Chronik der Kirchengemeinde Steinkirchen/Effeld  
   
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Johann Matthias HACK,
geboren zu Bürvenich am 25. Februar 1808, seit dem 17. Dezember 1846 Kaplan an ‘St. Mauritius’ in Köln, war Pfarrer in Steinkirchen vom 22. Juli 1853 bis zum 23. Mai 1865, als er zum Pfarrer in Dürboslar ernannt wurde.
Unter seiner Ägide wurde das neue Pfarrhaus gebaut. Am 18. März 1852 hatte das
Erzbischöfliche Generalvikariat genehmigt und beschlossen, daß die Baubehörde der Kirche die Hälfte der notwendigen Kosten übernehmen solle. Letztendlich bezahlte sie 1185 Taler und 22 Silbergroschen. Es ist eine Tatsache, daß das Geld, welches die Pfarrangehörigen seinerzeit aufzubringen hatten, um die Kirchensteuer für ihre Häuser und Felder zu entrichten,
sie schier erdrückte.; und dann auch noch diese Verpflichtung. Aber es war damals noch nicht so, daß in solchen Fällen die Zivilgemeinde die Kosten zu übernehmen pflegte. Heute hätte sich diese leidige Sache sicher anders gestaltet, denn im Jahre 1856 wurde das Ackerland, das zwischen Effeld und dem Gebiet der Gemeinde Vlodrop gelegen ist, ‘BRUCH’ genannt wird und tatsächlich auch Bruchland ist, dem Vermögen der hiesigen Gemeinde zugeschlagen.

Die Wege von Steinkirchen nach Effeld und von dort aus weiter zur holländischen
Grenze waren seinerzeit in einem denkbar schlechten Zustand; Fahrzeuge, Pferde und Straßenbenutzer versanken gleichsam im Morast: Diese Verhältnisse haben sich glücklicherweise dank der Bemühungen unserer Heimatgemeinde verbessert, denn nunmehr sind die öffentlichen Wege passierbar eingeebnet worden.

Als das Pfarrhaus neu gebaut wurde, hielt sich HACK im Hause des Schulmeisters LENNARTZ in Effeld auf - LENNARTZ hatte sein ‘Domizil’ in der Nähe des Kapellchens - , und er hatte beim Generalvikariat die Erlaubnis eingeholt, das ALLERHEILIGSTE in besagtem Kapellchen aufbewahren zu dürfen.

Mit erzbischöflicher Genehmigung begann HACK am 31. Januar 1854 in unserer
Kirche mit der KREUZVEREHRUNG an den Sonntagen der Fastenzeit.

Im Jahre des Herrn 1863 wurde die Friedhofsmauer, die mit Nischen für die
Kreuzwegstationen bestens ausgestattet war, fertiggestellt. Joseph WINDELEN,
dessen Garten an die Südseite des Friedhofs angrenzt, stellte im Wege der Schenkung eine Ecke seines Gartens mit den Ausmaßen von 15 Schritten in der Länge und 6 Fuß in der Breite für die Erweiterung des Friedhofs zur Verfügung.
Theodor DERICHS, dessen Garten an die Ostseite des Friedhofs angrenzt, stellte seinerseits eine Gartenecke mit den Ausmaßen von 5 Schritten in der Länge und 6 Fuß in der Breite der Kirchengemeinde zur Verfügung. Es handelt sich dabei um den Friedhofsteil, der nicht eingesegnet ist und in dem die UNGETAUFTEN und EXKOMMUNIZIERTEN beerdigt werden.
Kreuzwegstationen wurden noch nicht angeschafft, weil die Errichtung einer neuen Kirche notwendig erschien und die Frage noch ungeklärt war, ob das Gotteshaus an ALTER STELLE oder in EFFELD gebaut würde. Das eiserne Friedhofstor wurde unter dem Nachfolger von Pfarrer HACK im Jahre des Herrn 1867 angefertigt.

HACK hatte Josef WINDELEN, der - wie vorstehend erwähnt - einen Teil seines
Gartens als Friedhofsgelände gestiftet hatte, versprochen, jährlich eine Opfermesse für dessen verstorbene Vorfahren zu lesen, ein Versprechen, welches er auch hielt. Auch der Nachfolger von Pastor HACK hielt sich an das gegebene Versprechen,
indem er noch einige Jahre die erste Messe am Fest des hl. Martin für die verstorbenen Vorfahren von WINDELEN las.

