Chronik der Kirchengemeinde Steinkirchen/Effeld  
   
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1941

Am 14. März feiert der Hochwürdigste Herr Apostolische Administrator von Aachen, Weihbischof Dr. Hermann Joseph STRÄTER sein goldenes Priesterjubiläum.
Infolge des Krieges sind äußere Feiern unmöglich, um so mehr gedenken die Gläubigen ihres hochverehrten und geliebten Oberhirten in der Kirche bei Gebet und Opferfeier.
Sonntag, den 16. März ist aus diesem Anlaß Hochamt mit ‘Te Deum’ und sakramentalem Segen, nachmittags Andacht in den Anliegen unseres Bistums und ihres Oberhirten.


In diesem Jahr findet die Feier der Erstkommunion nicht am ‘Weißen Sonntag’ (20. April) statt, sondern Ostersonntag, weil zu erwarten ist, daß der 20. April (HITLERS Geburtstag) für weltliche Veranstaltungen in Anspruch genommen wird.


Das an den Ostertagen übliche 40stündige Gebet wird in ein 13stündiges gekürzt und am Ostermontag gehalten.

Zur Intensivierung der Seelsorge an den einzelnen Ständen werden besondere kirchliche Veranstaltungen für sie gehalten:

Am 27. April ist ein vom Bischof angeordneter Kindersonntag.
Predigt, Vortrag und Kindergottesdienst erinnern sie an ihre Pflichten gegen die Eltern; das ist um so notwendiger, als durch die Einberufung vieler Väter die ganze Erziehungsarbeit auf die Schultern der Mütter gelegt ist.

Für die Mütter werden am gleichen Tage Standesvorträge von einem Pater gehalten mit dem wichtigen Thema:
Wie soll ich in der heutigen Zeit meine Kinder christlich unterrichten und erziehen?

Für die Männer findet am Sonntag, dem 4. Mai ein Bet- und Opfertag statt.
Eine gemeinsame Feierstunde für die katholischen Männer des Dekanates findet in der großen neuen Pfarrkirche zu Birgelen statt.
(Das alte Gotteshaus in Birgelen ist in den letzten Jahren zu einem größeren modernen Gotteshaus erweitert worden.)
Der Diözesanpräses für Männer-Seelsorge, Pfarrer Joseph TENBUSCH, ein Freund des derzeitigen Pfarrers von Steinkirchen, hält die Festpredigt.
Die Beteiligung der Männer ist trotz der vielen Einberufungen eine sehr gute.

Für die katholische Jugend (Jünglinge und Jungfrauen) wird am Sonntag, dem 8. Juni in Wassenberg eine Glaubensfeier veranstaltet.
Auch hier ist die Beteiligung und Haltung der Jugend äußerst lobenswert.

Der Reichsminister des Inneren hat für die Seelsorge in öffentlichen Krankenhäusern, Heil- und Pflegeanstalten angeordnet, daß die diensttuenden Pflegepersonen den Besuch des Geistlichen beim Kranken nur dann zulassen dürfen, wenn der Kranke den Besuch des Priesters ausdrücklich wünscht.
Damit nun bei Unglücksfällen oder plötzlichen Erkrankungen die religiöse Versorgung der in eine Krankenanstalt eingelieferten Katholiken sichergestellt wird, wird jeder Katholik aufgefordert, schon in gesunden Tagen folgende Erklärung schriftlich niederzulegen und zu unterschreiben:
„Bei Einlieferung in eine Krankenanstalt verlange ich in kürzester Zeit den Besuch des zuständigen römisch-katholischen Geistlichen.“
Vorgedruckte Erklärungen dieser Art werden an die Pfarrkinder verteilt und von allen unterzeichnet.
Die spätere Erfahrung hat erwiesen, daß die Krankenhäuser der näheren Umgebung dem katholischen Priester auch weiterhin ungehindert Zutritt zu den Kranken gewährt haben.


Die Kriegsverhältnisse bringen es mit sich, daß vielen Gläubigen der Empfang der hl. Kommunion, namentlich die Erfüllung des Nüchternheitsgebotes vor der hl. Kommunion sehr erschwert ist.
Folgende Erleichterungen und Dispensen werden deshalb für die Dauer des Krieges von der Kirche gewährt:

1. Wehrmachtsangehörige, ebenso Zivilarbeiter, die zu militärischen Arbeiten
eingezogen sind (z.B. Arbeitsdienst und ‘Organisation Todt’), ferner
Kriegsgefangene und Internierte können zu jeder Zeit des Tages und der Nacht und an jedem würdigen Ort die hl. Kommunion empfangen; sie sollen 4 Stunden vorher nüchtern sein.

2. Jugendliche (Schulentlassene, Jungmänner, Jungfrauen) in Landjahrheimen,
Reichsarbeitsdienstlagern und dergleichen können an Sonn- und Feiertagen,
auch nachmittags die hl. Kommunion empfangen, wenn sie 3 Stunden vorher nüchtern bleiben.

3. Angehörige des weiblichen Arbeitsdienstes brauchen unter gleichen Voraussetzungen nur 1 Stunde nüchtern zu sein.

4. Soldaten, die zum Kampf beordert sind, können zu jeder Tages- und Nachtzeit
mit völliger Dispens vom Nüchternheitsgebot die hl. Kommunion ‘per modum
Viatici’ empfangen.

5. Alle Gläubigen können an Tagen nach nächtlichem Fliegeralarm (d.h. nach
Mitternacht und vor 6 Uhr morgens) bis 4 Stunden vor der hl. Kommunion
etwas essen und bis 1 Stunde vor der hl. Kommunion etwas trinken.
Dasselbe gilt für die Kommunion am Nachmittage.

Die gleichen Erleichterungen sind dem zelebrierenden Priester gewährt.


Damit zeigt die Kirche eine wahrhaft mütterliche Klugheit und großherziges Entgegenkommen in diesen schweren Zeiten.
Viele Gläubige bringen es anfangs nicht fertig, von den gewohnten kirchlichen Bestimmungen abzugehen und von den gewährten Erleichterungen Gebrauch zu machen.
Der Sakramentenempfang bleibt jedoch ein reger und nimmt von Jahr zu Jahr zu.


Eine schöne Sitte,
die anderswo bereits besteht, ist die Zelebration von 6 heiligen Messen
(in jeder Woche 1) für einen Verstorbenen im Anschluß an die Beerdigung.
Sie wird auch hier eingeführt und von den Gläubigen freudig aufgenommen.


Das Kriegsgeschehen des Jahres 1941 ist gekennzeichnet durch den
Einbruch Deutschlands in Rußland am 22. Juli.
Auffallend schnell rücken unsere Truppen an der gesamten Ostfront vor. Im Oktober stehen sie im Norden unmittelbar vor Leningrad,im Mittelabschnitt kommen sie bis auf 48 km an Moskau heran, im Süden haben sie das Industriebecken des Donez erreicht. HITLER proklamiert am 3. Oktober:
„Ich spreche es heute aus, daß dieser Gegner (Rußland) gebrochen ist und sich nicht mehr erheben wird.“
Aber im Dezember setzt Rußland zum Gegenangriff an und wirft die deutschen Armeen unter verheerenden Niederlagen aus dem Umkreise von Moskau heraus.
Deutschland erleidet seine erste große Niederlage in diesem Kriege.

Die Heimat bangt um ihre Söhne an der Ostfront. Aus Effeld stehen viele Soldaten in Rußland. Aber Gott Dank gibt es keine Verluste unter ihnen.


Die Zentralstelle des BORROMÄUS-VEREINS in Bonn teilt uns mit, daß nach einer Verfügung der Geheimen Staatspolizei die Borromäus-Bibliotheken nur noch religiöse Bücher ausleihen dürfen; es brauchen jedoch nicht rein belehrende Bücher zu sein, es können auch Erzählungen mit religiösem Inhalt sein.
Daraufhin wird die Pfarrbücherei durchgesehen, und alle nicht religiösen Bücher zurückgehalten, d.h. ein Teil (die ältesten und weniger wertvollen Bände) wird pflichtgemäß an den Dechanten in Dalheim zur Aufbewahrung abgeliefert, ein anderer Teil (die besseren und wertvolleren Bände) bei zuverlässigen Privatpersonen des Ortes untergebracht, um sie einer zu erwartenden Beschlagnahme zu entziehen.
Am 20. Mai erscheinen 2 Beamte der GESTAPO Aachen im Pfarrhause, um sich von der Durchführung der Verfügung zu überzeugen. Sie stellen fest, daß noch religiös erzählende Bücher vorhanden sind und verfügen die Beschlagnahme des gesamten noch vorhandenen Bücherbestandes.


Ein Protest meinerseits, daß religiöse Bücher erzählenden Inhalts gestattet seien, fruchtet nichts.
Die Beamten erklären, sie hätten Anweisung, die Bibliothek überhaupt zu schließen und die vorhandenen Bücher ‘sicherzustellen’.
Diese werden in einer Truhe des Pfarrhauses eingeschlossen, und die Truhe versiegelt.
Damit ist die Pfarrbibliothek einstweilen amtlich außer Betrieb; im Stillen geht die Ausleihe an verschwiegene Leser weiter.


Nebenstehendes Gebet für unsere Soldaten wird seit einiger Zeit im Gottesdienst und in der Familie gern verrichtet:
(Das Gebet ist leider nicht mehr vorhanden!)


1942

Eine strenge und anhaltende Kälte setzt mit dem Jahresbeginn 1942 ein.
Tagelang fällt dichter Schnee, und die Gegend verwandelt sich bald in eine echt ‘russische’ Landschaft.
Die ältesten Einwohner entsinnen sich nicht, eine so große und so lange anhaltende Kälte erlebt zu haben.
Die Zeitungen berichten, es sei der strengste Winter seit 100 Jahren.
Die nebenstehenden Aufnahmen mögen dies bestätigen.
(Vgl. Fotos in der Originalchronik!)

Der Aschermittwoch (18. Februar) ist ein schwarzer Tag für die Pfarre:
Effeld verliert seine 3 Kirchenglocken
(Töne: a c´ d´ - ‘Te Deum-Geläute’).
Nach längeren Vorbereitungsarbeiten im Turm werden sie mittels Winde herabgelassen, auf einen Lastkraftwagen verfrachtet und zu einer Sammelstelle nach Kall in der Eifel gebracht. Sie sollen verhüttet und zu Kanonenmaterial umgeschmolzen werden. Traurig sehen die Pfarrangehörigen ihre Glocken scheiden, die, nachdem sie nur zu friedlichen und gottesdienstlichen Zwecken ihre eherne Stimme erhoben haben, nun Tod und Vernichtung auf die Menschen schleudern sollen. Manch einer macht die Bemerkung: „Das ist der Anfang unserer Niederlage. So war es im ersten Weltkriege auch!“

Zum 2. Male muß Effeld seine Glocken für Kriegszwecke abliefern.
Die ersten Glocken wurden im Jahre 1911 angeschafft und fielen dem Weltkrieg
1914-1918 zum Opfer. Die jetzigen wurden im Jahre 1925 beschafft, haben also kaum 17 Jahre Dienst getan.

Die alte Glocke von Steinkirchen (aus dem Jahre ‘1248’?) wurde von dort nach Effeld geholt und hier aufgehängt, um den Dienst der ‘Einberufenen’ zu übernehmen.

Bald trifft die erste Gefallenen-Nachricht ein.
Theo NELLISSEN, der einzige Sohn der Eheleute Johann NELLISSEN und Ida geborene BÖHLEN ist bei den Kämpfen in Rußland am 12. Dezember 1941 gefallen.
Die EXEQUIEN für gefallene Krieger der Gemeinde werden sonntags anstelle des Hochamts in der liturgischen Tagesfarbe gehalten, damit die ganze Pfarre sich daran beteiligen kann.
Vor der Kommunionbank ist ein einfaches Kriegergrab nachgebildet, vor welchem nach einer Ansprache des Priesters besonders zusammengestellte liturgische Gebete, zum Teil dem Begräbnisritus entnommen, verrichtet werden.

Unter der Orgelbühne ist eine schlichte Gedächtnisstätte für die Gefallenen errichtet. Holzkreuzchen mit dem Namen des toten Kriegers ersetzen das wirkliche Grab in fremder Erde. Sie sind mit kleinen Blumenvasen versehen und werden das ganze Jahr hindurch von den Angehörigen geschmückt. Es wird eifrig vor denselben für die Gefallenen gebetet.

Eine 2. Gefallenen-Nachricht folgt kurz darauf:
Herr Kaplan Richard HERMANNS, der im Jahre 1936 mehrere Monate hierselbst als Hauskaplan und Pfarrverwalter segensreich gewirkt hat, ist am 18. Januar
als Sanitätsgefreiter an der mittleren Ostfront gefallen. Auch für ihn werden unter großer Beteiligung der Pfarrgemeinde feierliche EXEQUIEN in der Kirche in Effeld gehalten.


