell
durch Belgien nach Deutschland (Eifel) zurück.
Der Rückschlag macht sich auch am SELFKANT bemerkbar, wo die Engländer
Boden gewinnen können und unsere Front auf die Roer zurückdrängen.
Aus Steinkirchen wird ein Teil der Truppen, die Trosse zurückgenommen.
Samstag, den 20.
Januar gegen 10 Uhr morgens wird Effeld von feindlichen Bombern
angegriffen.
Die 16 abgeworfenen Bomben fallen Gott Dank hauptsächlich in Gärten
und Wiesen am Ostrande des Dorfes, 2 Häuser in der Dorfstraße
werden zerstört.
Menschen kommen nicht zu Schaden. Die noch anwesenden Einwohner erkennen
nun unzweideutig: Die Lage wird ernster, und ein weiteres Bleiben ist
mit größeren Gefahren verbunden.
Einige verlassen noch am Samstag, andere in den folgenden Tagen wehen
Herzens die Heimat.
Sonntag, den 21.
Januar wird die LANDWACHT nach Wassenberg beordert, um
aufgelöst und dem VOLKSSTURM zugeführt zu werden.
In den VOLKSSTURM kommen alle Männer bis 60 Jahre. Ohne Uniform,
schlecht ausgerüstet sollen sie helfen, die Front zu halten.
Wie Bekleidung und Ausrüstung in letzter Minute beschafft werden
sollen, sagt anschaulich ein Aufruf des Ortsgruppenleiters von Wickrath:
Der FÜHRER hat zu einer Sammelaktion aufgerufen, um die notwendigen
Materialien für den Volkssturm beschaffen zu können. Dazu gehört:
Stoffreste aller
Art, besonders geeignet sind Segeltuchreste, feste Rips- oder
Dekorationsstoffe, ,festgewebte Wollstoffe, Zeltbahnen, Rucksäcke
oder Tornister, Brotbeutel und Feldflaschen, Koppel aus Leder, Rips- oder
Gurtband,
Gamaschen, einzelne Uniformstücke (alte Tuchuniformen, Feuerwehruniformen,
alte Post- oder Reichsbahnuniformen, usw.).....
.....
Bitte schikanieren Sie die Sammler nicht, reden Sie auch nicht leeres
Zeug mit ihnen, sondern ich erwarte, daß Sie als deutsche Familie
Ihre Pflicht erfüllen.
In eine am 21.
Januar in Wassenberg angetretene Volkssturmkompanie werfen JABOS
(Jagdbomber) plötzlich Bomben; es gibt 8 Tote und mehrere Verwundete.
Dienstag, den 23.
Januar ist der große Tag der letzten Evakuierung.
Grüne Polizei und SA-Leute machen eine unbarmherzige Jagd auf Menschen
und Vieh und zwingen alles zum sofortigen Aufbruch in die unbekannte Fremde.
Es ist eine böse Flucht mitten im Winter, bei eisiger Kälte,
bei Wind und Schnee, unter dem Beschuß der feindlichen Artillerie,
die am SELFKANT aufgestellt gute Einsicht hat auf alle Straßen über
den Höhenzug bei Birgelen-Wassenberg.
Nun sind die Dörfer
an der Roer von ihren Einwohnern verlassen, die Gelegenheit zum ungehinderten
Plündern ist gegeben.
Wie gründlich diese Gelegenheit von unsern Soldaten wahrgenommen
worden ist, haben wir später festgestellt.
Außer dem erwähnten Divisions- bzw. Generalstab ist auch ein
KRIEGSGERICHT in Effeld stationiert, ebenso eine Abteilung der
GESTAPO zur Spionageabwehr.
Von ihrer Tätigkeit hier zeugen die später aufgefundenen 7 Gräber
auf unserem Friedhof, in denen Hingerichtete ruhen, 4 Deutsche und 3 Holländer,
darunter ein geistlicher Rektor aus Posterholt (Holland), der einen Geheimsender
betrieben haben soll (?).
In Steinkirchen konnten
sich - dank der stillschweigenden Duldung der dortigen Einquartierung
- trotz allen Räumungsmaßnahmen 20 Zivilisten halten,
davon 7 Effelder, die sich zu Verwandten in Steinkirchen begeben hatten.
Nach dem Bericht eines Zurückgebliebenen haben die deutschen Soldaten
in Steinkirchen (es waren Fronttruppen) sich kameradschaftlich sogar unter
persönlichen Opfern für die Zivilisten eingesetzt und eine echte
Not- und Todgemeinschaft mit ihnen gebildet.
Wenn von der Division der Befehl zum Räumen kam - und das war jede
Woche der Fall -, dann haben die Zivilisten sich besser versteckt gehalten
als sonst, und die Division erhielt den Bescheid: In Steinkirchen
ist kein Zivilist mehr.
Inzwischen setzt ein sich täglich steigernder Artilleriebeschuß
ein.
Zunächst sind es Feuerüberfälle in regelmäßigen
Abständen mit leichteren Geschossen, meist mit Aufschlagzündung.
Sie werden Baumkrepierer genannt, weil sie in den dichten
Baumbeständen einschlagen, die die Baumkronen verwüsten, im
übrigen aber wenig Schaden an den Häusern anrichten.
Später sind es schwerere Geschosse, die auch die Gebäulichkeiten
treffen und stark beschädigen.
Mittwoch, den 24.
Januar wird Heinsberg von den Engländern besetzt.
Daraufhin wird in der folgenden Nacht die deutsche Front auf das diesseitige
Roerufer zurückgezogen.
Nach Ophoven, Steinkirchen und Effeld kommen 2 Kompanien Infanterie, die
1. und 3. Kompanie des Inf.-Reg. 1218, 176. Division, im ganzen etwa 80
Mann, dazu 3 Granat-werfer und einige Maschinengewehre.