Vom Jahre 1861 an bis zu seiner Versetzung nach Dürboslar (bei Aldenhoven) war HACK Dechant und Schulinspektor des Dekanates Wassenberg.
JANSEN, der Pfarrer von Arsbeck, folgte ihm in diesen Ämtern nach.

Der Estrich unserer Kirche war aus vielen Grabsteinstückchen, von denen einige
aus fernen abendländischen Ländern herbeigeschafft worden sein sollen, zusam-
mengesetzt. Diesen ließ HACK entfernen, als er den neuen Estrich - im Mittelgang aus kleinen quadratischen Steinen, und unter den Kirchenbänken aus Holz - fertigen ließ.

HACK stellte die irdene ROCHUSSTATUE zur Rechten des Hauptaltares auf.
Die aus gleichem Material gefertigte STATUE DER HL. KATHARINA stellte er
am Katharinenaltar auf. Überdies wurde die STATUE DER HL. JUNGFRAU
MARIA, welche - in den schönsten Farben bunt angemalt - auf einem an der
Wand befestigten THRON unter einem BALDACHIN stand, von diesem Platz
entfernt und in das KAPELLCHEN IN EFFELD verbracht, wo zuvor ein altes,
aus Holz gefertigtes Bildnis der ‘B.M.V.’ (= Beata Maria Virgo = Selige Jungfrau
Maria) aufgestellt war, welches sich in einem sehr hinfälligen Zustand befand.

Im Jahre des Herrn 1857 wurde ein steinernes Monument auf dem Grabe von
Theodor VAN DER RENNE, der am 4. August 1856 in Roermond verstorben war, in unmittelbarer Nähe der Sakristei errichtet.

Im Juli d. J. 1859 ließ Johann Ludowika VAN DER RENNE ein FRIEDHOFS-
KREUZ errichten, dessen Sockel aus Stein ist, während der obereTeil aus Holz ist. Dieses Kreuz stand zunächst an der Kirchenmauer in Höhe der zugemauerten Tür hinter dem Hochaltar, wurde dann aber von dieser Stelle entfernt und an der
Ostseite, also zur Linken der Kirche, aufgestellt. Man sagt, das Holzkreuz sei einer in unserer Kirche abgehaltenen MISSION zu verdanken.

Was sich VASSEN vorgenommen hatte und was er unbedingt erreichen wollte, das gelang HACK; er beschaffte nämlich im Jahre des Herrn 1855 mit Hilfe freiwilliger Spenden eine ORGEL, d.h. ab 1855 lief die Spendenaktion zur Beschaffung einer Orgel. Am Fest der Geburt des Herrn im Jahre 1867 stellte der Orgelbauer KUHLEN aus Heinsberg die Orgel ‘GAMBA-BASSO“ vor.

Am 11. November 1859 stiftete Johanna Ludowika VAN DER RENNE für die Seele ihres verstorbenen Bruders eine jährlich am 4. August zu lesende Messe, deren nähere Einzelheiten wir in unserem Meßstiftungsbuch nachlesen können.

Die noch aus alter Zeit stammenden jährlich wiederkehrenden Gedenkmessen
wurden am 24. Juni 1854 durch Seine Eminenz Johannes VON GEISSEL, unseren Erzbischof, derart drastisch zurückgeschraubt,daß nur noch so viele gelesen werden
dürfen, wie 20 Silbergroschen in der Summe aller Einkünfte aus Jahresstiftungen bis auf das Fixdatum enthalten sind.

Am 2. Dezember 1862 übernimmt es die Bruderschaft vom hl. Michael, im Wege von Almosen (‘PETRUSPFENNIG’) und sonstigen Hilfsaktionen unseren hoch verehrten Papst PIUS IX., der von Gefahren, Schwierigkeiten und Nöten schier erdrückt und zudem vom König von Sardinien, Viktor Emanuel, über die Maßen strapaziert und schändlich bedroht wird, zu unterstützen. Diese Bruderschaft, die auf Geheiß seiner Eminenz Johannes VON GEISSEL in allen Pfarreien des Erzbistums Köln gegründet wurde, blüht - o Wunder - allenthalben auf. Was soll man da noch sagen, wenn man erfährt, daß schon alleine unsere kleine und wahrlich arme Pfarrgemeinde alljährlich 30 Taler für die Papsthilfe aufbrachte?!