Der Erzbischöfliche Stuhl von Köln, der seit dem Ableben des Kardinals Dr. Karl Joseph SCHULTE am . .1941 vakant ist, wird am 1. Mai 1942 wieder neu besetzt durch die Ernennung des bisherigen Regens des Kölner Priesterseminars Dr. Joseph FRINGS zum Erzbischof von Köln.
Der neu ernannte Erzbischof ist 55 Jahre alt, war 13 Jahre Pfarrer in Köln-Braunsfeld.
Ad multos annos!


Durch besondere Gesetze ist das Abhören von fremden Sendern im Radio verboten und schwer strafbar.
Mehrere Geistliche der Nachbardekanate Erkelenz und Wegberg werden wegen dieses Vergehens vom Sondergericht in Düsseldorf zum Teil zu Gefängnis verurteilt und zum Teil freigesprochen.
Das Verfahren wird kurz darauf auf Veranlassung der GESTAPO wieder aufgenommen, und das Reichsgericht als höchste Instanz verhängt über alle, auch über die Freigespro-chenen Zuchthausstrafen von mehreren Jahren.


Im Laufe des Winters sind viele Kinder auf längere Zeit erkrankt und konnten den Unterricht nicht besuchen.
Mit Rücksicht darauf wird die Erstkommunionfeier in diesem Jahre von Ostern auf Pfingsten verlegt.

Die Belieferung der Priester mit Meßwein wird immer schwieriger. Es muß äußerste Sparsamkeit geübt werden.
Das für die Konsekration verwendete Quantum wird so beschränkt, daß eine Flasche Wein (670 ccm) für einen Monat reichen muß.
Die Ritenkongregation gestattet, daß bei der ‘purificatio calicis et digitorum’ in der hl. Messe nur Wasser gebraucht wird.

Am 10. Mai ist die gesamte katholische Jugend des Dekanates zu einer Marienfeier in der Pfarrkirche zu Birgelen versammelt.
Die Beteiligung ist gut, jedoch merkt man, daß die Jungmännerwelt zum größten Teil an der Front steht.

Freitag, den 26. Juni kommt der Hochw. Herr Weihbischof Dr. Friedrich HÜNERMANN zur Firmung und Bischöflichen Visitation in unsere Pfarre.
Nachmittags 4 Uhr wird er am Kirchenportal in Effeld empfangen.
Eine Prozession zum Abholen des Bischofs wie in früheren Zeiten ist verboten.
58 junge Christen (27 Knaben und 31 Mädchen) empfangen das Sakrament des Heiligen Geistes. Die übrigen Gläubigen erneuern in die Hand des Bischofs ihr Firmversprechen.

Die Visitationsreise des Bischofs in unserem Dekanate schließt ab mit einer erhebenden Papstfeier am 28. Juni in Wassenberg, bei welcher der Hochwürdigste Herr die Festpredigt hält. Die Kirche ist überfüllt; das katholische Volk beweist, daß es nach solchen Kundgebungen verlangt als Protest gegen die vielen Einschränkungen, die der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit auferlegt sind.
Anlaß zu der Papstfeier war das 25jährige Bischofsjubiläum, das der Heilige Vater am 13. Mai diese Jahre begangen hat. Der Hochwürdigste Herr Administrator Dr. STRÄTER würdigt diese Tatsache in einem
Hirtenschreiben vom 5. Juni und schildert seine Tätigkeit als Nuntius in Deutschland, seine Hirtensorge um die christliche Ehe und Familie, um die christliche Erziehung.
Von den deutschen Katholiken hat PIUS XII. einmal gesagt:
„Ich weiß, daß die Katholiken Deutschlands ihre Ehre darein setzen, den Glauben an die göttliche Institution des Papsttums zur Tat werden zu lassen - auch da und gerade da, wo er die großen und letzten Lebensfragen berührt.“
Der Bischof fügt hinzu:
„Darin wollen wir den Redner von damals, den Jubilar von heute nicht enttäuschen; dessen sollen Freund und Feind gewiß sein.“


Zum 3. Male in diesem Jahre versammeln sich die deutschen Bischöfe in Fulda und nehmen Stellung zu den brennenden Fragen der Gegenwart.

In einem gemeinsamen Hirtenschreiben ermahnen sie zu Ehrfurcht und Treue gegen die katholische Kirche.
„Mögen irdische Reiche in den Fluten der Zeit zusammenstürzen, die Kirche steht auf felsenfestem Grunde und wird nicht zusammenbrechen. Sie erweist sich auch in den Stürmen und Wettern unserer bewegten Tage als unerschütterlicher Gottesbau und Gottes Ordnungsblock in der Welt.“

Am 6. Juni erscheint in ‘Heimat, Blätter für heimatliche Geschichte, Volks- und Naturkunde’, Beilage zur ‘Heinsberger Volkszeitung’, von P. A. THOLEN ein bemerkenswerter Artikel über
Die alte St. Martinskirche in Steinkirchen’,
der nebenstehend beigeheftet ist.


Das Kriegsgeschehen im Jahre 1942 ist gekennzeichnet durch folgende bedeutende Tatsachen:
An der Ostfront machen unsere Truppen gewaltige Fortschritte im Süden Rußlands.

Am 13. September dringen sie nach harten Kämpfen in Stalingrad ein.

In Afrika stehen die Deutschen fast an den Toren Ägyptens. Heftige Kämpfe entbrennen um die Bergfestung Tobruk, die mehrfach den Besitzer wechselt. Jedoch am 2. November durchbricht der englische Feldherr MONTGOMERY die Stellungen ROMMELS bei El Alamein.

Am 8. November gelingt es den Amerikanern, mit einer Flotte von 600 Schiffen, von unseren U-Booten ungehindert, in Französisch-Nord-Afrika zu landen.

Die Front vergrößert sich, der Feinde werden mehr.


1943

Die Not des Krieges wächst, es wächst auch das sehnliche Verlangen der Menschheit nach Frieden.

‘In dieser verhängnisvollen Stunde der menschlichen Geschichte’ wendet sich der Heilige Vater an das unbefleckte Herz Mariens und weiht ihr die ganze Christenheit.
In einem besonderen Weihegebet erbittet der Papst einen 4fachen Frieden:
den Frieden der Waffen, die Bekehrung der Heiden, die Wiedervereinigung der getrennten Christen, die Freiheit der katholischen Kirche.

Jeden Samstag während der heiligen Messe wird dieses Weihegebet von Priester und Volk verrichtet.

Zu Beginn der Fastenzeit erlassen die Bischöfe der Kölner und Paderborner Kirchenprovinz ein gemeinsames Hirtenschreiben über die Pflichten des 6. Gebotes.

„Wir sehen“, so erklären sie einleitend, „daß das 6. Gottesgebot nicht nur häufig und auf mannigfache Weise übertreten wird, sondern daß dieses Gebot vielfach grundsätzlich geleugnet wird.
Dieser gottlose Zeitgeist macht aus der weitverbreiteten Haltlosigkeit ein Recht, aus der geschlechtlichen Vergehung eine Tugend und reißt so die Widerstände des Geistes, die Hemmungen des Gewissens, die Rücksichten des Mitgefühls und der Rechtlichkeit nieder, die den Menschen bisher noch einigermaßen vor sich selbst schützten.
So ist die Unsittlichkeit in der Form der Unzucht aus gelegentlichen Entgleisungen zur bewußten Absage an die christliche Sitte, an das hier geltende Gottesgesetz, so ist sie zur gefährlichen Macht geworden, die Mark und Kraft des Volkes, besonders der Jugend zu vergiften droht.“

Im einzelnen behandelten die Bischöfe die voreheliche, die eheliche und die jungfräuliche Keuschheit, und stellen abschließend fest:

„Der genußsüchtige Naturalismus untergräbt die voreheliche Keuschheit der Jugend durch seine Forderung nach Freigabe der freien Liebe und die Gleichstellung der unehelichen mit der ehelichen Mutterschaft. Er untergräbt die eheliche Keuschheit durch seine Billigung des Ehebruchs und seine Rechtfertigung und Förderung der Ehescheidung.
Er bekämpft erbittert die jungfräuliche Keuschheit der freiwillig Ehelosen, deren Ideal er grundsätzlich verwirft.“

Statt der von Papst LEO XIII. vorgeschriebenen Gebete nach der stillen hl. Messe werden auf Anordnung des Bischofs folgende Fürbitten verrichtet:


„Lasset uns beten um Gottes Schutz für unser Volk und Vaterland vor allen feindlichen Anfällen und halte von uns fern die Verwüstungen des Krieges. Beschütze alle von uns, die in treuer Erfüllung ihrer Pflicht den Gefahren des Todes ausgesetzt sind.

V: Herr, erhöre unser Gebet - A: und laß unser Rufen zu Dir kommen.
V: Königin des Friedens, - A: bitte für uns.
V: Heiliger Michael, - A: bitte für uns.
V: Heiliger Bonifatius, - A: bitte für uns.
V: Heiliger Petrus Canisius, - A: bitte für uns.
Lasset uns beten!
V: Daß Du, o Gott, unsere Brüder im Felde beschützen und segnen wollest.
A: Wir bitten Dich, erhöre uns.
V: Daß Du unsere Kranken und verwundeten Soldaten trösten und ihnen die
Gesundheit wiederschenken wollest.
A: Wir bitten Dich, erhöre uns.
V: Daß Du Deine schützende Hand über unsere vermißten und gefangenen
Soldaten halten wollest.
A: Wir bitten Dich, erhöre uns.
V: Daß Du unsern gefallenen Kriegern die ewige Ruhe verleihen wollest.
A: Wir bitten Dich, erhöre uns.“


Dienstag, den 16. März ist der Hochwürdigste Herr Apostolische Administrator der Diözese Aachen, Dr. theol. Hermann Joseph STRÄTER im Alter von nahezu 77 Jahren nach kurzer Krankheit in die Ewigkeit heimgegangen.
Unermüdlich setzte der Verstorbene seine ganze Kraft für die ihm anvertrauten hohen Aufgaben ein, in allem geleitet von einem starken Gottvertrauen, wie es sein Wahlspruch bekundet: „Der Glaube siegt!“
Er war ein Priester und Bischof nach dem Herzen Gottes von tiefer Frömmigkeit und Demut und war bis in die letzten Tage seiner Krankheit unermüdlich für das Bistum tätig.

Als Schreiber dieser Zeilen in den Jahren 1935/36 wegen Bekämpfung des Nationalsozialismus 8 Monate Gefängnis verbüßen mußte, hat Weihbischof Dr. STRÄTER sich tatkräftig für ihn eingesetzt, ihm öfters ins Gefängnis geschrieben und ihm seinen Generalvikar zum Besuch geschickt.
So schrieb er am 9. April 1936:
„Nun steht das hochheilige Osterfest bevor, und wenn am Karsamstag beim feierlichen Pontifikalamt verkündigt wird:
Annuntio vobis gaudium magnum, quod est: Alleluia,
dann möchte ich meinerseits dieses frohe und große ‘Alleluia’ auch Ihnen in Ihre Zelle hineinrufen..... Nun freue ich mich darauf, Sie bald wieder zu sehen, habe auch in Ihrem Interesse etwas unternommen, was hoffentlich von Nutzen sein wird.....“

Die feierliche Beisetzung des verewigten Oberhirten erfolgt am 20. März in Aachen.
In allen Pfarr-, Rektorats- und Klosterkirchen werden feierliche EXEQUIEN gehalten.
i. P.!


Für die Zeit der Verwaisung des Bischöflichen Stuhls wird der Hochw. Herr Weihbischof Dr. HÜNERMANN zum Kapitularvikar gewählt.

Am 13. September kommt die frohe Kunde, daß das Bistum Aachen wieder einen Bischof hat.
Herr Prälat Johannes Joseph VAN DER VELDEN, bisher Regens des Priesterseminars, ist vom Heiligen Vater zum Bischof der Diözese Aachen ernannt worden, nachdem die Preußische Staatsregierung erklärt hatte, daß ihrerseits keine Bedenken gegen die vom Domkapitel vorgenommene Wahl bestünden.
Der neue Bischof ist geboren am 7. August 1891 zu Übach, Krs. Geilenkirchen,
zum Priester geweiht am 24. Juni 1915, danach Kaplan in Frielingsdorf, Krs. Wipperfürth,
1916 Kaplan in München-Gladbach ‘St. Bonifatius’, 1920 Rektor in Rheydt-Geneiken, 1926 Generalsekretär des ‘Franziskus-Xaverius-Missionsvereins’ in Aachen, 1929 Generaldirektor des Volksvereins für das katholische Deutschland in München-Gladbach, 1933 Vizepräsident des ‘Franziskus-Xaverius-Missionsvereins’, 1938 Regens des Priesterseminars.
Dem neuen Oberhirten gilt unser ehrfürchtiges Vertrauen, unser kindlicher Gehorsam, unser Gebet.
Ad multos annos!