Nur ein Stützpunkt bleibt jenseits der Roer in Karken-End.
Die zurückflutende deutsche Front bietet ein trostloses Bild:
Soldaten in mangelhafter Bekleidung, eher fahrend Volk denn
kämpfende Truppe, nur Handfeuerwaffen ohne Deckung durch die Artillerie;
lediglich 2 Granatwerfer und 2 Maschinengewehre können auf 1 km Frontabschnitt
die Infanterie unterstützen.
Aber auch den technischen Waffen fehlt es an Munition.
Bei einem Feuerbefehl der Division für ein MG gibt der
Oberfeldwebel durchs Telefon zurück: Ich habe nur 123 Schuß
Munition.
In der Nacht vom 26.
zum 27. Januar rückt ein Pionierkommando zum Minenlegen in Steinkirchen
ein. 2.000 Minen sollen im Gelände zwischen Steinkirchen und Roer
gelegt werden.
Aber nur etwa der 10. Teil davon wird gelegt, weil die Soldaten kampfmüde
sind und die erteilten Befehle nur lässig ausführen.
Dienstag, den 6. Februar kommt der Divisionsbefehl:
Jeder Zivilist im Frontgebiet wird ohne Anruf erschossen!
Die Zivilisten bleiben dennoch.
In der Nacht vom 9. zum 10. Februar kommt Hochwasser.
Die Deutschen haben die Talsperren in der Eifel gesprengt. Das Gelände
um Effeld und Steinkirchen wird in Sumpf und See verwandelt.
Schnell ergießen sich die Fluten bis an den Rand der Dörfer,
setzen viele Keller unter Wasser, begünstigt durch die zahlreichen
Lauf- und Panzergräben, die das Land durch- ziehen und Verbindung
haben mit der Roer.
Gott Dank dauert die Überschwemmung nur wenige Tage.
Vom 20. Februar ab wird das feindliche Artilleriefeuer wesentlich
stärker, was wohl dem Umstande zuzuschreiben ist, daß die Amerikaner
anstelle der Engländer inzwischen den hiesigen Frontabschnitt übernommen
haben und eine große Offensive einleiten.
Es hat sich später gezeigt, daß diese Offensive die entscheidendste
dieses Krieges war.
Lange hats gedauert, bis der Feind die Roer überschritt; als
der Übergang aber erzwungen war, ist er nirgendwo mehr, auch nicht
am Rhein solange aufgehalten worden wie hier.
Der Feind hat sich im Bewußtsein seiner Überlegenheit die Zeit
genommen, soviel Reserven an Menschen und Material im Roer-Abschnitt anzusammeln,
daß sein Vordringen in Deutschland durch nichts mehr aufgehalten
werden konnte.
Vom 22. bis 28. Februar fallen durchschnittlich täglich 1.000
Schuß in das ca. 3 km lange Gelände zwischen Ophoven und der
holländischen Grenze, Salven aller Kaliber, vom kleinsten bis zum
schwersten, Granaten mit und ohne Verzögerung, Schrapnells und Phosphorgeschosse.
Offenbar der Anfang der großen Offensive.
Freitag, den 23. Februar kommt in der Frühe die Meldung nach
Steinkirchen:
die Kirche in Effeld brennt.
Wie der Brand entstanden ist, konnte nicht einwandfrei festgestellt werden.
Wenn durch Artilleriebeschuß, dann muß der Brand von den Soldaten
gelöscht worden sein, denn auf dem Kirchenspeicher brannte das Orgelgebläse
vollständig aus, ohne daß das Feuer auf den Dachstuhl übergriff.
Deutsche Soldaten, die beim Rückzug durch Amern kamen, erklärten
einem dort evakuierten Effelder Bewohner:
In Effeld haben sie mit Panzerfaust in der Kirche gehaust.
Wie dem auch sei, man muß sich wundern und sich freuen, daß
der Brand dem Gotteshause nicht mehr geschadet hat.
Auch 2 Häuser
in der Kreuzstraße (RÜTTEN und HEUTERS) sind um diese Zeit
durch die feindliche Artillerie in Brand geschossen worden.
An demselben Tage
erzwingen die Amerikaner bei Linnich den Übergang über die
Roer und breiten sich fächerförmig auf dem diesseitigen
Ufer aus.
Damit ist der deutsche Widerstand im Westen endgültig gebrochen.
Ein Keil des amerikanischen Vormarsches wird parallel der Roer in Richtung
holländische Grenze, also in unsere Heimat vorgetrieben.
Der Stützpunkt Karken-End jenseits der Roer hat bisher standgehalten.
Er war bei seiner größten Stärke mit 35 Mann besetzt.
Von Steinkirchen aus über einen Notsteg wurde er mit Munition und
Verpflegung versorgt. Von hier aus erfolgten auch die Stoß- und
Spähtruppunternehmungen. Aber er hat 25 Tote und viele Schwerverwundete
gekostet; davon war nur ein Opfer durch Nahberührung mit dem Feind,
alle andern durch feindliche Artillerie und eigene Minen.
Strategisch war der Stützpunkt wertlos, denn er hat den Feind tatsächlich
nicht aufgehalten. Er hat unsrem Ort viel Beschuß und unsern Soldaten
große Verluste gebracht.
In der Nacht zum 24. Februar wird er von den Deutschen aufgegeben.
Die letzten Soldaten ziehen sich unter Zerstörung des Notsteges nach
Steinkirchen zurück.
In der Frühe des 24. Februar setzt von Karken aus ein vernichtendes
Maschinengewehrfeuer ein, das das Gelände um Steinkirchen mit schwerem
Feuer bestreicht und es keinem ermöglicht, die Straße zu betreten.