Am 13. April 1831 ist der Tabernakel unseres Hochaltars angefertigt worden.

Friedrich LENNARTZ, dem Schulmeister in Effeld, wurde im Zusammenhang mit
der stetig anwachsenden Schülerzahl im Februar des Jahres 1860 der in Ophoven geborene und im Seminar in Kempen / bei Krefeld ausgebildete Albert SCHMITZ zur Seite gestellt, der die jüngeren Knaben und Mädchen unterrichten sollte, so daß nunmehr unsere Schule in zwei Klassen aufgeteilt werden konnte.
Als LENNARTZ am 5. Mai 1860 starb, übernahm Albert SCHMITZ selbst die
Oberklasse und unterrichtete zusätzlich, erst- und letztmalig im Wechsel mit dem
bereits examinierten Philipp PIELA, die Unterklasse.

Im Herbst des J. 1864 wurden unsere Schulkinder nach Geschlechtern getrennt.
Den Knaben wurde Albert SCHMITZ als Lehrer zugewiesen, und die Mädchen
wurden von der in Aachen geborenen Lehrerin Therese LAMBRIS unterwiesen,
nachdem Ludwig (oder Philipp ?) PIELA aufgehört hatte.

Unserem Küster Hermann JENNISSEN, der am 7. Januar 1857 starb, folgte sein
Sohn Bartholomäus JENNISSEN im Amt nach.

HACK, welcher der Gartenpflege sehr zugetan war, hielt den Pfarrgarten bestens
in Ordnung, sei es daß er Blumen erlesener Art anpflanzte, sei es daß er die Gartenwege in Ordnung hielt oder daß er in einem Teil des Gartens exotische (orientalische) Früchte heranzog; alleine schon sein Baumgarten gereichte der ganzen Umgebung zur Zierde, und zwar nicht nur auf Grund der Höhe der Bäume.
Er war auch ein sehr eifriger Seelenhirt, der sich die Gemüter aller gewogen
machte. Aus diesem Grunde gab es am 23. Mai 1865, als er nach Dürboslar umzog, aber auch nicht einen einzigen, der nicht trauerte.

Clemens August KRICKER,
geboren zu Neuwerk / bei M.Gladbach am 23. Dezember 1830, zum Priester geweiht am 4. September 1854, sodann Kaplan in ‘St. Pantaleon’ zu Köln und Rektor eines Kölner Waisenhauses, wurde am 10. Juni 1865 HACKS Nachfolger.

Die Liebe und Anhänglichkeit, welche die Pfarrangehörigen seinem Vorgänger
entgegengebracht hatten, brachten sie in gleichem Maße dem Neuankömmling
entgegen. Dies wurde schon bei der eindrucksvollen Einführung nachhaltig unter Beweis gestellt. Am Vortag der Einführung ging ein Behälter, in welchem Schießpulver gezündet werden sollte, ‘zu Bruch’, und bei dieser Gelegenheit brach sich der arme Leonard FRENTZEN sein linkes Bein.

Im Jahre des Herrn 1866 beschaffte Johann Ludowika VAN DER RENNE eine
neue rote KASEL, eine ALBE, ein CHORHEMD sowie eine Decke für die
Kommunionbank, und im Jahre 1867 eine neue Prozessionsfahne.

Die jüngere Schwester des Pfarrers, Lehrerin in Neuwerk, fertigte Altartücher mit
dem alternativen Aufdruck „Heiliger Martinus, bitte für uns“, „Heiliger Rochus,
bitte für uns“ und „Heilige Katharina, bitte für uns“. Für die Kommunionbank bedruckte sie ein Tuch mit dem Text „Mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise“.
Die Superiorin der ‘Schwestern vom heiligen Karl Borromäus im Kölner Waisen-
haus schenkte unserer Pfarrei eine Decke mit dem Aufdruck „Heilige Maria, bitte
für uns!“.

Zu Anfang des Jahres 1865 hatte HACK eine weiße Kasel mit einem aufgedruckten goldenen Kreuz auf Kosten der Kirchenkasse besorgt.

Im Jahre 1867 wurden eine grüne Kasel und im Jahre 1868 Levitengewänder über die ‘Kirchenfabrik’ beschafft.