Am 10. Oktober erfolgte seine feierliche Bischofsweihe und Inthronisation.


Datiert vom 29. Juni 1943 hat Papst PIUS XII. ein Rundschreiben über
die Kirche als mystischer Leib Christi
(‘Mystici corporis’)
erlassen.
Hauptgedanken des Schreibens sind:
Die Kirche ist ein Leib,
weil sie aus verschiedenartigen Gliedern mit verschiedenen Aufgaben zu einem gemeinsamen letzten Zweck besteht. Sie ist der Leib Christi, weil Christus ihr Stifter, ihr Haupt, ihr Erhalter, ihr Erlöser und Heiliger ist. Sie ist mystischer Leib, d.h. kein physischer, kein moralrechtlicher, sondern ein einzigartiger Leib, dessen Glieder im Heiligen Geiste übernatürlich verbunden sind.
Die geheimnisvolle Verbindung der Glieder mit Christus wird hergestellt durch Glaube, Hoffnung und Liebe, durch die Einwohnung des Heiligen Geistes, durch die Eucharistie. Des Katholiken Pflicht ist es, die Kirche zu lieben in ihrem Haupte und in ihren Gliedern, und zwar mit einer Liebe der Tat in Gebet und Opfer.
Die Vertiefung in die herrlichen Gedanken dieser Enzyklika dürfte die beste Festigung im Glauben und die beste geistige Ausrüstung im Kampfe gegen die kirchenfeindlichen Bestrebungen der Zeit sein.
Schade, daß der Krieg mit seinen immer stärker sich vordrängenden zeitlichen Sorgen nicht zum gebührenden Studium der Enzyklika kommen läßt!


Das religiöse Leben der Pfarre hält sich trotz des Krieges auf der Höhe, der Sakramentenempfang steigt, was wohl zu erklären ist aus der großen Not, die zu Gebet und religiösem Eifer antreibt.

Hier eine Übersicht
über die Zahl der jährlichen hl. Kommunionen seit 1937:
1937 - 17.000
1938 - 18.000
1939 - 19.000
1940 - 19.000
1941 - 18.000
1942 - 19.000
1943 - 21.000

Die Pfarre Steinkirchen steht in bezug auf Sakramentenempfang an dritthöchster Stelle; über ihr stehen Ophoven und Dalheim.


Nach Mitteilung des Bürgermeisteramtes Wassenberg
müssen ‘wegen der gespannten Luftlage’ alle Prozessionen unterbleiben, auch die Bitt prozessionen, die bisher hier noch gehalten wurden.


Tatsache ist, daß der Luftkrieg immer schlimmere Formen annimmt.
Nur im Anfang war Deutschland in der Luft überlegen, schon bald riß der Feind die Überlegenheit an sich.
Er setzt immer stärkere Bomberverbände ein, die bis ins Herz Deutschlands nach Berlin vordringen.
Sehr oft geht abends oder nachts die Sirene und schreckt die Menschen aus dem Schlafe auf. Manchmal hören wir stundenlang das Donnern der schweren Motoren in der Luft. Unsere Nachtjäger, stationiert im benachbarten Holland, sind auf der Hut und bringen manche feindliche Bomber zum Absturz. Wir sehen sie wie brennende Fackeln zur Erde stürzen, einige in unmittelbarer Nähe des Dorfes, wo sie als unkenntliche Trümmerhaufen liegen bleiben. Auch die Flak ist gut und legt einen dichten Sperrgürtel von krepierenden Granaten um unsere Städte.
Angriffe auf München-Gladbach, Krefeld, Düsseldorf, Köln und Aachen können von hier aus gut beobachtet werden. Schaurig ist der Anblick, wenn von unten her die Scheinwerfer ihre Strahlenbündel in die Höhe schicken, wenn von oben her Schwefel vom Himmel regnet, wenn der Widerschein der brennenden Städte die Wolkendecke erhellt, wenn die explodierenden Geschosse wie Sterne dazwischen stehen, wenn die Erde zittert und ein gewaltiger Geschützdonner das Ohr betäubt. Furchtbar ist dann der Gedanke an die vielen armen Menschen in den Städten, die dem Luftangriff zum Opfer fallen.
Ganz von selbst drängt sich dann die Bitte auf die Lippen:
Requiem aeternam dona eis, Domine!
Dona nobis pacem!


Durch die vielen nächtlichen Luftalarme des Schlafes beraubt wird die Bevölkerung immer unruhiger und nervöser, einige werden krankhaft ängstlich und tragen gesundheitliche Schäden davon.
Am schlimmsten leiden die armen Städter; alle, die einen schweren Luftangriff mitgemacht haben, erklären übereinstimmend, daß sie für nichts in der Welt einen zweiten erleben möchten.

Auch in unserem Orte werden von den Einwohnern sogenannte ‘Bunker’ errichtet, d.h. Erdlöcher mit einer dicken Erdschicht überdeckt, im Innern mit Holz oder Stroh ausgeschlagen, oft mit einem kleinen Ofen ausgerüstet, mit elektrischem Licht versehen, in denen man bei Luftgefahr Schutz suchen kann.


Die wichtigsten Kriegsereignisse des Jahres sind folgende:

Nach längerer Belagerung durch die Russen muß Feldmarschall PAULUS mit seiner erschöpften Armee in STALINGRAD kapitulieren.
Ist’s der Wendepunkt im Osten?

Am 12. Mai bricht der deutsche Widerstand in Tunis zusammen.

Am 10. Juli landen die Alliierten auf Sizilien und am 3. September in Süditalien.
5 Tage später kapituliert Italien bedingungslos und überläßt die Verteidigung des Landes den Deutschen.


1944

Immer klarer kommt uns zum Bewußtsein, daß auch wir ernstlich mit der Möglichkeit rechnen müssen, einmal Frontgebiet zu werden.
Nicht nur haben wir seit dem Jahre 1938 den sogenannten WESTWALL, eine mehrfach gegliederte, stark befestigte Bunkerlinie, die sich parallel der westdeutschen Grenze
- in unserer engeren Heimat durch die Ortschaften Orsbeck, Birgelen, Dalheim -
hinzieht.
Nun werden auch Maßnahmen für eine eventuelle Überschwemmung des ganzen Roertales getroffen.
Beim Herannahen des Feindes sollen die Sperrmauern der Urft und Roer in der Eifel gesprengt werden. Dadurch würden sich plötzlich Millionen cbm Wasser über das Land an der Roer ergießen.
Auch unser Ort würde natürlich überschwemmt werden und mehrere Meter tief unter Wasser stehen. Ein Schild in der Nähe des Waldes bezeichnet die Stelle, bis zu welcher die Flut kommen würde. Die Bevölkerung wird in Kenntnis gesetzt, daß sie im Ernstfalle sofort den Ort zu verlassen hat. Die Wege sind eigens gekennzeichnet, auf denen sie dem nassen Tod entrinnen kann.
Effeld muß den höher gelegenen Ort Rosenthal aufsuchen. Die Kirchenglocken
- die wenigen, die geblieben sind! - müssen das Alarmzeichen zum Aufbruch geben.


Die Aussicht, Hab und Gut plötzlich durch Überschwemmung zu verlieren, trägt natürlich nicht dazu bei, die Bevölkerung zu beruhigen, sondern versetzt sie in immer größere Angst und Nervosität.

Die im Pfarrhause versiegelten Bücher der Borromäus-Bibliothek werden eines Tages vom derzeitigen Bürgermeister von Wassenberg, ‘Parteigenosse’ SCHMITZ, abgeholt, um - wie es heißt - an die Büchereien der Wehrmacht vergeben zu werden.
Da mit einer solchen Aktion gerechnet wurde, ist rechtzeitig Vorsorge getroffen worden, daß nur ein Teil der Bücher ‘den Dieben’ in die Hände fällt.

Das erste Fastenhirtenschreiben des neuen Bischofs von Aachen behandelt die Familie, als „Urzelle, aus der alles Gemeinschaftsleben, auch der Staat Dauer und Kraft empfängt.. Ich sagte euch bereits, daß mein Bischofsring das Gold der Trauringe meiner Eltern in sich birgt, damit ich nie vergesse, daß mir selbst nächst der Gnade Gottes meine eigenen Eltern in der Familie alle Wegweisung und alles Glück des Lebens bereiteten.
Die Beamtenfamilie (der Vater war Zollinspektor), der ich entstamme, mußte ein tieferes Verwurzeln mit der Heimatscholle entbehren. Fünfzehnmal mußte der Vater den Wohnort wechseln. Um so mehr schloß sich aber die Familie in sich selbst zusammen, um so mehr war in der Fremde die geistige Gestalt der Eltern, ihr frommes und starkes vor uns gelebtes Beispiel, ihre heim- und familiengestaltende Liebe zusammenhaltenden Kraft................. Die schlichte, fromme Mutter, die nichts von aller großen Wissenschaft wußte, die aber ganz von ihrem Gott gebildet war, den gläubig sie im Herzen trug und dem sie sich in Demut schenkte, hat mir des Lebens Wert und Fülle mitgegeben.
Der ernste Vater, der nichts kannte als Dienst und Familie, nahm die Kraft zu einem harten Leben und zu strenger Pflichterfüllung, zu hingebender Sorge für seine große Kinderschar aus seinem Christentum, mit dem er Ernst gemacht und das er weitergab als köstliches Vermächtnis.....
Die Sorge um die religiöse Erziehung der Jugend gebe ich als euer Bischof euch, ihr christlichen Eltern, als heilige Verantwortung, die Gott euch auferlegt hat.
Vater und Mutter sind meine Mitbischöfe in ihren eigenen Familien.“


Am 11. April wird die Stadt Aachen aus der Luft schwer bombardiert.
Der Bischof schreibt:
„Erschüttert stehen wir alle vor dem namenlosen Leid, das der Fliegerangriff am Abend des 11. April über uns gebracht hat..... Drei Priester blieben tot.“
Der Herr Weihbischof und viele Geistliche verloren ihre ganze Habe.
Mehrere Kirchen wurden zerstört, so daß eine wirkliche Kirchennot in Aachen entstanden ist.
Klöster wurden vernichtet oder beschädigt. Schwestern kamen unter Trümmern und in Flammen um.
Das Priesterseminar wurde zum größten Teil vernichtet, seine prächtige Kapelle liegt in Trümmern.
Das Gebäude des Generalvikariats wurde so getroffen, daß es auf lange Zeit unbenutzbar bleibt.


Das Bischöfliche Generalvikariat wird kurz darauf nach Geilenkirchen, ‘Missionshaus St. Josef’ (Loherhof) verlegt. Im Oktober muß es wegen der Räumung von Geilenkirchen nach München-Gladbach, Franziskus-Heilstätte, Viersenerstraße 450 verlegt werden, wo auch der Weihbischof von Aachen weilt.


In diesem Jahr ist die Aachener Heiligtumsfahrt, die alle 7 Jahre stattfindet, fällig.
Sie kann aber wegen der Ungunst der Kriegsverhältnisse nicht gehalten werden; die Aachener Heiligtümer sind aus Gründen der Sicherheit ins Innere Deutschlands gebracht worden.

Der Gottbekenntnistag der katholischen Jugend findet auch in diesemJahre überall, wo es noch möglich ist, statt.
„Mitten in ernster Zeit“, schreibt der Bischof, „rufe ich Euch, katholische Jungen und Mädchen, zu einem Tage starken und verantwortungsbewußten Bekenntnisses.....................
Wir wollen nicht um uns schauen und klagen über Niedergang des Glaubens und der Sitte.
Wir sind überzeugt, ein Volk glaubt an Ideen, wenn es die Menschen sieht, die sie leben, und aus der Tiefe der deutschen Seele wird gelebtes Christentum herrliche Aufbaukräfte gestalten für das Reich Gottes im Reich der Deutschen."

Unter dem Leitgedanken ‘Löschet den Geist nicht aus!’ versammelt sich die katholische Jugend des Dekanates am 18. Juni in der Pfarrkirche zu Birgelen.
Zahlreich und begeistert wie immer ist die Jugend auch diesmal dabei.


Das Leben in den Städten wird immer schwieriger und gefährlicher.
Wer es kann, sucht Zuflucht auf dem Lande.
So kommt Herr Pfarrer a.D. Johannes DRITTE (73 Jahre alt), zuletzt Pfarrer in Langbroich, Dekanat Gangelt, im Juni aus München-Gladbach nach Effeld und wird mit seiner Haushälterin im Pfarrhause aufgenommen, wo er ein ruhigeres und vor Fliegerangriffen besser gesichertes Leben führen kann.