Zwischen 9 und 10 Uhr wird der Helm des Turmes von Steinkirchen von
Panzern abgeschossen.
Nach den Spuren der Einschläge zu urteilen, ist anzunehmen, daß
der Beschuß vom Kempener Friedhof (zwischen Kempen und Karken) aus
erfolgte. Der Feind hatte wohl in dem hohen Turm einen deutschen Beobachtungsposten
vermutet. Dies war jedoch nicht der Fall. Wohl hatte der viel niedrigere
Turm von Effeld seinen solchen Beobachtungsposten monatelang beherbergt.
Nun ist der altehrwürdige Turm der Pfarrkirche, der unter Denkmalschutz
stand, weil er aus dem 14.-15. Jahrhundert stammte, ein Opfer des Krieges
geworden. Noch ist das Mauerwerk größtenteils erhalten, aber
bei den viel dringenderen Sorgen der ersten Nachkriegszeit wird es kein
Leichtes sein, den Turm wieder aufzubauen.
Bei dieser Gelegenheit erhält die Kirche in Steinkirchen auch mehrere
Treffer im Dach und in den Chorfenstern.
Es steht nun fest:
Der Feind ist bereits in Karken und wahrscheinlich auch in Kempen.
Sonntag, den 25.
Februar: Das Artilleriefeuer nimmt noch zu und steigert sich immer
mehr in den folgenden Tagen.
Die bisherige deutsche Besatzung wird nach Etsberg bei Vlodrop (Holland)
verlegt, eine andere Truppe rückt dafür ein.
Montag, den 26. Februar: Durch Phosphorbeschuß entstehen
in Steinkirchen drei Großbrände: Haus Nr. 4 (erbaut 1938) verliert
Stallungen und Scheune samt Vieh und Vorrat, Haus Nr. 12 brennt ganz ab,
von Haus Nr. 11 und 18 werden die Stallgebäude vernichtet.
In der Nacht zu Dienstag, dem 27. Februar rücken die nachts
vorher gekommenen Truppen wieder ab, eilig, mit unbekanntem Ziel, alles
außer Handgepäck zurücklassend. Nach ihrem Abzug wird
noch ein kleiner Spähtrupp ängstlich suchend in Steinkirchen
beobachtet.
Am Morgen wird festgestellt, daß die hohen Lindenbäume vor
der Kirche, sowie die beiden herrlichen unter Naturschutz stehenden Lindengruppen
am Schloßkreuz und am Mirbacher Kreuz von
einem Sprengkommando umgelegt worden sind, um als Panzersperre gegen den
erwarteten Feind zu dienen.
Wenn diese Maßnahme in Steinkirchen noch einen Sinn hatte, da die
Straße durch die gefällten Baumriesen tatsächlich gesperrt
war, so war sie an den genannten Kreuzen Blödsinn und Verbrechen,
denn hier konnten die Hindernisse ohne jeden Aufenthalt über die
Felder umfahren werden.
Effeld und Steinkirchen
sind nun von den Deutschen verlassen, der Feind ist jeden Augenblick zu
erwarten.
Am Abend dieses Dienstag sind die Standhaften von Steinkirchen
im Keller des Hauses Nr. 4 versammelt.
Nachdem sie dem Herrgott in herzlicher Weise für seinen Schutz gedankt
und um seinen weiteren Beistand angefleht haben, legen sie sich zur Ruhe
nieder.
Aber bei dem fürchterlichen Schießen ist an Schlaf nicht zu
denken.
Beim Morgengrauen hört er Beschuß plötzlich auf.
Mittwoch, den 28. Februar: gegen 9 Uhr morgens stellt eine der
in Steinkirchen verbliebenen Frauen fest, daß ein großer Trupp
Soldaten auf einem Feldwege von Ophoven nach Effeld zieht.
Sind es Deutsche, oder ist es der Feind?
Eine andere Frau, die sich nach draußen gewagt hat, erblickt einen
fremden Soldaten. Sie flüchtet daraufhin ins Haus zurück. Das
Haus wird beschossen. Soldaten dringen ein und fordern die Bewohnerin
auf anzugeben, ob noch mehr Zivilisten im Orte seien und wo sie sich aufhalten.
Sie folgt der Aufforderung und geht zum Versteck der übrigen. Ein
energisches Raus! Raus wird in den Keller hinein gerufen.
Zögernd folgen die Eingeschlossenen dem Befehl und sehen sich oben
einer größeren Zahl von amerikanischen Soldaten gegenüber,
die mit ihren Maschinenpistolen im Anschlag an der Haustür Spalier
bilden und ihre Bewachung übernehmen.
Es ist also tatsächlich der Feind, der soeben in Steinkirchen eingezogen
ist und sich bereits auf dem Weitermarsch nach Effeld befindet.
Von den Standhaften wird er mehr als Befreier angesehen, denn,
so schreibt einer der Miterlebenden, so lieblich wie an jenem Morgen
hat mir wohl noch kaum die Sonne geschienen, so würzig war mir nie
die Luft, so schön nie die Natur.............Wir waren frei! Frei
von langer, banger Kellerhaft, befreit auch von viel seelischer Not.
Unter Bewachung von amerikanischen Mannschaften werden die Zivilisten
von Steinkirchen nach Ophoven geführt, wo sie zunächst ins Pfarrhaus,
später in das Haus des Kirchenrendanten SCHLÖSSER neben der
Mühle gebracht werden. Das ist ihr Internierungslager,
das mit Doppelposten an der Zimmertür und am Haustor bewacht wird.
Nach und nach kommen noch mehr aufgegriffene Zivilisten aus Ophoven, Gut
Kromland bei Elsum, Rosenthal und Eulenbusch in das Internierungslager.
Am folgenden Tag wird die Bewachung gelockert.