In der Vergangenheit hatten sowohl VASSEN als auch HACK an dem einen oder
anderen Sonntag im Monat und an Festtagen jeweils zwei Messen gelesen.
Ab dem Jahre 1864 gilt das für alle Sonn- und Feiertage des Kirchenjahres.

Am 24. Mai 1867 gewährte Papst PIUS IX. einen ‘vollkommenen Ablaß’, der am
Feste des heiligen Martinus, Bischof von Tours, also unseres Schutzheiligen
(PFARRPATRON), gewonnen werden konnte, und zwar gilt dies für ein ganzes
DEZENNIUM (=Jahrzehnt) Johann Leonhard VAN PIER hatte diesen Ablaß unter den Päpsten PIUS VI. und PIUS VII. zweimal für je sieben Jahre gewonnen; die Ablaßperiode war während der Amtsführung von Pfarrer Johannes SCHLABBERTZ ausgelaufen.

Am 6. September 1866 erteilte Seine Eminenz der Kölner Erzbischof und Kardinal Paul MELCHERS kraft seiner ‘apostolischen Autorität’ auf Dauer die Befugnis, an Doppelfesten jeweils drei Messen, darunter auch für die verstorbenen Vorfahren, zu lesen.

Am 19. April 1867 (Karsamstag) wurde zwischen drei und vier Uhr nachmittags an dem Weg, der von Effeld nach Rothenbach führt, feierlich ein neues Kreuz aufgestellt, da das alte Kreuz verwittert war.

Am 2. November 1865 wurde der BORROMÄUSVEREIN gegründet zum Zwecke der Verbreitung guter Bücher.

Vom Winter 1865 bis zum Sommer 1867 drohte von Holland her eine Viehseuche einzudringen, was die Preußische Regierung zu verhindern suchte, indem sie unsere Grenzen mit Militär bewachen ließ. So kam es, daß während dieser Zeit etwa 20 bis 30 Soldaten in unserer Pfarrei stationiert waren.
Gott sei gedankt, daß unsere Jungfrauen unberührt und unversehrt geblieben sind. Im Sommer des Jahres 1866 wurden die Soldaten plötzlich abberufen, auf daß sie sich in dem zwischen Preußen und Österreich ausgebrochenen, äußerst betrüblichen Krieg mit verwerflichem ‘Ruhm bekleckern’ sollten. Zwölf unserer Jungmänner nahmen ebenfalls an diesem Krieg teil. Täglich haben wir in unserer Kirche gebetet, Gott möge sie beschützen, und zahlreiche Messen wurden für sie gelesen; und siehe da, alle kehrten unversehrt und wohlbehalten aus den zahllosen Gefechten und Kämpfen zurück.

Im Herbst des Jahres 1866 wurde unsere Kirche getüncht.

Bei allen Pfarrangehörigen wuchs seinerzeit permanent das Verlangen, eine neue Kirche müßte gebaut werden, weil das alte Gotteshaus im Laufe der Zeit immer schadhafter geworden und überdies zu wenig geräumig war. Unsere Pfarrei zählte am 1. März 1868 751 Einwohner, von denen etwa 500 an der EUCHARISTIE teilnahmen.

Im Jahre 1867 sind die Holzfenster unseres Kirchturms gestrichen worden.

Die aus Neusilber gefertigte Ampel, die das ‘Ewige Licht’ birgt, war 1861 unter
Pastor HACK angeschafft worden.

Am 9. Oktober 1868 war auf Geheiß seiner Eminenz des Kölner Erzbischofs
Paul MELCHERS eine sehr schön bedruckte Seidenumhüllung für unser Hostiengefäß (KELCH) zum Preise von 11 Talern angeschafft worden.

Am 17. Mai 1868 wurde das Innere unseres Tabernakels mit vier Seidentüchern
ausgeschmückt, in die zuvor unsere Lehrerin Therese LAMBRIS das Zeichen des
‘ALLERHEILIGSTEN NAMEN JESU’ eingewebt hatte.

Am 9. Mai 1868 stellte uns die ‘Kirchenfabrik’ ein weißes, mit Gold besticktes oder bewebtes Schultertuch zur Verfügung.