Am 6. Juni gelingt es dem Feinde, an der Atlantikküste bei Cherbourg (Normandie) trotz des ATLANTIKWALLES mit starken Kräften zu landen und festen Fuß zu fassen.
Ziemlich schnell erobert er die Normandie und drängt unsere Front in Richtung Paris zurück. Die französische Hauptstadt fällt am 25. August.
Der Westen Deutschlands ist bedroht.
Die deutsche Grenzbevölkerung im Rheinland wird zur EVAKUIERUNG aufgerufen.
Die wenigsten jedoch leisten der Aufforderung Folge und widerstehen allen Drohungen und Zwangsmaßnahmen. Sie wollen eher sterben als die Heimat verlassen.
Auch die Aachener halten stand, mit ihnen der Bischof, der in der Stadt bleibt und nun getrennt ist von seiner Bischöflichen Verwaltung in München-Gladbach.
Den Geistlichen wird vom Generalvikar empfohlen, sich den evakuierten Gläubigen anzuschließen und in der Diaspora Mitteldeutschlands sich den Bischöfen von Paderborn und Hildesheim für die Seelsorge der Evakuierten zur Verfügung zu stellen.


Aber so schlecht wie die Gläubigen können sich auch die Priester von ihren Pfarreien trennen.
Wo noch Laien in größerer Zahl zurückgeblieben sind, sind auch Priester notwendig, um deren seelische Betreuung zu übernehmen.

Effeld wird stark mit Truppen belegt.
Der Stab der 176. Infanteriedivision unter General STUMM als Divisions-Kommandeur kommt nach hier. Der Kommandeur bezieht das Schloß ‘Haus Effeld’. Ins Pfarrhaus kommt der Ortskommandant Hauptmann HEIDE und der Adjutant des Divisions-Kommandeurs Oberleutnant SCHLÖSSER.
Später wird General STUMM durch Oberstleutnant LANDAU ersetzt.

Mit dem Monat September beginnt auch für unsere Pfarre die bitterste Leidenszeit diese Krieges.
Gerüchte gehen um, daß der Ort von der Zivilbevölkerung geräumt werden müsse.
Leider stellen sie sich bald als wahr heraus. Der Feind in Nordfrankreich an der belgischen Grenze, stellenweise sogar in Belgien an der deutschen Grenze.
Die Heimat ist unmittelbar bedroht.
Die Bevölkerung ist sich einig, daß sie lieber die Schrecken des Krieges, auch den Tod auf sich nehmen will als die Heimat zu verlassen.
Mehrfach wird nachts durch Ausschellen bekanntgemacht, daß die Bevölkerung andern-tags räumen muß. Marschbefehle werden ausgestellt.
Die Anordnungen werden nicht befolgt. Wohl treffen viele Vorbereitungen für eine eventuelle Räumung, sie bringen wichtiges Gut nach auswärts in Sicherheit, vergraben Sachen in der Erde, packen das Notwendigste als Handgepäck zusammen, zimmern sich Flüchtlingskarren oder -wagen zurecht, um nicht im Ernstfalle unvorbereitet wegziehen zu müssen.

Auch ihre Seelenangelegenheiten bringen viele in Ordnung; keiner weiß, was der nächste Tag, ja die nächste Stunde bringen kann.
Die Gläubigen drängen sich in Scharen zu den hl. Sakramenten. Der Priester kann nicht die einzelnen beichthören. Er macht Gebrauch von der Generalabsolution, wie sie von den Feldgeistlichen den Soldaten vor der Schlacht erteilt wird.
Die Lage der Zivilisten ist kaum anders als die der Krieger vor dem Einsatz.

Es vergehen einige Tage, an denen man die Bevölkerung mit Räumungsbefehlen nicht belästigt.
Den Pfarrkindern, die mich fragen, was zu tun sei, gebe ich die Weisung:
„Wenn möglich nicht räumen! Andernfalls nur soweit fortgehen als unbedingt nötig!“

Der Bevölkerung bemächtigt sich eine starke Arbeitsunlust. Man will die Feldarbeiten einstellen und sogar die Kartoffelernte nicht mehr halten, weil man befürchtet, daß der Feind den Nutzen davon haben könnte.


Außer den Soldaten sind viele Zivilisten aus rheinischen Städten als ‘Westwallarbeiter’ in Effeld zusammengezogen; sie werfen PANZERGRÄBEN auf, die sich parallel der Roer durch das Gelände ziehen.
Auch viele Russinnen und Polinnen kommen täglich aus dem benachbarten Vlodrop (Holland), um unter der Aufsicht von SA-Leuten an den Panzergräben zu arbeiten.
Das Gespenst der Räumung, das nun bereits 14 Tage vor uns steht, droht immer mehr, Wirklichkeit zu werden.
Es passieren bereits mehrere FLÜCHTLINGSTRECKS unsern Ort aus Dörfern jenseits der Roer, die schon räumen mußten, so eine lange Wagen- und Karrenkolonne aus Braunsrath mit ihrem alten Pfarrer (SCHIFFERS), die am Spätnachmittag durch Effeld nach Rosenthal ziehen, wo sie in einer ehemaligen Gefangenenbaracke ihre erste Nachtunterkunft finden.

Samstag, den 16. September laufen im Bahnhof Wassenberg SONDERZÜGE ein, die die des Amtsbezirks Wassenberg mit unbekanntem Ziel wegbringen sollen.
Auch die Geistlichen werden von der Polizei telefonisch aufgefordert, mit den Gläubigen abzureisen; ja man erwartet, daß die Abreise der Geistlichen die Abreise der Laien von selbst nach sich ziehen werde.
Nur einige Pfarrer kommen der Aufforderung nach.
Samstagnachmittag werde ich von zwei Polizisten mit Auto nach Wassenberg zum dortigen Ortsgruppenleiter der NSDAP Hans STEINER (Apotheker) gebracht und wegen ‘Nichträumens’ verhört.
Baronesse Anna VON BLANCKART (Haus Effeld) ist mitgefahren als Entlastungszeugin;
sie bestätigt, daß mir von einer gewissen Wehrmachtsstelle inoffiziell der Rat erteilt wurde, Effeld nicht zu verlassen.
Ich werde aufgefordert, am gleichen Abend den letzten Sonderzug zur Abreise zu benutzen und die Bevölkerung öffentlich zum Räumen anzuhalten. Auf meine Einwendung, daß es nicht meine Aufgabe als Priester sein könne, mich amtlich für die Räumung einzusetzen, legt man mir nahe, wenigstens privat den Gläubigen die Räumung zu empfehlen. Auf meine Zusage hin werde ich freigelassen und von der Polizei wieder nach Effeld gebracht.
Die Verhandlung in Wassenberg hat mehrere Stunden gedauert; sie war aufregend und schwierig, insbesondere weil der Ortsgruppenleiter angetrunken war (was aber, wie die Wassenberger bezeugen, bei ihm meist der Fall war).
Mit der Zeugin Anna VON BLANCKART gab es eine sehr erregte Szene, bei der der Ortsgruppenleiter sogar HAFTBEFEHL gegen sie aussprach, den er später auf Anraten aller Anwesenden wieder zurücknahm.

Nur eine kleine Gruppe von Effeldern begibt sich am Abend zum Sonderzug nach Wassenberg, um die Heimat zu verlassen.
Sie kommt aber im Laufe des Sonntags wieder zurück, weil der Sonderzug wegen Mangel an Reisenden nicht abgefahren ist.
Die Räumungsaktion ist also fehlgeschlagen.
Was wird die PARTEI jetzt tun?


Am Sonntagmorgen kommt ein Feldwebel der hier einquartierten Wehrmacht und bietet mir im Auftrage seines Hauptmanns an, Soldatenwache am Hause aufzustellen, damit die empörenden Ereignisse des Vortags - meine polizeiliche Verhaftung - , über welche das Militär ebenso wie die Zivilbevölkerung in gleicher Weise aufgebracht sind, sich nicht mehr wiederholen sollen.
Ich lehne das Angebot ab, weil ich einen Konflikt zwischen Wehrmacht und PARTEI vermeiden will, und verlasse für einige Tage mit geheimem Ziel den Ort, in der Hoffnung, daß sich die Gemüter wieder beruhigen werden.
Durch einen ‘Geheimkurier’ (Kaplan Hubert DALLMANN, der in Effeld als Sanitäter stationiert ist) werde ich in meinem Versteck auf dem laufenden gehalten.
Nach 3 Tagen erfahre ich, daß die Räumungsaktion zum Stillstand gekommen ist; ich kehre daraufhin nach Effeld zurück.

Eine Woche bleibt’s ruhig.
Dann kommen neue Aufforderungen zum Räumen, diesmal unterstützt von der Wehrmacht. Es ist den Einsichtigen klar, daß die Wehrmacht in Effeld, die keine Fronttruppe, sondern ein Divisionsstab ist, nur deshalb die Räumung befürwortet, weil sie in einem von Zivilisten verlassenen Orte über die Quartiere freier verfügen und an den vorhandenen Vorräten sich gütlicher tun kann.
Deshalb widerstehen auch diesmal die meisten Einwohner, nur eine kleine Anzahl Effelder reist zu Verwandten diesseits und jenseits des Rheins.


„Wenn aber der Ort von der feindlichen Artillerie beschossen wird, dann muß jeder Zivilist weichen“, geben die Soldaten als Parole aus.
Am Abend des 3. Oktober fallen 6 Schüsse auf unsern Ort und richten geringen Schaden an einer Häusergruppe zwischen Effeld und Steinkirchen an.
Nicht ohne Grund vermuten wir, daß es ‘Schreckschüsse’ aus deutschen Kanonen sind, um die Bevölkerung für die Räumung mürbe zu machen.
Eingeschüchtert und haltlos geworden geben manche den Widerstand auf und ziehen zu Fuß, per Rad oder mit Karren von hinnen.

Donnerstag, der 5. Oktober ist der Tag der ZWANGSRÄUMUNG.
Verstärkte fremde Polizei und Soldaten nötigen die noch anwesenden Bewohner zur sofortigen Räumung.
Herzzerreißende Szenen spielen sich ab. An verschiedenen Stellen gibt es heftige und tätliche Auseinandersetzungen zwischen Zivilisten und Räumungskommando.
Manche Tränen werden vergossen, und traurig ist es zu sehen, wie die einzelnen Familien, ihr Gepäck auf Pferdefuhren, Ochsenkarren, Handwagen oder Fahrrädern geladen, etwas Vieh (Kuh, Schaf oder Ziege) mit sich führend, Haus und Hof im Stiche lassen müssen, um einer unbekannten Fremde und einer düsteren Zukunft entgegenzuwandern.
Einen letzten wehmütigen Blick werfen die Flüchtlinge auf ihr liebes Heimatdörfchen mit der bangen Frage: „Werden wir die Heimat jemals wiedersehen?“
Dann nimmt die Landstraße sie auf und reiht sie ein in die endlosen Elendszüge von Flüchtlingen, die sich in diesen Tagen auf allen Wegen nach Osten bewegen.


Bis auf einige Pfarrkinder, die bei den einquartierten Soldaten dienstverpflichtet sind, ist die Pfarre menschenleer.
Nun kann auch der Hirt der Herde folgen und den Weg in die Fremde antreten.
Freitag, den 6. Oktober (Herz-Jesu-Freitag) verlasse ich die Gemeinde und begebe mich nach Wanlo, 1 ½ Stunde östlich von Erkelenz, wo ich mit meiner Haushälterin bei einem älteren kinderlosen Ehepaar (Johann BODEWIG, Wanlo Haus 108) liebevolle Aufnahme finde. Von hier aus ist es mir möglich, ab und zu in die Pfarre zurückzukehren, um noch persönliche Sachen zu bergen und den Zurückgebliebenen, sowie den katholischen Soldaten Gottesdienst zu halten.
Es zeigt sich bald, daß viele Pfarrkinder sich in den nächstgelegenen Dörfern aufhalten; einige sind nur bis zum nahen Wald geflüchtet und haben dort ehemalige Hühnerfarmen als Wohnungen bezogen; andere sind sogar bei Nacht nach Effeld zurückgekehrt.
Alle 10-14 Tage ist der Pfarrer (in Zivilkleidung reisend) unter ihnen, bringt das hl. Opfer dar, um Christus wenigstens vorübergehend in der Gemeinde gegenwärtig zu machen, die Kranken zu versehen und die Pfarrkinder nicht ganz ohne Trost und seelische Hilfe zu lassen.

Im November setzt eine neue Räumungsaktion ein.
Es dürfen nur noch ‘Notdienstverpflichtete’, die einen amtlichen Ausweis von Partei oder Wehrmacht haben, im Orte sich aufhalten; es sind Männer und Frauen, die im Dienste der Wehrmacht stehen oder für die Bergung der Ernte eingesetzt sind.
Es sind zeitweise über 100 Bewohner.
Hinzu kommt die‘LANDWACHT’, eine Gruppe von ca. 20 Männern, die unter Führung des Ortsbürgermeisters den Schutz des zurückgebliebenen Eigentums wahrzunehmen haben.
Diese kann der Pfarrer öfters persönlich betreuen.
Die andern, die Evakuierten versucht er, durch regelmäßige Rundschreiben zu erreichen und zu trösten.
Als Beispiel diene das im Dezember 1944 und das letzte, Anfang März 1945 versandte Schreiben, die hier beigeheftet sind. (LEIDER von unbekannter Hand entheftet!)