Den Frauenspersonen wird gestattet, in Begleitung eines Soldaten nach
Steinkirchen zu gehen, um das Vieh zu versorgen und notwendiges Hausgerät,
sowie fehlende Kleidungsstücke zu holen.
Nach der Eroberung
von Steinkirchen setzen die Amerikaner ihren Marsch nach Effeld fort.
Nach einigen Schüssen aus Panzergeschützen, die u.a. Häuser
in der Dorfstraße beschädigen, dringen sie aus
Richtung Friedhof-Neuerburg kommend über Kreuz-
und Dorfstraße in den soldaten- und menschenleeren Ort
ein. Es ist eine Abteilung der 134. amerikanischen Infanterie-Division.
Im Pfarrhause wird ein Gefechtsstand eingerichtet.
2 Maschinengewehrnester im Pfarrgarten und im Garten des Kirchenrendanten
Franz JANSEN werden vorsichtshalber ausgeworfen, um das Gelände zwischen
Dorfrand und Wald, wohin die Deutschen abgezogen sind, zu sichern.
Die Maßnahme ist aber überflüssig, denn die Deutschen
haben auch den Wald schon längst aufgegeben.
Alle deutschen Verteidigungsmaßnahmen
um Effeld (Panzergräben, Schützengräben, Panzersperren,
Brückensprengungen, Minenfelder, usw.)
waren praktisch zwecklos und haben den Feind nicht aufgehalten, da dieser
gegen Erwarten nicht vom Süden über die Roer, sondern von Osten
entlang der Roer in unsere Heimat vorgestoßen ist.
Der 28. Februar 1945
ist für die Pfarre der große, denkwürdige Tag, der für
sie das Ende des Krieges bedeutete. Nun hörte all die Not und Bedrängnis
auf, die durch die Räumung über sie gekommen war. Ein Ende war
gesetzt der sinnlosen Vernichtung von Hab und Gut. Die Pfarrkinder konnten
wieder heimkehren, die Heimat war gerettet.
Wenn sie auch schwere Kriegswunden davontrug, so durfte sie sich doch
sehr glücklich schätzen, nicht ganz vernichtet zu sein. Denn
es war Befehl von oben, daß die letzten Soldaten, ehe
sie abzogen, jedes Haus in Brand steckten. Wenn sie es nicht getan haben,
ist es vielleicht geschehen aus Dankbarkeit für die gute Behandlung,
die die letzte deutsche Truppe in Steinkirchen gefunden hat.
Freitag, den 2. März ziehen die Amerikaner stärkere Kräfte
heran und verfolgen die Deutschen nach Holland (über die Zollstraße
bei Rothenbach) und nach Dalheim.
In der Nacht zum 4. März verlassen sie Effeld und Steinkirchen,
weil diese Orte nunmehr im Rücken ihrer Front liegen und keiner Besatzung
mehr bedürfen.
Sonntag, den 4. März stellen die Internierten von Ophoven
fest, daß die amerikanische Wache abgezogen ist. Sie verlassen daraufhin
das Haus SCHLÖSSER und kehren nach Steinkirchen bezw. Effeld zurück.
Montag, den 5. März kommen die zwei ersten Effelder Familien,
die in letzter Stunde nur bis zum Gitstapper Hof bezw. in
den Wald bei Rothenbach geflüchtet waren, in ihre Häuser zurück.
Ein 77jähriger Mann, der in Amern evakuiert war, kehrt am 6. März
als erster aus weiterer Entfernung nach Überwindung von vielen Wegehindernissen
nach Effeld zurück.
Aber auch viele Zivilisten aus den benachbarten Dörfern in Holland,
besonders Vlodrop, finden sich in Effeld ein und nehmen die Gelegenheit
wahr, das verlassene Dorf mit zynischer Frechheit auszuplündern,
um, wie sie sagen, sich das von den deutschen Soldaten in Holland Gestohlene
wiederzuholen.
Unterdessen harre ich in Wanlo gespannt des Augenblicks, da ich wieder
in die Pfarre zurückkehren kann. Ich bin entschlossen, die Heimreise
um keine Stunde unnütz zu verzögern.
Auch hier hat man die Bevölkerung, besonders die Flüchtlinge
(800 waren es in Wanlo bei 1.100 Eingesessenen) oft aufgefordert, den
Ort zu räumen, aber ohne Erfolg.
Noch am 26. Februar gibt die Parteileitung einen letzten strengen Räumungsbefehl
heraus. Aber die Parteigenossen geben den Befehl an die Bevölkerung
nicht weiter.
In der Nacht zum 27. Februar wird Wanlo von der feindlichen Artillerie
heftig beschossen. Gegen Morgen läßt der Beschuß nach,
dafür setzt Panzerbeschuß ein, der allerdings nicht so heftig
ist, aber bis gegen 3 Uhr nachmittags anhält. Gegen 5 Uhr rückt
amerikanische Infanterie ein und besetzt kampflos das Dorf.
Was inzwischen in Effeld vor sich gegangen ist, ist nicht zu erfahren,
da jegliche Nachrichtenvermittlung fehlt. Tage vergehen in untätigem
Abwarten.
Sonntag, den 11. März erzählt man sich in Wanlo, daß
die Dörfer an der Roer frei seien, und daß man mit Genehmigung
des belgischen Besatzungskommandanten in Grambusch bei Erkelenz dorthin
zurückreisen könne.
Sofort trete ich per Rad die Reise nach Grambusch an.
Der Kommandant ist nicht zu sprechen; aber die belgischen Posten gestatten
mir, ohne Ausweis nach Effeld weiterzufahren.
Die Reise geht durch halbzerstörte, menschenleere Dörfer, über
zerschossene Straßen, trümmerbesäte Wege, vorbei an zurückgelassenen
Geschützen und Munitionsstapeln, durch Panzer- und Schützengräben,
über die Betonblöcke von gesprengten Eisenbahn- brücken.