Am 7. Juni 1868 haben wir in einer feierlichen Prozession die Reliquien des
heiligen Martin, unseres Schutzpatrons, aus dem Effelder Kapellchen übers freie
Feld, durch die Effelder Straßen ‘Schley’ und ‘Kreuzstraße’, dann wiederum über
freies Feld nach Steinkirchen in unser Gotteshaus übergeführt.
Heinrich GOEBBELS, der Pfarrer von Rurkempen, assistiert von Norbert ESSER, dem Pfarrer zu Ophoven, und dem CHRONISTEN Clemens August KRICKER,
war der Träger der kostbaren Reliquien; das Generalvikariat stellte geistliche Begleiter; blumentragende Kinder in weißen Gewändern schritten voran, Mitglieder der Schützenbruderschaft ‘Sankt Martinus’ fungierten waffentragend als Ehrenwache; die Spitze der Prozession bildeten die Schulkinder, das Ende eine überaus große Männerschar.
Wir haben diese Reliquien aus Rom erhalten, mit Hilfe eines wackeren jungen
Mannes namens Johann RADEMACHER, dessen Schwester in unserer Pfarrei
wohnt und der Mitglied der SCHWEIZERGARDE Seiner Heiligkeit Papst
PIUS IX. - genannt ‘LOUAVI’ - war, an der ruhmreichen Schlacht bei Mentana
teilgenommen und gegen die törichten italienischen Demokraten gekämpft hat.
Das Dokument aus Rom, das den Reliquien beigefügt war und von unserem
Generalvikariat verifiziert (=als richtig bestätigt) war, hat den folgenden
WORTLAUT:

„Wir Bruder Franciscus MARINELLI, Mitglied des Ordens der ‘Eremiten vom
heiligen Augustinus’, von Gottes und des Apostolischen Stuhles Gnaden
‘Porphyrischer Bischof’, Präfekt der Päpstlichen Kapelle, Hausprälat und
Assistent Seiner Heiligkeit, bezeugen mit diesem Schreiben, daß Wir zu Ehren des Allerhöchsten und der Verehrung Seiner Heiligen hiermit als Geschenk übermitteln heilige Partikel (=Teilchen) der Gebeine des heiligen Bischofs Martinus, authentischen Monumenten entnommen, indem Wir sie, in einer einzigartigen Kristallkugel geborgen, mit einer Seidenschnur aus roter Farbe zusammengehalten und mit Unserem Wachssiegel versehen, in einer ovalen Messingkapsel ehrerbietig übersenden - veranlaßt durch die Allmacht Gottes -, auf daß sie den Gläubigen nicht vorenthalten werden und, wo immer es beliebt, in einer Kirche, einem Bethaus oder einer Kapelle, zur öffentlichen Verehrung durch die Christgläubigen ausgestellt werden.
Weswegen Wir auch als Bekräftigung und zur Sicherheit dieses eigenhändig
unterzeichnete Zertifikat mitübersenden.
Gegeben zu Rom am 5. Februar 1868.

Mit besten Grüßen
Für die Kommission
Angelus SANTILLI, Bischof


Die in der Urkunde erwähnten heiligen Reliquien haben wir einer Untersuchung
unterzogen, und wir erteilen hiermit die Genehmigung, sie der Öffentlichkeit zur
Verehrung zugänglich zu machen.


Das Erzbischöfliche Generalvikariat
In besonderem Auftrag
Dr. J.J. BROIX, Kapitularkanoniker
für die Römische Kurie


Am 25. Oktober 1868 spendete der Ehrwürdigste Herr Paulus, Erzbischof von
Köln, in Rurkempen den Pfarrkindern aus Rurkempen, Karken, Ophoven und
Steinkirchen das heilige Sakrament der Firmung. Aus unserer Pfarrgemeinde
kamen allein 101 Firmlinge. Am Abend dieses Tages besuchte der Erzbischof auch unser Gotteshaus und unser Pfarrhaus zum Zwecke der ‘kanonischen Visitation’, wobei er an der Pfarrgrenze vom Pfarrer und nahezu allen Kindern, Jugendlichen, Männern und Frauen abgeholt wurde.
Junge Leute, die sich Küster Bartholomäus JENNISSEN zwecks Einstudierung
eines Liedes zur Verfügung gestellt hatten, sangen zu vorgeschrittener Nachtzeit zu Ehren des hohen Herrn am Eingang des Pfarrhauses eine Weise, während Mitglie der der St. Martini-Schützenbruderschaft sowie andere Jugendliche und Männer ihn, Fackeln in den Händen tragend, untertänigst grüßten. Häuser und Straßen in Steinkirchen und Effeld waren festlich geschmückt mit Fahnen, Kränzen, mit Luftschlangen dekorierten Palmen sowie Transparenten, und alle berührte es ausgesprochen schmerzlich, daß während der Nacht und tagsüber ein Gewittersturm und -regen wüteten, die sowohl den Leuten, als auch dem Festschmuck erheblich zusetzten. Auch hatte der hochwürdigste Herr unsere Schulklassen einer Visitation für würdig befunden.
Nachdem er am folgenden Tag in unserem Gotteshaus die hl. Messe gefeiert hatte, verließ er uns gegen zehn Uhr vormittags, nicht ohne den Pfarrer mit freundlichen Worten in Hochstimmung versetzt und ermutigt zu haben, und begab sich Ophoven.