Zum größten teile sind die Pfarrkinder linksrheinisch geblieben und haben in der Gegend von München-Gladbach (Viersen-Rahser, Helenabrunn, Rheydt-Tackhütte, Rheindahlen, Wegberg, Beeck) sowie im Kreise Grevenbroich (Otzenrath, Priesterath) Unterkunft gefunden.
Andere sind rechtsrheinisch geflüchtet und sind im Sauerland (Siegen), im ‘Bergischen’ (Leichlingen), in Sachsen (Helbra, Übigau, Wurzen) untergekommen.
Viele Briefe gelangen an mich aus der Fremde, die alle tiefes Heimweh atmen und nur den einen Wunsch äußern, doch bald die Rückreise nach Effeld anzutreten, selbst wenn hier alles zerstört und nur noch Keller zum Wohnen vorhanden sein sollten.
Die Evakuierten im linksrheinischen Gebiet besuche ich öfters mit dem Fahrrade, wofür diese sich sehr dankbar erweisen.
Auch viele Gegenbesuche in Wanlo werden mir abgestattet.


Die Dienstverpflichteten von Steinkirchen erleben am 21. Dezember eine große Freude:
es wird Gottesdienst gehalten von Jesuitenpater Unteroffizier Alfred GEIER aus Salzburg, welcher bei einer Panzereinheit in Steinkirchen einquartiert ist.
Es ist Gelegenheit zum Empfange der hl. Sakramente. Während der hl. Messe eine erhebende Ansprache.
Es ist wie eine KATAKOMBENFEIER, die allen zu Herzen geht und ihnen das freudige Bewußtsein gibt: Nun kann es Weihnachten werden.

Am Nachmittage desselben Tages kommt auch der Ortspfarrer aus seinem ‘Verbannungsorte’ nach Effeld.
Ich habe die Erlaubnis erwirkt, bis zum 20. Januar in der Pfarre zu verbleiben, um Seelsorge an den Zurückgebliebenen auszuüben und ihnen besonders inmitten ihrer trostlosen Verlassenheit die Gnaden und Freuden von WEIHNACHTEN zu vermitteln.

Eine KRIPPE wird im Chor der Effelder Kirche gebaut. Dankbar benutzen die Zivilisten und viele Soldaten die Gelegenheit zum Empfange der hl. Sakramente.
Durch Vermittlung des SS-Leutnant DIETZ aus Wien (ein musterhafter Katholik) wird der Gefreite KOHNEN aus Godesberg (ein vorzüglicher Organist, der wiederholt schöne Orgelstunden für die Soldaten auf der Effelder Orgel veranstaltet hat) aus dem Frontabschnitt SELFKANT beurlaubt, um das Weihnachtsfest mit seiner Kunst zu verschönern.

Das 6. Kriegsweihnachten
feiern wir, ein Weihnachten mit viel Entbehrungen und Sorgen, mit viel Leid um die Brüder an den Fronten und die Angehörigen in der Evakuierung, mit viel Ähnlichkeit mit der Geburt des Herrn in Armut, Not und Verfolgung.
Es ist trotzdem ein stärkender und tröstender Lichtblick in dem tiefen Dunkel der Zeit.


Der Ortskommandant Hauptmann HEIDE, der bisher im Pfarrhause einquartiert war, hat eine andere Wohnung beziehen müssen, weil der SS-General BLUMENTRITT (der mit seinem Stabe den Divisionsstab der Wehrmacht in Effeld abgelöst hat) das Pfarrhaus bewohnen will.
Der General zieht es jedoch vor, eines der Zollhäuser am Ende der ‘Schleistraße’ zu benutzen, das nicht so zentral gelegen und dem Artilleriebeschuß nicht so sehr ausgesetzt ist.
Wohl hält er im Pfarrhause zu Weihnachten und Neujahr gesellige Zusammenkünfte mit seinen Offizieren ab.
Der General ist mir gegenüber sehr zuvorkommend und bietet mir sogar seine Hilfe und Unterstützung an, wenn ich sie benötige.


1945

Samstag, den 6. Januar, nachmittags gegen 4 Uhr werde ich von der Polizei nach Wassenberg zum Kreisleiter der NSDAP abgeführt.
Dieser eröffnet mir, daß ich sofort das Gebiet zu verlassen habe.
Auf meine Einwendung, daß ich im Besitze eines ordnungsgemäßen Ausweises bis zum 20. Januar sei und auf die Frage, welcher Grund zur Ausweisung vorliege, wird mir zur Antwort gegeben: ein Grund liege nicht vor, aber der Ausweisung müsse auf jeden Fall Folge geleistet werden.
Auf meinen Protest hin werde ich zur GEHEIMEN STAATSPOLIZEI im Nebengebäude verwiesen.
Hier erreichen meine Vorstellungen ebenso wenig wie bei der Kreisleitung, nur wird die Zeit zum Verlassen des Gebietes bis zum nächsten Tag (Sonntag) mittags 12 Uhr verlängert. Noch am Abend des Samstag begebe ich mich zu General BLUMENTRITT, um ihn um seine Vermittlung zu bitten.
Der General versucht dann telefonisch und durch seinen Adjutanten den Ausweisungsbefehl rückgängig zu machen.
Vergebens!
Er erklärt mir dann, ich könne trotz der Ausweisung auf seine Gefahr hin, sooft ich es für nötig hielt, nach Effeld zurückkommen, er würde mich mit seinem Kraftwagen holen und zurückbringen lassen.
Von diesem entgegenkommenden Anerbieten habe ich leider keinen Gebrauch machen können, weil der Generalstab in den nächsten Tagen weiter nordwärts verlegt wurde.

Am 7. Januar verlasse ich bei heftigem Schneegestöber Effeld und begebe mich wieder nach Wanlo.
Mir ist klar: was nun kommt, ist schlimmer als das Bisherige, und ich bin nicht der letzte, der den Ort verläßt.

Mitte Dezember 1944 hat RUNDSTEDT eine neue Offensive im Westen eröffnet.
Mit viel Geschrei (sogar mit Lautsprecherwagen in den Städten) wird sie angekündigt.
Aber der Erfolg entspricht nicht der Reklame.
Zur Vorbereitung dieser Offensive werden von November an die Dörfer des unteren Roertales mit Einquartierung stark belegt.
Das kleine Steinkirchen hat zeitweilig 300 Soldaten mit Pferden und motorisierten Fahrzeugen.
Nach Effeld kommt der SS-Generalstab mit General BLUMENTRITT.
Die deutsche Offensive schlägt fehl. Unsere Truppen weichen schnell durch Belgien nach Deutschland (Eifel) zurück.
Der Rückschlag macht sich auch am SELFKANT bemerkbar, wo die Engländer Boden gewinnen können und unsere Front auf die Roer zurückdrängen.
Aus Steinkirchen wird ein Teil der Truppen, die Trosse zurückgenommen.

Samstag, den 20. Januar gegen 10 Uhr morgens wird Effeld von feindlichen Bombern angegriffen.
Die 16 abgeworfenen Bomben fallen Gott Dank hauptsächlich in Gärten und Wiesen am Ostrande des Dorfes, 2 Häuser in der ‘Dorfstraße’ werden zerstört.


Menschen kommen nicht zu Schaden. Die noch anwesenden Einwohner erkennen nun unzweideutig: Die Lage wird ernster, und ein weiteres Bleiben ist mit größeren Gefahren verbunden.
Einige verlassen noch am Samstag, andere in den folgenden Tagen wehen Herzens die Heimat.

Sonntag, den 21. Januar wird die ‘LANDWACHT’ nach Wassenberg beordert, um aufgelöst und dem VOLKSSTURM zugeführt zu werden.
In den VOLKSSTURM kommen alle Männer bis 60 Jahre. Ohne Uniform, schlecht ausgerüstet sollen sie helfen, die Front zu halten.

Wie Bekleidung und Ausrüstung in letzter Minute beschafft werden sollen, sagt anschaulich ein Aufruf des Ortsgruppenleiters von Wickrath:
„Der FÜHRER hat zu einer Sammelaktion aufgerufen, um die notwendigen Materialien für den Volkssturm beschaffen zu können. Dazu gehört:
Stoffreste aller Art, besonders geeignet sind Segeltuchreste, feste Rips- oder
Dekorationsstoffe, ,festgewebte Wollstoffe, Zeltbahnen, Rucksäcke oder Tornister, Brotbeutel und Feldflaschen, Koppel aus Leder, Rips- oder Gurtband,
Gamaschen, einzelne Uniformstücke (alte Tuchuniformen, Feuerwehruniformen, alte Post- oder Reichsbahnuniformen, usw.).....
.....
Bitte schikanieren Sie die Sammler nicht, reden Sie auch nicht leeres Zeug mit ihnen, sondern ich erwarte, daß Sie als deutsche Familie Ihre Pflicht erfüllen.“

In eine am 21. Januar in Wassenberg angetretene Volkssturmkompanie werfen ‘JABOS’ (Jagdbomber) plötzlich Bomben; es gibt 8 Tote und mehrere Verwundete.

Dienstag, den 23. Januar ist der große Tag der letzten Evakuierung.
Grüne Polizei und SA-Leute machen eine unbarmherzige Jagd auf Menschen und Vieh und zwingen alles zum sofortigen Aufbruch in die unbekannte Fremde.
Es ist eine böse Flucht mitten im Winter, bei eisiger Kälte, bei Wind und Schnee, unter dem Beschuß der feindlichen Artillerie, die am SELFKANT aufgestellt gute Einsicht hat auf alle Straßen über den Höhenzug bei Birgelen-Wassenberg.

Nun sind die Dörfer an der Roer von ihren Einwohnern verlassen, die Gelegenheit zum ungehinderten Plündern ist gegeben.
Wie gründlich diese Gelegenheit von ‘unsern’ Soldaten wahrgenommen worden ist, haben wir später festgestellt.


Außer dem erwähnten Divisions- bzw. Generalstab ist auch ein KRIEGSGERICHT in Effeld stationiert, ebenso eine Abteilung der GESTAPO zur Spionageabwehr.
Von ihrer Tätigkeit hier zeugen die später aufgefundenen 7 Gräber auf unserem Friedhof, in denen Hingerichtete ruhen, 4 Deutsche und 3 Holländer, darunter ein geistlicher Rektor aus Posterholt (Holland), der einen Geheimsender betrieben haben soll (?).

In Steinkirchen konnten sich - dank der stillschweigenden Duldung der dortigen Einquartierung - trotz allen Räumungsmaßnahmen 20 Zivilisten halten, davon 7 Effelder, die sich zu Verwandten in Steinkirchen begeben hatten.
Nach dem Bericht eines Zurückgebliebenen haben die deutschen Soldaten in Steinkirchen (es waren Fronttruppen) sich kameradschaftlich sogar unter persönlichen Opfern für die Zivilisten eingesetzt und eine echte ‘Not- und Todgemeinschaft’ mit ihnen gebildet.
Wenn von der Division der Befehl zum Räumen kam - und das war jede Woche der Fall -, dann haben die Zivilisten sich besser versteckt gehalten als sonst, und die Division erhielt den Bescheid: „In Steinkirchen ist kein Zivilist mehr.“


Inzwischen setzt ein sich täglich steigernder Artilleriebeschuß ein.
Zunächst sind es Feuerüberfälle in regelmäßigen Abständen mit leichteren Geschossen, meist mit Aufschlagzündung. Sie werden ‘Baumkrepierer’ genannt, weil sie in den dichten Baumbeständen einschlagen, die die Baumkronen verwüsten, im übrigen aber wenig Schaden an den Häusern anrichten.
Später sind es schwerere Geschosse, die auch die Gebäulichkeiten treffen und stark beschädigen.

Mittwoch, den 24. Januar wird Heinsberg von den Engländern besetzt.
Daraufhin wird in der folgenden Nacht die deutsche Front auf das diesseitige Roerufer zurückgezogen.
Nach Ophoven, Steinkirchen und Effeld kommen 2 Kompanien Infanterie, die 1. und 3. Kompanie des Inf.-Reg. 1218, 176. Division, im ganzen etwa 80 Mann, dazu 3 Granat-werfer und einige Maschinengewehre.
Nur ein Stützpunkt bleibt jenseits der Roer in Karken-End.
Die zurückflutende deutsche Front bietet ein trostloses Bild:
Soldaten in mangelhafter Bekleidung, eher ‘fahrend Volk’ denn kämpfende Truppe, nur Handfeuerwaffen ohne Deckung durch die Artillerie; lediglich 2 Granatwerfer und 2 Maschinengewehre können auf 1 km Frontabschnitt die Infanterie unterstützen.
Aber auch den technischen Waffen fehlt es an Munition.
Bei einem Feuerbefehl der Division für ein ‘MG’ gibt der Oberfeldwebel durchs Telefon zurück: „Ich habe nur 123 Schuß Munition.“

In der Nacht vom 26. zum 27. Januar rückt ein Pionierkommando zum Minenlegen in Steinkirchen ein. 2.000 Minen sollen im Gelände zwischen Steinkirchen und Roer gelegt werden.
Aber nur etwa der 10. Teil davon wird gelegt, weil die Soldaten kampfmüde sind und die erteilten Befehle nur lässig ausführen.