Viele Kirchtürme, die sonst den Horizont säumten, sind nicht
mehr zu sehen; sie liegen in Schutt und Asche, von feindlichen Granaten
getroffen oder von unsern Soldaten gesprengt.
In die Nähe von Effeld angelangt stelle ich fest, daß der Helm
des alten Turmes von Steinkirchen fehlt. Die Kirche von Effeld hat keine
Dachziegel mehr. Der Ort selbst macht den Eindruck, als wenn er wieder
bevölkert wäre.
Aber es sind nicht die Bewohner, sondern es sind Holländer, die von
Haus zu Haus gehen und alles stehlen, was sie tragen können.
Es ist der plündernde Mob von jenseits der Grenze, der die Abwesenheit
der Eigentümer ausnützt, um sich gewissenlos zu bereichern.
Auch im Pfarrhause treffe ich ein halbes Dutzend Plünderer bei ihrem
unsauberen Handwerk an.
Zur Rede gestellt, wollen sie sich damit rechtfertigen, daß unsere
Soldaten es ähnlich in Holland getrieben haben. Darauf kann ich ihnen
erwidern, daß sämtlicher Schaden, den der Krieg in Holland
verursacht hat, von Deutschland wiedergutgemacht werden wird. Was sie
dagegen uns jetzt stehlen, wird uns niemand ersetzen. Sie machen sich
jetzt selbst bezahlt für die erlittenen Verluste und werden später
auch noch ihren Anteil an den Reparationsleistungen erhalten, so daß
sie doppelt entschädigt sind, während wir, die wir die Kosten
des Krieges zu tragen haben und dazu jetzt noch unsere Habe verlieren,
doppelt geschädigt sind.
Die meisten und besten Möbelstücke und Einrichtungsgegenstände
fehlen bereits im Pfarrhause.
In Effeld finde ich die 3 aus Steinkirchen oder der nächsten Umgebung
zurückgekehrten Familien vor.
Nach einem schnellen Rundgang durch den Ort, um die Plünderer zu
verscheuchen, muß ich die Rückfahrt nach Wanlo antreten.
Montag, den 12. März stellt der Kommandant von Grambusch die
Einreiseerlaubnis nach Effeld aus.
Am gleichen Tage erfolgt die definitive Übersiedlung in die Heimat.
Ich bin der zweite, der aus weiterer Entfernung in die Pfarre zurückkehrt.
Effeld und Steinkirchen haben durch Kriegseinwirkung ziemlich schwer
gelitten:
5 Häuser sind vollständig ausgebrannt, ca. 1 Dutzend sind so
schwer beschädigt, daß sie nicht bewohnbar sind, viele weisen
große Artillerietreffer auf, die Dächer sind zum größten
Teil abgedeckt, kaum eine Fensterscheibe ist noch ganz.
Die Kirche in Steinkirchen hat keinen Turmhelm mehr, das Dach hat mehrere
Löcher, die Chorfenster sind zertrümmert.
Das Gotteshaus in Effeld hat mehrere Volltreffer erhalten, so an der Giebelspitze
über dem Hauptportal und am Eingang der Sakristei, das Dach ist ohne
Ziegel, die Fenster sind schwer beschädigt, das Orgelgebläse
ist vernichtet.
Das Pfarrhaus weist einen Volltreffer und viele kleine Beschädigungen
auf.
Jedoch muß Gott Dank gesagt werden, daß unsere Pfarre weniger
gelitten als die Ortschaften der nächsten Umgebung.
Die Nachricht, daß Effeld frei ist, verbreitet sich schnell unter
den Evakuierten, so daß ab 13. März immer mehr Familien heimkehren.
Die ersten Wochen in den Trümmern sind schwer: kein wohnliches Heim,
es fehlen die unentbehrlichsten Hausgegenstände, keine Lebensmittel,
Straßen und Häuser angefüllt mit Trümmern, das Zunehmen
der Plünderungen durch die Holländer, die nicht scheuen, unsere
Sachen und Vorräte mit Fuhrwerken wegzuschaffen.
Die Gotteshäuser in Effeld und Steinkirchen sind so voller Schutt,
daß in der ersten Woche kein Gottesdienst gehalten werden kann.
In der zweiten Woche wird wieder hl. Messe gefeiert, aber ohne Meßdiener
(sie sind noch nicht aus der Evakuierung heimgekehrt) und ohne Kerzen.
Nach und nach kann die Meßfeier wieder allen liturgischen Vorschriften
entsprechend vorgenommen werden.
Von Ostern an ist wieder kirchliches Leben wie früher, wenn auch
nur mit kaum der Hälfte der Katholiken.
Die Erstkommunionfeier fällt in diesem Jahre aus.
Das Plündern der Holländer nimmt immer größeren
Umfang und schlimmere Formen an; sie kommen in geschlossenen Gruppen und
mit Gewehren und Handgranaten bewaffnet. Die Bevölkerung ist empört
und zur Abwehr entschlossen; es droht zu blutigen Zwischenfällen
zu kommen.
Da verständige ich die amerikanische Militärpolizei in Wassenberg,
die nun öfters Polizeistreifen nach hier entsendet und so allmählich
Ruhe und Sicherheit wiederherstellt.
Nach vielen Bemühungen gelingt es,in Niederkrüchten Dachziegel
für die Kirche in Effeld zu erstehen.
Die anwesenden Pferdebesitzer holen sie in 2tägiger Arbeit nach hier,
Männer und Jünglinge decken die Kirche wieder damit zu, so daß
das Gebäude einstweilen vor Witterungsschäden geschützt
ist.
Die Bevölkerung wächst ständig an.