Dienstag, den 6. Februar kommt der Divisionsbefehl:
„Jeder Zivilist im Frontgebiet wird ohne Anruf erschossen!“
Die Zivilisten bleiben dennoch.


In der Nacht vom 9. zum 10. Februar kommt Hochwasser.
Die Deutschen haben die Talsperren in der Eifel gesprengt. Das Gelände um Effeld und Steinkirchen wird in Sumpf und See verwandelt.
Schnell ergießen sich die Fluten bis an den Rand der Dörfer, setzen viele Keller unter Wasser, begünstigt durch die zahlreichen Lauf- und Panzergräben, die das Land durch- ziehen und Verbindung haben mit der Roer.
Gott Dank dauert die Überschwemmung nur wenige Tage.


Vom 20. Februar ab wird das feindliche Artilleriefeuer wesentlich stärker, was wohl dem Umstande zuzuschreiben ist, daß die Amerikaner anstelle der Engländer inzwischen den hiesigen Frontabschnitt übernommen haben und eine große Offensive einleiten.
Es hat sich später gezeigt, daß diese Offensive die entscheidendste dieses Krieges war.
Lange hat’s gedauert, bis der Feind die Roer überschritt; als der Übergang aber erzwungen war, ist er nirgendwo mehr, auch nicht am Rhein solange aufgehalten worden wie hier.
Der Feind hat sich im Bewußtsein seiner Überlegenheit die Zeit genommen, soviel Reserven an Menschen und Material im Roer-Abschnitt anzusammeln, daß sein Vordringen in Deutschland durch nichts mehr aufgehalten werden konnte.


Vom 22. bis 28. Februar fallen durchschnittlich täglich 1.000 Schuß in das ca. 3 km lange Gelände zwischen Ophoven und der holländischen Grenze, Salven aller Kaliber, vom kleinsten bis zum schwersten, Granaten mit und ohne Verzögerung, Schrapnells und Phosphorgeschosse.
Offenbar der Anfang der großen Offensive.


Freitag, den 23. Februar kommt in der Frühe die Meldung nach Steinkirchen:
die Kirche in Effeld brennt.
Wie der Brand entstanden ist, konnte nicht einwandfrei festgestellt werden. Wenn durch Artilleriebeschuß, dann muß der Brand von den Soldaten gelöscht worden sein, denn auf dem Kirchenspeicher brannte das Orgelgebläse vollständig aus, ohne daß das Feuer auf den Dachstuhl übergriff.
Deutsche Soldaten, die beim Rückzug durch Amern kamen, erklärten einem dort evakuierten Effelder Bewohner:
„In Effeld haben sie mit Panzerfaust in der Kirche gehaust.“
Wie dem auch sei, man muß sich wundern und sich freuen, daß der Brand dem Gotteshause nicht mehr geschadet hat.

Auch 2 Häuser in der Kreuzstraße (RÜTTEN und HEUTERS) sind um diese Zeit durch die feindliche Artillerie in Brand geschossen worden.

An demselben Tage erzwingen die Amerikaner bei Linnich den Übergang über die Roer und breiten sich fächerförmig auf dem diesseitigen Ufer aus.
Damit ist der deutsche Widerstand im Westen endgültig gebrochen.
Ein Keil des amerikanischen Vormarsches wird parallel der Roer in Richtung holländische Grenze, also in unsere Heimat vorgetrieben.


Der Stützpunkt Karken-End jenseits der Roer hat bisher standgehalten. Er war bei seiner größten Stärke mit 35 Mann besetzt.
Von Steinkirchen aus über einen Notsteg wurde er mit Munition und Verpflegung versorgt. Von hier aus erfolgten auch die Stoß- und Spähtruppunternehmungen. Aber er hat 25 Tote und viele Schwerverwundete gekostet; davon war nur ein Opfer durch Nahberührung mit dem Feind, alle andern durch feindliche Artillerie und eigene Minen.
Strategisch war der Stützpunkt wertlos, denn er hat den Feind tatsächlich nicht aufgehalten. Er hat unsrem Ort viel Beschuß und unsern Soldaten große Verluste gebracht.
In der Nacht zum 24. Februar wird er von den Deutschen aufgegeben. Die letzten Soldaten ziehen sich unter Zerstörung des Notsteges nach Steinkirchen zurück.


In der Frühe des 24. Februar setzt von Karken aus ein vernichtendes Maschinengewehrfeuer ein, das das Gelände um Steinkirchen mit schwerem Feuer bestreicht und es keinem ermöglicht, die Straße zu betreten.
Zwischen 9 und 10 Uhr wird der Helm des Turmes von Steinkirchen von Panzern abgeschossen.
Nach den Spuren der Einschläge zu urteilen, ist anzunehmen, daß der Beschuß vom Kempener Friedhof (zwischen Kempen und Karken) aus erfolgte. Der Feind hatte wohl in dem hohen Turm einen deutschen Beobachtungsposten vermutet. Dies war jedoch nicht der Fall. Wohl hatte der viel niedrigere Turm von Effeld seinen solchen Beobachtungsposten monatelang beherbergt.
Nun ist der altehrwürdige Turm der Pfarrkirche, der unter Denkmalschutz stand, weil er aus dem 14.-15. Jahrhundert stammte, ein Opfer des Krieges geworden. Noch ist das Mauerwerk größtenteils erhalten, aber bei den viel dringenderen Sorgen der ersten Nachkriegszeit wird es kein Leichtes sein, den Turm wieder aufzubauen.
Bei dieser Gelegenheit erhält die Kirche in Steinkirchen auch mehrere Treffer im Dach und in den Chorfenstern.


Es steht nun fest:
Der Feind ist bereits in Karken und wahrscheinlich auch in Kempen.

Sonntag, den 25. Februar: Das Artilleriefeuer nimmt noch zu und steigert sich immer mehr in den folgenden Tagen.
Die bisherige deutsche Besatzung wird nach Etsberg bei Vlodrop (Holland) verlegt, eine andere Truppe rückt dafür ein.


Montag, den 26. Februar: Durch Phosphorbeschuß entstehen in Steinkirchen drei Großbrände: Haus Nr. 4 (erbaut 1938) verliert Stallungen und Scheune samt Vieh und Vorrat, Haus Nr. 12 brennt ganz ab, von Haus Nr. 11 und 18 werden die Stallgebäude vernichtet.


In der Nacht zu Dienstag, dem 27. Februar rücken die nachts vorher gekommenen Truppen wieder ab, eilig, mit unbekanntem Ziel, alles außer Handgepäck zurücklassend. Nach ihrem Abzug wird noch ein kleiner Spähtrupp ängstlich suchend in Steinkirchen beobachtet.
Am Morgen wird festgestellt, daß die hohen Lindenbäume vor der Kirche, sowie die beiden herrlichen unter Naturschutz stehenden Lindengruppen am ‘Schloßkreuz’ und am ‘Mirbacher Kreuz’ von einem Sprengkommando umgelegt worden sind, um als Panzersperre gegen den erwarteten Feind zu dienen.
Wenn diese Maßnahme in Steinkirchen noch einen Sinn hatte, da die Straße durch die gefällten Baumriesen tatsächlich gesperrt war, so war sie an den genannten Kreuzen Blödsinn und Verbrechen, denn hier konnten die Hindernisse ohne jeden Aufenthalt über die Felder umfahren werden.

Effeld und Steinkirchen sind nun von den Deutschen verlassen, der Feind ist jeden Augenblick zu erwarten.


Am Abend dieses Dienstag sind die ‘Standhaften’ von Steinkirchen im Keller des Hauses Nr. 4 versammelt.
Nachdem sie dem Herrgott in herzlicher Weise für seinen Schutz gedankt und um seinen weiteren Beistand angefleht haben, legen sie sich zur Ruhe nieder.
Aber bei dem fürchterlichen Schießen ist an Schlaf nicht zu denken.
Beim Morgengrauen hört er Beschuß plötzlich auf.


Mittwoch, den 28. Februar: gegen 9 Uhr morgens stellt eine der in Steinkirchen verbliebenen Frauen fest, daß ein großer Trupp Soldaten auf einem Feldwege von Ophoven nach Effeld zieht.
Sind es Deutsche, oder ist es der Feind?
Eine andere Frau, die sich nach draußen gewagt hat, erblickt einen fremden Soldaten. Sie flüchtet daraufhin ins Haus zurück. Das Haus wird beschossen. Soldaten dringen ein und fordern die Bewohnerin auf anzugeben, ob noch mehr Zivilisten im Orte seien und wo sie sich aufhalten. Sie folgt der Aufforderung und geht zum Versteck der übrigen. Ein energisches „Raus! Raus“ wird in den Keller hinein gerufen. Zögernd folgen die Eingeschlossenen dem Befehl und sehen sich oben einer größeren Zahl von amerikanischen Soldaten gegenüber, die mit ihren Maschinenpistolen im Anschlag an der Haustür Spalier bilden und ihre Bewachung übernehmen.
Es ist also tatsächlich der Feind, der soeben in Steinkirchen eingezogen ist und sich bereits auf dem Weitermarsch nach Effeld befindet.


Von den ‘Standhaften’ wird er mehr als Befreier angesehen, „denn“, so schreibt einer der Miterlebenden, „so lieblich wie an jenem Morgen hat mir wohl noch kaum die Sonne geschienen, so würzig war mir nie die Luft, so schön nie die Natur.............Wir waren frei! Frei von langer, banger Kellerhaft, befreit auch von viel seelischer Not.“
Unter Bewachung von amerikanischen Mannschaften werden die Zivilisten von Steinkirchen nach Ophoven geführt, wo sie zunächst ins Pfarrhaus, später in das Haus des Kirchenrendanten SCHLÖSSER neben der Mühle gebracht werden. Das ist ihr ‘Internierungslager’, das mit Doppelposten an der Zimmertür und am Haustor bewacht wird.
Nach und nach kommen noch mehr aufgegriffene Zivilisten aus Ophoven, ‘Gut Kromland’ bei Elsum, Rosenthal und Eulenbusch in das Internierungslager.
Am folgenden Tag wird die Bewachung gelockert.
Den Frauenspersonen wird gestattet, in Begleitung eines Soldaten nach Steinkirchen zu gehen, um das Vieh zu versorgen und notwendiges Hausgerät, sowie fehlende Kleidungsstücke zu holen.

Nach der ‘Eroberung’ von Steinkirchen setzen die Amerikaner ihren Marsch nach Effeld fort.
Nach einigen Schüssen aus Panzergeschützen, die u.a. Häuser in der ‘Dorfstraße’ beschädigen, dringen sie aus Richtung ‘Friedhof-Neuerburg’ kommend über ‘Kreuz-’ und ‘Dorfstraße’ in den soldaten- und menschenleeren Ort ein. Es ist eine Abteilung der 134. amerikanischen Infanterie-Division.
Im Pfarrhause wird ein Gefechtsstand eingerichtet.
2 Maschinengewehrnester im Pfarrgarten und im Garten des Kirchenrendanten Franz JANSEN werden vorsichtshalber ausgeworfen, um das Gelände zwischen Dorfrand und Wald, wohin die Deutschen abgezogen sind, zu sichern.
Die Maßnahme ist aber überflüssig, denn die Deutschen haben auch den Wald schon längst aufgegeben.

Alle deutschen Verteidigungsmaßnahmen um Effeld (Panzergräben, Schützengräben, Panzersperren, Brückensprengungen, Minenfelder, usw.)
waren praktisch zwecklos und haben den Feind nicht aufgehalten, da dieser gegen Erwarten nicht vom Süden über die Roer, sondern von Osten entlang der Roer in unsere Heimat vorgestoßen ist.


Der 28. Februar 1945
ist für die Pfarre der große, denkwürdige Tag, der für sie das Ende des Krieges bedeutete. Nun hörte all die Not und Bedrängnis auf, die durch die Räumung über sie gekommen war. Ein Ende war gesetzt der sinnlosen Vernichtung von Hab und Gut. Die Pfarrkinder konnten wieder heimkehren, die Heimat war gerettet.
Wenn sie auch schwere Kriegswunden davontrug, so durfte sie sich doch sehr glücklich schätzen, nicht ganz vernichtet zu sein. Denn es war Befehl ‘von oben’, daß die letzten Soldaten, ehe sie abzogen, jedes Haus in Brand steckten. Wenn sie es nicht getan haben, ist es vielleicht geschehen aus Dankbarkeit für die gute Behandlung, die die letzte deutsche Truppe in Steinkirchen gefunden hat.


Freitag, den 2. März ziehen die Amerikaner stärkere Kräfte heran und verfolgen die Deutschen nach Holland (über die ‘Zollstraße’ bei Rothenbach) und nach Dalheim.


In der Nacht zum 4. März verlassen sie Effeld und Steinkirchen, weil diese Orte nunmehr im Rücken ihrer Front liegen und keiner Besatzung mehr bedürfen.


Sonntag, den 4. März stellen die Internierten von Ophoven fest, daß die amerikanische Wache abgezogen ist. Sie verlassen daraufhin das Haus SCHLÖSSER und kehren nach Steinkirchen bezw. Effeld zurück.


Montag, den 5. März kommen die zwei ersten Effelder Familien, die in letzter Stunde nur bis zum ‘Gitstapper Hof’ bezw. in den Wald bei Rothenbach geflüchtet waren, in ihre Häuser zurück.


Ein 77jähriger Mann, der in Amern evakuiert war, kehrt am 6. März als erster aus weiterer Entfernung nach Überwindung von vielen Wegehindernissen nach Effeld zurück.


Aber auch viele Zivilisten aus den benachbarten Dörfern in Holland, besonders Vlodrop, finden sich in Effeld ein und nehmen die Gelegenheit wahr, das verlassene Dorf mit zynischer Frechheit auszuplündern, um, wie sie sagen, sich das von den deutschen Soldaten in Holland Gestohlene wiederzuholen.


Unterdessen harre ich in Wanlo gespannt des Augenblicks, da ich wieder in die Pfarre zurückkehren kann. Ich bin entschlossen, die Heimreise um keine Stunde unnütz zu verzögern.
Auch hier hat man die Bevölkerung, besonders die Flüchtlinge (800 waren es in Wanlo bei 1.100 Eingesessenen) oft aufgefordert, den Ort zu räumen, aber ohne Erfolg.
Noch am 26. Februar gibt die Parteileitung einen letzten strengen Räumungsbefehl heraus. Aber die Parteigenossen geben den Befehl an die Bevölkerung nicht weiter.
In der Nacht zum 27. Februar wird Wanlo von der feindlichen Artillerie heftig beschossen. Gegen Morgen läßt der Beschuß nach, dafür setzt Panzerbeschuß ein, der allerdings nicht so heftig ist, aber bis gegen 3 Uhr nachmittags anhält. Gegen 5 Uhr rückt amerikanische Infanterie ein und besetzt kampflos das Dorf.


Was inzwischen in Effeld vor sich gegangen ist, ist nicht zu erfahren, da jegliche Nachrichtenvermittlung fehlt. Tage vergehen in untätigem Abwarten.
Sonntag, den 11. März erzählt man sich in Wanlo, daß die Dörfer an der Roer frei seien, und daß man mit Genehmigung des belgischen Besatzungskommandanten in Grambusch bei Erkelenz dorthin zurückreisen könne.


Sofort trete ich per Rad die Reise nach Grambusch an.
Der Kommandant ist nicht zu sprechen; aber die belgischen Posten gestatten mir, ohne Ausweis nach Effeld weiterzufahren.
Die Reise geht durch halbzerstörte, menschenleere Dörfer, über zerschossene Straßen, trümmerbesäte Wege, vorbei an zurückgelassenen Geschützen und Munitionsstapeln, durch Panzer- und Schützengräben, über die Betonblöcke von gesprengten Eisenbahn- brücken. Viele Kirchtürme, die sonst den Horizont säumten, sind nicht mehr zu sehen; sie liegen in Schutt und Asche, von feindlichen Granaten getroffen oder von unsern Soldaten gesprengt.


In die Nähe von Effeld angelangt stelle ich fest, daß der Helm des alten Turmes von Steinkirchen fehlt. Die Kirche von Effeld hat keine Dachziegel mehr. Der Ort selbst macht den Eindruck, als wenn er wieder bevölkert wäre.
Aber es sind nicht die Bewohner, sondern es sind Holländer, die von Haus zu Haus gehen und alles stehlen, was sie tragen können.
Es ist der plündernde Mob von jenseits der Grenze, der die Abwesenheit der Eigentümer ausnützt, um sich gewissenlos zu bereichern.
Auch im Pfarrhause treffe ich ein halbes Dutzend Plünderer bei ihrem unsauberen Handwerk an.
Zur Rede gestellt, wollen sie sich damit rechtfertigen, daß unsere Soldaten es ähnlich in Holland getrieben haben. Darauf kann ich ihnen erwidern, daß sämtlicher Schaden, den der Krieg in Holland verursacht hat, von Deutschland wiedergutgemacht werden wird. Was sie dagegen uns jetzt stehlen, wird uns niemand ersetzen. Sie machen sich jetzt selbst bezahlt für die erlittenen Verluste und werden später auch noch ihren Anteil an den Reparationsleistungen erhalten, so daß sie doppelt entschädigt sind, während wir, die wir die Kosten des Krieges zu tragen haben und dazu jetzt noch unsere Habe verlieren, doppelt geschädigt sind.
Die meisten und besten Möbelstücke und Einrichtungsgegenstände fehlen bereits im Pfarrhause.


In Effeld finde ich die 3 aus Steinkirchen oder der nächsten Umgebung zurückgekehrten Familien vor.
Nach einem schnellen Rundgang durch den Ort, um die Plünderer zu verscheuchen, muß ich die Rückfahrt nach Wanlo antreten.


Montag, den 12. März stellt der Kommandant von Grambusch die Einreiseerlaubnis nach Effeld aus.
Am gleichen Tage erfolgt die definitive Übersiedlung in die Heimat.
Ich bin der zweite, der aus weiterer Entfernung in die Pfarre zurückkehrt.


Effeld und Steinkirchen haben durch Kriegseinwirkung ziemlich schwer gelitten:
5 Häuser sind vollständig ausgebrannt, ca. 1 Dutzend sind so schwer beschädigt, daß sie nicht bewohnbar sind, viele weisen große Artillerietreffer auf, die Dächer sind zum größten Teil abgedeckt, kaum eine Fensterscheibe ist noch ganz.
Die Kirche in Steinkirchen hat keinen Turmhelm mehr, das Dach hat mehrere Löcher, die Chorfenster sind zertrümmert.
Das Gotteshaus in Effeld hat mehrere Volltreffer erhalten, so an der Giebelspitze über dem Hauptportal und am Eingang der Sakristei, das Dach ist ohne Ziegel, die Fenster sind schwer beschädigt, das Orgelgebläse ist vernichtet.
Das Pfarrhaus weist einen Volltreffer und viele kleine Beschädigungen auf.
Jedoch muß Gott Dank gesagt werden, daß unsere Pfarre weniger gelitten als die Ortschaften der nächsten Umgebung.


Die Nachricht, daß Effeld frei ist, verbreitet sich schnell unter den Evakuierten, so daß ab 13. März immer mehr Familien heimkehren.
Die ersten Wochen in den Trümmern sind schwer: kein wohnliches Heim, es fehlen die unentbehrlichsten Hausgegenstände, keine Lebensmittel, Straßen und Häuser angefüllt mit Trümmern, das Zunehmen der Plünderungen durch die Holländer, die nicht scheuen, unsere Sachen und Vorräte mit Fuhrwerken wegzuschaffen.
Die Gotteshäuser in Effeld und Steinkirchen sind so voller Schutt, daß in der ersten Woche kein Gottesdienst gehalten werden kann.
In der zweiten Woche wird wieder hl. Messe gefeiert, aber ohne Meßdiener (sie sind noch nicht aus der Evakuierung heimgekehrt) und ohne Kerzen.
Nach und nach kann die Meßfeier wieder allen liturgischen Vorschriften entsprechend vorgenommen werden.
Von Ostern an ist wieder kirchliches Leben wie früher, wenn auch nur mit kaum der Hälfte der Katholiken.
Die Erstkommunionfeier fällt in diesem Jahre aus.


Das Plündern der Holländer nimmt immer größeren Umfang und schlimmere Formen an; sie kommen in geschlossenen Gruppen und mit Gewehren und Handgranaten bewaffnet. Die Bevölkerung ist empört und zur Abwehr entschlossen; es droht zu blutigen Zwischenfällen zu kommen.
Da verständige ich die amerikanische Militärpolizei in Wassenberg, die nun öfters Polizeistreifen nach hier entsendet und so allmählich Ruhe und Sicherheit wiederherstellt.


Nach vielen Bemühungen gelingt es,in Niederkrüchten Dachziegel für die Kirche in Effeld zu erstehen.
Die anwesenden Pferdebesitzer holen sie in 2tägiger Arbeit nach hier, Männer und Jünglinge decken die Kirche wieder damit zu, so daß das Gebäude einstweilen vor Witterungsschäden geschützt ist.


Die Bevölkerung wächst ständig an.
Um Ostern ist sie auf ca. 300 Einwohner angestiegen.
Die Gemeinde ist ohne Oberhaupt. Da kommt von der amerikanischen Kreiskommandantur in Ratheim die Anordnung, daß ich als Pfarrer das Amt des Ortsbürgermeisters übernehmen soll. In dieser Stellung obliegt mir eine vielfältige und nicht leichte Aufgabe: die Wege und Straßen passierbar zu machen, Notbrücken zu bauen, Schützen- und Panzergräben anzufüllen, möglichst alles brachliegende Land zu bestellen, Saatgut und Brotgetreide zu beschaffen, Lebensmittel, Kleiderstoffe, Werkzeuge usw. hereinzuholen, denn an all diesen Dingen fehlt es in der Gemeinde.
Die Aufgaben können in zufriedenstellender Weise gelöst werden.
Die Bevölkerung hat in vorbildlicher Gemeinschaftsarbeit wochenlang Großes geleistet, dem Dorfe wieder ein sauberes Aussehen verliehen und ca. 2/3 der Bodenfläche für die Ernte bestellt.
Anfang Juni wird das Amt des Ortsbürgermeisters wieder von einem Laien übernommen.


Am 8. Mai kommt die Nachricht, daß der Krieg zu Ende ist.

Was ist seit dem Durchmarsch des Feindes durch unsere Heimat geschehen?
Am 8. März ist Köln gefallen, am 9. März hat der Feind einen Brückenkopf bei Remagen bilden können, am 23. März wird der Rhein im Norden bei Wesel, im Süden bei Oppenheim überschritten. Anfang April wird das Ruhrgebiet eingekesselt, am 10. April stehen englische Truppen vor Bremen, in Bayern stoßen die Amerikaner bis Würzburg vor, am 17. April erreichen sie die Tschechoslowakei, am 24. April ziehen die Russen in Berlin ein. Die deutsche Wehrmacht ist geschlagen.
Am 7. Mai streckt Deutschland bedingungslos die Waffen.
Der Krieg ist aus!
5 Jahre, 8 Monate und 7 Tage hat er gedauert.
Die ganze Welt atmet erlöst auf.
Nun ruhen wenigstens die Waffen, das Morden und Vernichten hat aufgehört, der Wiederaufbau kann begonnen werden.
Freudigen Herzens dankt die Gemeinde am folgenden Sonntag dem Herrgott für die Beendigung des Krieges und bittet um einen wahren, gerechten Frieden.


Zum 29. Juni erscheint ein erstes Hirtenwort
unseres Aachener Bischofs. Es begrüßt die heimgekehrten Diözesanen und wendet sich einer augenblicklich sehr dringenden Frage zu: der christlichen Auffassung vom Eigentum.
Der Krieg im allgemeinen und die große Not in vielen Ortschaften verleitet zu Unehrlichkeit und Diebstahl. Es gilt, die Gewissen zu schärfen und dem Rechte Geltung zu verschaffen.
Auch in hiesiger Pfarre macht sich das Zeitübel bemerkbar, leider sind manche Diebstähle zu beklagen, die von Einwohnern begangen worden sind.



Von Anfang an hat der Nationalsozialismus alle erdenklichen Mittel angewandt, um Anhänger zu werben.
Nicht nur eine Riesenpropaganda, das Versprechen von besseren Stellungen und wirtschaftlichen Vorteilen, sondern auch das Androhen von Arbeitslosigkeit, Amtsentlassung, Geschäftsstillegung stellte er gewissenlos in den Dienst der Mitgliederwerbung.
Zuletzt ging seine Propaganda auch darauf hinaus, seine Anhänger zum Austritt aus der Kirche zu bewegen. Leider haben nicht alle Katholiken diesem Drucke widerstanden.
In unserer Gemeinde waren es 8, sechs Zollbeamten (bezw. deren Frauen) und zwei Einheimische, die von 1938-1942 aus der katholischen Kirche ausgetreten sind. Bevor sie wieder in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen werden können, sollen sie - laut bischöflicher Anordnung - eine dreimonatige Unterrichts- und Bewährungsfrist bestehen.