Um Ostern ist sie auf ca. 300 Einwohner angestiegen.
Die Gemeinde ist ohne Oberhaupt. Da kommt von der amerikanischen Kreiskommandantur
in Ratheim die Anordnung, daß ich als Pfarrer das Amt des Ortsbürgermeisters
übernehmen soll. In dieser Stellung obliegt mir eine vielfältige
und nicht leichte Aufgabe: die Wege und Straßen passierbar zu machen,
Notbrücken zu bauen, Schützen- und Panzergräben anzufüllen,
möglichst alles brachliegende Land zu bestellen, Saatgut und Brotgetreide
zu beschaffen, Lebensmittel, Kleiderstoffe, Werkzeuge usw. hereinzuholen,
denn an all diesen Dingen fehlt es in der Gemeinde.
Die Aufgaben können in zufriedenstellender Weise gelöst werden.
Die Bevölkerung hat in vorbildlicher Gemeinschaftsarbeit wochenlang
Großes geleistet, dem Dorfe wieder ein sauberes Aussehen verliehen
und ca. 2/3 der Bodenfläche für die Ernte bestellt.
Anfang Juni wird das Amt des Ortsbürgermeisters wieder von einem
Laien übernommen.
Am 8. Mai kommt die Nachricht, daß der Krieg zu Ende ist.
Was ist seit dem Durchmarsch des Feindes durch unsere Heimat geschehen?
Am 8. März ist Köln gefallen, am 9. März hat der Feind
einen Brückenkopf bei Remagen bilden können, am 23. März
wird der Rhein im Norden bei Wesel, im Süden bei Oppenheim überschritten.
Anfang April wird das Ruhrgebiet eingekesselt, am 10. April stehen englische
Truppen vor Bremen, in Bayern stoßen die Amerikaner bis Würzburg
vor, am 17. April erreichen sie die Tschechoslowakei, am 24. April ziehen
die Russen in Berlin ein. Die deutsche Wehrmacht ist geschlagen.
Am 7. Mai streckt Deutschland bedingungslos die Waffen.
Der Krieg ist aus!
5 Jahre, 8 Monate und 7 Tage hat er gedauert.
Die ganze Welt atmet erlöst auf.
Nun ruhen wenigstens die Waffen, das Morden und Vernichten hat aufgehört,
der Wiederaufbau kann begonnen werden.
Freudigen Herzens dankt die Gemeinde am folgenden Sonntag dem Herrgott
für die Beendigung des Krieges und bittet um einen wahren, gerechten
Frieden.
Zum 29. Juni erscheint ein erstes Hirtenwort
unseres Aachener Bischofs. Es begrüßt die heimgekehrten Diözesanen
und wendet sich einer augenblicklich sehr dringenden Frage zu: der christlichen
Auffassung vom Eigentum.
Der Krieg im allgemeinen und die große Not in vielen Ortschaften
verleitet zu Unehrlichkeit und Diebstahl. Es gilt, die Gewissen zu schärfen
und dem Rechte Geltung zu verschaffen.
Auch in hiesiger Pfarre macht sich das Zeitübel bemerkbar, leider
sind manche Diebstähle zu beklagen, die von Einwohnern begangen worden
sind.
Von Anfang an hat der Nationalsozialismus alle erdenklichen Mittel angewandt,
um Anhänger zu werben.
Nicht nur eine Riesenpropaganda, das Versprechen von besseren Stellungen
und wirtschaftlichen Vorteilen, sondern auch das Androhen von Arbeitslosigkeit,
Amtsentlassung, Geschäftsstillegung stellte er gewissenlos in den
Dienst der Mitgliederwerbung.
Zuletzt ging seine Propaganda auch darauf hinaus, seine Anhänger
zum Austritt aus der Kirche zu bewegen. Leider haben nicht alle Katholiken
diesem Drucke widerstanden.
In unserer Gemeinde waren es 8, sechs Zollbeamten (bezw. deren Frauen)
und zwei Einheimische, die von 1938-1942 aus der katholischen Kirche ausgetreten
sind. Bevor sie wieder in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen werden
können, sollen sie - laut bischöflicher Anordnung - eine dreimonatige
Unterrichts- und Bewährungsfrist bestehen.
Die Kriegsteilnehmer kehren nach und nach heim, zuerst die aus
englischer und amerikanischer Gefangenschaft.
Rußland entläßt nur die verwundeten und kranken Soldaten,
die gesunden werden zum Arbeiten zurückbehalten oder sogar ins Innere
Rußlands bis nach Sibirien verschickt.
Bis zum 1. September ist ca. die Hälfte (etwa 100) der Kriegsteilnehmer
wieder daheim.
Die meisten von ihnen sind leiblich und seelisch stark deprimiert. Ihre
Gesichter tragen deutlich die Spuren der vielen erlittenen Entbehrungen.
Innerlich sind manche enttäuscht über das böse Kriegsende
und finden nur langsam den Anschluß an das normale Friedensleben
wieder. Religiös haben sie im allgemeinen nicht so schweren Schaden
genommen wie im ersten Weltkriege, einige haben die Probe des Krieges
tapfer bestanden.
Am 5. August findet in Dalheim das erste Treffen der katholischen
Jugend des Dekanates nach dem Kriege statt. Viele heimgekehrte Soldaten
nehmen daran teil. Der Festprediger spricht zu ihnen von der wahren Heimat,
die letzthin die Heimat in Gott ist.
Der Deutsche Episkopat versammelt sich zum ersten Male nach Kriegsende
wieder in Fulda im Juli.
Ihr gemeinsames Hirtenschreiben bezeichnet die Ehrfurcht als die notwendigste
Voraussetzung für den sittlichen und religiösen Wiederaufbau.