Die Kriegsteilnehmer kehren nach und nach heim, zuerst die aus englischer und amerikanischer Gefangenschaft.
Rußland entläßt nur die verwundeten und kranken Soldaten, die gesunden werden zum Arbeiten zurückbehalten oder sogar ins Innere Rußlands bis nach Sibirien verschickt.
Bis zum 1. September ist ca. die Hälfte (etwa 100) der Kriegsteilnehmer wieder daheim.
Die meisten von ihnen sind leiblich und seelisch stark deprimiert. Ihre Gesichter tragen deutlich die Spuren der vielen erlittenen Entbehrungen. Innerlich sind manche enttäuscht über das böse Kriegsende und finden nur langsam den Anschluß an das normale Friedensleben wieder. Religiös haben sie im allgemeinen nicht so schweren Schaden genommen wie im ersten Weltkriege, einige haben die Probe des Krieges tapfer bestanden.


Am 5. August findet in Dalheim das erste Treffen der katholischen Jugend des Dekanates nach dem Kriege statt. Viele heimgekehrte Soldaten nehmen daran teil. Der Festprediger spricht zu ihnen von der wahren Heimat, die letzthin die Heimat in Gott ist.


Der Deutsche Episkopat versammelt sich zum ersten Male nach Kriegsende wieder in Fulda im Juli.
Ihr gemeinsames Hirtenschreiben bezeichnet die Ehrfurcht als die notwendigste Voraussetzung für den sittlichen und religiösen Wiederaufbau.
Der Nationalsozialismus hat versucht, dem Menschen die Ehrfurcht vor Gott und vor dem Mitmenschen zu rauben. Religion, Gerechtigkeit und Liebe mußten dadurch schwinden, und Gottlosigkeit, Grausamkeit und Haß an ihre Stelle treten.
„Eine Zeit reiner Diesseitigkeit ist zusammengebrochen und hat uns ein ungeheures Trümmerfeld hinterlassen. Laßt uns diese Trümmer beseitigen vor allem in Buße und Rückkehr zum Herrn, unserm Gott!
Laßt uns ans Werk gehen und neu bauen auf dem festen Fundament des Glaubens an den dreieinigen Gott, in Unterordnung unter Gottes hl. Willen!
Laßt uns unsern schweren Weg durch Arbeit, Not und Sorge gehen mit dem Blick auf die ewigen Güter, die Gott uns verheißen hat für unsern treuen Dienst hier auf Erden!“


Sonntag, der 12. August wird von der ganzen Pfarre als Danktag begangen dafür, daß Gott unsern Ort so gnädig beschützt und vor größeren Verwüstungen bewahrt hat.
Unsere beiden Gotteshäuser sind noch erhalten, wenn auch beschädigt.
Die allermeisten Familien haben noch ihre Wohnung; ca. 1 Dutzend müssen Notwohnun- gen bei fremden Familien beziehen.
Die Zivilbevölkerung hat wenig Verluste erlitten: 2 Tote (1 Erwachsener bei der Räumung von Beamten der Grenzkontrolle erschossen, 1 Kind bei einem Fliegerangriff in Sachsen tot geblieben) und 2 Verwundete (durch Granatsplitter).
Im Verhältnis zu den Dörfern der Umgebung hat unsere Pfarre am wenigsten gelitten.
Am Danksonntage schreitet deshalb die Pfarre geschlossen zum Tische des Herrn, nimmt teil an den Dankgottesdiensten und spendet bei der Kollekte die Summe von 3.007,89 M für die Wiederinstandsetzung unserer beiden Kirchen.


Aber bald tauchen wieder neue Sorgen und Befürchtungen auf.
Holland, so heißt es, verlangt einen Streifen von 5 km Breite entlang der deutschen Westgrenze als Entschädigung für das von Deutschland während des Krieges verwüstete hollän dische Gebiet.
Das abzutretende Gelände soll von den deutschen Bewohnern geräumt werden.
Der Grenzbevölkerung bemächtigt sich wieder dieselbe Unruhe und Nervosität wie vor einem Jahre und wie zu Beginn des Krieges.
Wir beten täglich zu Gott um die Erhaltung der Heimat; unsere jährliche Prozession zum Gnadenbilde der ‘Lieblichen Mutter’ im benachbarten Ophoven dient dem gleichen Anliegen, sie weist eine nie dagewesene Teilnehmerzahl auf.
Verhandlungen zwischen den Besatzungsbehörden diesseits und jenseits der Grenze führen zu dem Ergebnis, daß einstweilen keine Grenzveränderungen vorgenommen werden. Diese sollen der Friedenskonferenz vorbehalten bleiben.
Holland erhält wohl das Recht, unsere Waldungen an der Grenze für Nutz- und Heizzwecke abzuholzen. Die Wälder werden zu diesem Zwecke abgesperrt und dürfen von Deutschen nicht mehr betreten werden; nur die Hauptwaldwege bleiben benutzbar.
Tagtäglich hören wir nun die Axtschläge der holländischen Waldarbeiter und sehen unsere schönen Kiefer- und Fichtenbestände schwinden.
Die Gegend wird öder und kahler, ein Stück Heimat stirbt dahin.


Die englische Militärregierung drängt darauf, daß möglichst bald die Volksschulen eröffnet werden.
Auch die Eltern wünschen dringend, daß die Kinder, die infolge einer fast 12monatigen Ferienzeit zu verwildern drohen, endlich wieder regelmäßigen Unterricht erhalten.
In Aachen wird die erste Schule eröffnet; aber es ist - entgegen allen berechtigten Erwartungen der katholischen Bevölkerung - keine konfessionelle Schule, sondern eine sogenannte christliche Simultanschule, die Religion nur als Nebenfach behandelt.
Da erwachen die Katholiken. Durch Eingaben verschiedener Behörden an die Militär regierung wird beantragt, daß uns die Volksschule von vor 1933 wiedergegeben wird, d.h. in katholischen Gegenden die katholische Schule.


Deutlich formuliert der Bischof in einem besonderen Schreiben die Forderungen der Katholiken:
katholische Schule für katholische Kinder, katholische Lehrer- und Lehrerinnenausbildung, das Recht der Kirche zur Gründung katholischer Unterrichtsanstalten unter Beseitigung des staatlichen Schulmonopols bei Anerkennung des Aufsichtsrechts des Staates, die Gleichberechtigung der katholischen Schulen und ihre Unterstützung aus öffentlichen Mitteln.

Zur Unterstützung dieser Forderungen und zur unwiderleglichen Bekundung unseres Willens erfolgt am 19. August in der Kirche eine schriftliche und namentliche Abstimmung über die Schule.
Das Ergebnis ist: 98,68 Prozent der Kirchenbesucher über 21 Jahre (d.h. 94 Prozent der katholischen erwachsenen Bevölkerung überhaupt) stimmt für die konfessionelle Schule.
Ähnlich ist das Ergebnis in den andern Pfarreien des Dekanates und der Diözese.
In der Stadt M.-Gladbach hat man - entgegen dieser Abstimmung - die Simultanschule einführen wollen. Die katholischen Eltern haben dann auf Anregung der Geistlichkeit gestreikt und ihre Kinder vom Unterricht ferngehalten. Die Behörden haben daraufhin nachgegeben und die konfessionelle Schule konzediert.


Zur Unterrichtserteilung werden zuerst nur diejenigen Lehrpersonen zugelassen, die nicht Mitglied der NSDAP waren.
Die übrigen werden zunächst auf ihre politische Einstellung geprüft und nur nach Entscheidung der Militärregierung zugelassen.
Aus letzterem Grunde und wegen der Beschädigung des Schulgebäudes kann der Schulunterricht in Effeld noch nicht beginnen.
Religionsunterricht wird wieder seit August in der Kirche zweimal wöchentlich erteilt.


In der Nazizeit waren die Kreuze aus den Schulen entfernt worden. Der National-sozialismus leugnete Christus und strebte eine offene Rückkehr zum Heidentum an.
Auch in Effeld haben unbekannte Frevlerhände sich an den Kruzifixen vergriffen und sie beseitigt.
Zur Sühne für diese Freveltat und zum Zeichen, daß wieder eine christliche Epoche anbricht, werden die Kreuze am Sonntag, dem 30. September in einem Nachmittagsgottesdienst feierlich gesegnet und in Prozession zur Schule getragen, wo sie vom Priester an ihrem früheren Platze angebracht werden.

Vidi in visit. Eccl. 22.XI.1946. gez. Ruppertzhoven, Dech.

7.V.47
gez. Joannes Joseph
Episc. Aqu.


Freitag, den 26. Oktober
wird auch die Schule in Effeld wieder als ‘katholische Volksschule’ eröffnet, einstweilen mit nur einer Lehrperson, dem bisherigen Lehrer Robert BIERGANZ, der inzwischen aus dem Kriege heimgekehrt ist.
Das Schulgebäude ist nur notdürftig wiederhergestellt; es fehlt das Lehr- und Lernmaterial; aber ein solcher Behelfsunterricht ist besser als gar keiner.
Auch der Religions-Unterricht wird wieder in der Schule als ordentliches Lehrfach erteilt.


Am 27. Oktober erhält Effeld wieder elektrischen Strom.
Für den Ort ein bedeutsames Ereignis, da Ersatz für elektrisches Licht, wie Kerzen, Petroleum- oder Karbidlampen kaum zu beschaffen sind und manche Familien die Abende in völliger Dunkelheit verbringen mußten.


Seit Sonntag, dem 23. September ist in Steinkirchen kein Gottesdienst mehr.
Die Schäden an der dortigen Kirche, besonders an Dach, Gewölbe und Fenstern sind so erheblich, daß der Aufenthalt im Gotteshause bei schlechter Witterung kaum möglich ist. Auch das Reinhalten der Kirche ist bei dem beständigen Herabrieseln von Kalk und Steinteilchen vom Gewölbe nicht mehr durchführbar.
Einstweilen ist an eine Beseitigung der Schäden leider nicht zu denken.
Die Bewohner von Steinkirchen müssen von nun ab den Gottesdienst in Effeld oder in dem näher gelegenen Ophoven besuchen.


Die Meßbestellungen seitens der Gläubigen häufen sich derart, daß eine Einschränkung in folgender Weise eingeführt werden muß:
angenommen werden noch die Jahrgedächtnisse für die Verstorbenen der letzten 10 Jahre,
Exequien, Brautämter, hl. Messen aus Anlaß von silbernen oder goldenen Hochzeiten.
Andere hl. Messen, besonders solche ‘in besonderer Meinung’ können nicht mehr gelesen werden.
Dafür wird an jedem Herz-Jesu-Freitag eine Segensmesse in der Meinung der Besteller gefeiert, zu der die Gläubigen ein beliebiges Opfer in einen dafür bestimmten Opferstock legen können..

Am 29. November wird wieder die Feier des ‘Ewigen Gebetes’ gehalten.
Sie muß aber auf die Tagesstunden beschränkt werden, weil seitens der englischen Militärregierung ein Ausgehverbot für die Zeit von 10 Uhr abends bis 6 Uhr morgens besteht.


Viele Katholiken, die während der Nazizeit aus der Kirche ausgetreten sind, haben den Wunsch, wieder in die Gemeinschaft der Kirche zurückzukehren.
Der Bischof ordnet an, daß in solchen Fällen zu untersuchen ist, ob die betreffende Person aktiv gegen die Kirche gekämpft hat oder andere zum Kirchenaustritt veranlaßt hat. Die Wiederaufnahme darf in der Regel nur nach einer Bewährungsfrist von 3 Monaten erfolgen, in denen der Betreffende am kirchlichen Leben und an einer vom Pfarrer zu erteilenden Unterweisung teilnehmen muß.


Zu Weihnachten richtet der Bischof ein herzliches Hirtenwort an seine Diözesanen, in dem er auf die heute so notwendige Pflicht der Nächstenliebe hinweist:
„Liebe, die in jedem Menschen den Bruder und die Schwester sieht.
Liebe, die barmherzig Schuld verzeiht und um eigene Armut und Sünde weiß.
Liebe, die uns hindert, Pharisäer zu sein.
Liebe, die gütige Herzen und helfende Hände hat.
Liebe, die nicht des andern Hab und Gut mißachtet.
Liebe, die sich freihält von aller Art der Selbstsucht.
Liebe, die nicht Bettelleute abspeist.
Liebe, die nicht nur vom Überflusse mürrisch abgibt.
Liebe, die um eine Verantwortung vor Gott und dem allgemeinen Wohl weiß.
Liebe, die im Gesellschaftsleben, Wirtschaftsleben sich gerecht auswirkt.
Liebe, die auch das Parteileben entgiftet.
Liebe, die wahrhaft sozial ist.“

 
     
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