Der Nationalsozialismus hat versucht, dem Menschen die Ehrfurcht vor Gott
und vor dem Mitmenschen zu rauben. Religion, Gerechtigkeit und Liebe mußten
dadurch schwinden, und Gottlosigkeit, Grausamkeit und Haß an ihre
Stelle treten.
Eine Zeit reiner Diesseitigkeit ist zusammengebrochen und hat uns
ein ungeheures Trümmerfeld hinterlassen. Laßt uns diese Trümmer
beseitigen vor allem in Buße und Rückkehr zum Herrn, unserm
Gott!
Laßt uns ans Werk gehen und neu bauen auf dem festen Fundament des
Glaubens an den dreieinigen Gott, in Unterordnung unter Gottes hl. Willen!
Laßt uns unsern schweren Weg durch Arbeit, Not und Sorge gehen mit
dem Blick auf die ewigen Güter, die Gott uns verheißen hat
für unsern treuen Dienst hier auf Erden!
Sonntag, der 12. August wird von der ganzen Pfarre als Danktag
begangen dafür, daß Gott unsern Ort so gnädig beschützt
und vor größeren Verwüstungen bewahrt hat.
Unsere beiden Gotteshäuser sind noch erhalten, wenn auch beschädigt.
Die allermeisten Familien haben noch ihre Wohnung; ca. 1 Dutzend müssen
Notwohnun- gen bei fremden Familien beziehen.
Die Zivilbevölkerung hat wenig Verluste erlitten: 2 Tote (1 Erwachsener
bei der Räumung von Beamten der Grenzkontrolle erschossen, 1 Kind
bei einem Fliegerangriff in Sachsen tot geblieben) und 2 Verwundete (durch
Granatsplitter).
Im Verhältnis zu den Dörfern der Umgebung hat unsere Pfarre
am wenigsten gelitten.
Am Danksonntage schreitet deshalb die Pfarre geschlossen zum Tische des
Herrn, nimmt teil an den Dankgottesdiensten und spendet bei der Kollekte
die Summe von 3.007,89 M für die Wiederinstandsetzung unserer beiden
Kirchen.
Aber bald tauchen wieder neue Sorgen und Befürchtungen auf.
Holland, so heißt es, verlangt einen Streifen von 5 km Breite entlang
der deutschen Westgrenze als Entschädigung für das von Deutschland
während des Krieges verwüstete hollän dische Gebiet.
Das abzutretende Gelände soll von den deutschen Bewohnern geräumt
werden.
Der Grenzbevölkerung bemächtigt sich wieder dieselbe Unruhe
und Nervosität wie vor einem Jahre und wie zu Beginn des Krieges.
Wir beten täglich zu Gott um die Erhaltung der Heimat; unsere jährliche
Prozession zum Gnadenbilde der Lieblichen Mutter im benachbarten
Ophoven dient dem gleichen Anliegen, sie weist eine nie dagewesene Teilnehmerzahl
auf.
Verhandlungen zwischen den Besatzungsbehörden diesseits und jenseits
der Grenze führen zu dem Ergebnis, daß einstweilen keine Grenzveränderungen
vorgenommen werden. Diese sollen der Friedenskonferenz vorbehalten bleiben.
Holland erhält wohl das Recht, unsere Waldungen an der Grenze für
Nutz- und Heizzwecke abzuholzen. Die Wälder werden zu diesem Zwecke
abgesperrt und dürfen von Deutschen nicht mehr betreten werden; nur
die Hauptwaldwege bleiben benutzbar.
Tagtäglich hören wir nun die Axtschläge der holländischen
Waldarbeiter und sehen unsere schönen Kiefer- und Fichtenbestände
schwinden.
Die Gegend wird öder und kahler, ein Stück Heimat stirbt dahin.
Die englische Militärregierung drängt darauf, daß möglichst
bald die Volksschulen eröffnet werden.
Auch die Eltern wünschen dringend, daß die Kinder, die infolge
einer fast 12monatigen Ferienzeit zu verwildern drohen, endlich wieder
regelmäßigen Unterricht erhalten.
In Aachen wird die erste Schule eröffnet; aber es ist - entgegen
allen berechtigten Erwartungen der katholischen Bevölkerung - keine
konfessionelle Schule, sondern eine sogenannte christliche Simultanschule,
die Religion nur als Nebenfach behandelt.
Da erwachen die Katholiken. Durch Eingaben verschiedener Behörden
an die Militär regierung wird beantragt, daß uns die Volksschule
von vor 1933 wiedergegeben wird, d.h. in katholischen Gegenden die katholische
Schule.
Deutlich formuliert der Bischof in einem besonderen Schreiben die Forderungen
der Katholiken:
katholische Schule für katholische Kinder, katholische Lehrer- und
Lehrerinnenausbildung, das Recht der Kirche zur Gründung katholischer
Unterrichtsanstalten unter Beseitigung des staatlichen Schulmonopols bei
Anerkennung des Aufsichtsrechts des Staates, die Gleichberechtigung der
katholischen Schulen und ihre Unterstützung aus öffentlichen
Mitteln.
Zur Unterstützung
dieser Forderungen und zur unwiderleglichen Bekundung unseres Willens
erfolgt am 19. August in der Kirche eine schriftliche und namentliche
Abstimmung über die Schule.
Das Ergebnis ist: 98,68 Prozent der Kirchenbesucher über 21 Jahre
(d.h. 94 Prozent der katholischen erwachsenen Bevölkerung überhaupt)
stimmt für die konfessionelle Schule.
Ähnlich ist das Ergebnis in den andern Pfarreien des Dekanates und
der Diözese.
In der Stadt M.-Gladbach hat man - entgegen dieser Abstimmung - die Simultanschule
einführen wollen. Die katholischen Eltern haben dann auf Anregung
der Geistlichkeit gestreikt und ihre Kinder vom Unterricht ferngehalten.
Die Behörden haben daraufhin nachgegeben und die konfessionelle Schule
konzediert.
Zur Unterrichtserteilung werden zuerst nur diejenigen Lehrpersonen zugelassen,
die nicht Mitglied der NSDAP waren.
Die übrigen werden zunächst auf ihre politische Einstellung
geprüft und nur nach Entscheidung der Militärregierung zugelassen.
Aus letzterem Grunde und wegen der Beschädigung des Schulgebäudes
kann der Schulunterricht in Effeld noch nicht beginnen.
Religionsunterricht wird wieder seit August in der Kirche zweimal wöchentlich
erteilt.
In der Nazizeit waren die Kreuze aus den Schulen entfernt worden. Der
National-sozialismus leugnete Christus und strebte eine offene Rückkehr
zum Heidentum an.
Auch in Effeld haben unbekannte Frevlerhände sich an den Kruzifixen
vergriffen und sie beseitigt.
Zur Sühne für diese Freveltat und zum Zeichen, daß wieder
eine christliche Epoche anbricht, werden die Kreuze am Sonntag, dem 30.
September in einem Nachmittagsgottesdienst feierlich gesegnet und in Prozession
zur Schule getragen, wo sie vom Priester an ihrem früheren Platze
angebracht werden.
Vidi in visit. Eccl.
22.XI.1946. gez. Ruppertzhoven, Dech.
7.V.47
gez. Joannes Joseph
Episc. Aqu.
Freitag, den 26. Oktober
wird auch die Schule in Effeld wieder als katholische Volksschule
eröffnet, einstweilen mit nur einer Lehrperson, dem bisherigen Lehrer
Robert BIERGANZ, der inzwischen aus dem Kriege heimgekehrt ist.
Das Schulgebäude ist nur notdürftig wiederhergestellt; es fehlt
das Lehr- und Lernmaterial; aber ein solcher Behelfsunterricht ist besser
als gar keiner.
Auch der Religions-Unterricht wird wieder in der Schule als ordentliches
Lehrfach erteilt.
Am 27. Oktober erhält Effeld wieder elektrischen Strom.
Für den Ort ein bedeutsames Ereignis, da Ersatz für elektrisches
Licht, wie Kerzen, Petroleum- oder Karbidlampen kaum zu beschaffen sind
und manche Familien die Abende in völliger Dunkelheit verbringen
mußten.
Seit Sonntag, dem 23. September ist in Steinkirchen kein Gottesdienst
mehr.
Die Schäden an der dortigen Kirche, besonders an Dach, Gewölbe
und Fenstern sind so erheblich, daß der Aufenthalt im Gotteshause
bei schlechter Witterung kaum möglich ist. Auch das Reinhalten der
Kirche ist bei dem beständigen Herabrieseln von Kalk und Steinteilchen
vom Gewölbe nicht mehr durchführbar.
Einstweilen ist an eine Beseitigung der Schäden leider nicht zu denken.
Die Bewohner von Steinkirchen müssen von nun ab den Gottesdienst
in Effeld oder in dem näher gelegenen Ophoven besuchen.
Die Meßbestellungen seitens der Gläubigen häufen
sich derart, daß eine Einschränkung in folgender Weise eingeführt
werden muß:
angenommen werden noch die Jahrgedächtnisse für die Verstorbenen
der letzten 10 Jahre,
Exequien, Brautämter, hl. Messen aus Anlaß von silbernen oder
goldenen Hochzeiten.
Andere hl. Messen, besonders solche in besonderer Meinung
können nicht mehr gelesen werden.
Dafür wird an jedem Herz-Jesu-Freitag eine Segensmesse in der Meinung
der Besteller gefeiert, zu der die Gläubigen ein beliebiges Opfer
in einen dafür bestimmten Opferstock legen können..
Am 29. November
wird wieder die Feier des Ewigen Gebetes gehalten.
Sie muß aber auf die Tagesstunden beschränkt werden, weil seitens
der englischen Militärregierung ein Ausgehverbot für die Zeit
von 10 Uhr abends bis 6 Uhr morgens besteht.
Viele Katholiken, die während der Nazizeit aus der Kirche ausgetreten
sind, haben den Wunsch, wieder in die Gemeinschaft der Kirche zurückzukehren.
Der Bischof ordnet an, daß in solchen Fällen zu untersuchen
ist, ob die betreffende Person aktiv gegen die Kirche gekämpft hat
oder andere zum Kirchenaustritt veranlaßt hat. Die Wiederaufnahme
darf in der Regel nur nach einer Bewährungsfrist von 3 Monaten erfolgen,
in denen der Betreffende am kirchlichen Leben und an einer vom Pfarrer
zu erteilenden Unterweisung teilnehmen muß.
Zu Weihnachten richtet der Bischof ein herzliches Hirtenwort
an seine Diözesanen, in dem er auf die heute so notwendige Pflicht
der Nächstenliebe hinweist:
Liebe, die in jedem Menschen den Bruder und die Schwester sieht.
Liebe, die barmherzig Schuld verzeiht und um eigene Armut und Sünde
weiß.
Liebe, die uns hindert, Pharisäer zu sein.
Liebe, die gütige Herzen und helfende Hände hat.
Liebe, die nicht des andern Hab und Gut mißachtet.
Liebe, die sich freihält von aller Art der Selbstsucht.
Liebe, die nicht Bettelleute abspeist.
Liebe, die nicht nur vom Überflusse mürrisch abgibt.
Liebe, die um eine Verantwortung vor Gott und dem allgemeinen Wohl weiß.
Liebe, die im Gesellschaftsleben, Wirtschaftsleben sich gerecht auswirkt.
Liebe, die auch das Parteileben entgiftet.
Liebe, die wahrhaft sozial ist.
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