Nachdem am 4. Juni 1869 JANSEN, der Dechant des Dekanates Wassenberg und Pfarrer zu Arsbeck, nach Wanlo / bei Erkelenz versetzt worden war, und nachdem alle Pfarrer unseres Dekanates gleichlautende Voten nach Köln gesandt hatten, wurde vom Hochwürdigsten Herrn Erzbischof Paul von Köln Pfarrer KRICKER zum Dechant des Dekanates Wassenberg ernannt, während er von der Regierung unserer Region mit Genehmigung des Generalvikariats zum Schulinspektor für denselben Bereich berufen wurde.

Im Herbst des Jahres 1869 trat Lehrerin Antonia STINS, geboren in der Diözese Paderborn / Provinz Westfalen, die Nachfolge unserer Lehrerin Therese LAMBRIS an, die an die Schule in Kohlscheid / bei Aachen ging.

Im Winter des Jahres 1870 ließ uns das Generalvikariat (‘Kirchenfabrik’) zum
Preise von 30 Talern ein neues vergoldetes KRANKENZIBORIUM (=Aufbewahrungsgefäß für Hostien) zukommen, das eine angemessene Größe aufweist; der Deckel ist aus Silber und das Gehäuse bietet der Silbervase mit heiligem Öl Platz.

Im Laufe der Jahre ist das Kapellchen in Effeld ziemlich baufällig geworden.
Im Jahre 1871 wurde es mit Hilfe einer uneigennützigen freiwilligen Spende
restauriert und mit Kreuzwegstationen ausgestattet, die Pfarrer KRICKER unter
Assistenz dreier befreundeter Priester und in Gegenwart einer großen Schar
Erwachsener und Schulkinder kraft seiner ‘apostolischen Autorität’ am 23. November 1871 einweihte und durch Gewährung von vollkommenen Ablässen angemessen würdigte.

Seit 1865 wurde jährlich eine Tombola durchgeführt , bei der jedes Los einen
Taler kostete und Geldbeträge verlost wurden. Am 11. Dezember 1871 übersandte mir eine Person, die im Begleitbrief angab, in unserer Pfarrei geboren und nach Burgwaldniel verzogen zu sein, ohne Namenangabe ein Gewinnlos über einen namhaften Betrag zugunsten des Baus einer neuen Kirche. Dem Abfassungsstil nach handelte es sich um eine weibliche Person.
War das nicht ein Fingerzeig Gottes?!
O, daß es doch so wäre und wir begreifen würden, daß wir durchaus in der Lage
sind, eine neue Kirche zu bauen! - Ich möchte hinzufügen, daß die in Rede stehende Tombola ihr Ende fand, als man reichliche Mittel zur Verfügung hatte, um die Kölner Metropolitankirche, an der jahrhundertelang gebaut worden war, endlich fertigstellen zu können.

Am Fest der ‘Unbefleckten Empfängnis der Allerseligsten Jungfrau Maria’, dem
Dezember 1869, kamen in Rom die Bischöfe des gesamten Erdkreises zum
Vatikanischen Konzil zusammen, zu dem sie Papst PIUS IX. einberufen hatte, und verblieben dort bis zum 18. Juli 1870. Die täglichen Berichte vom Konzil, jedenfalls die wichtigeren, die Beschlüsse sowie der Grund für die Konzilsverlängerung waren in der Zeitschrift ‘Kirchlicher Anzeiger’ festgehalten und nachzulesen.
Am vorerwähnten Tage, dem 18. Juli 1870, an dem das Dogma von der ‘Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubenssachen’ verkündet wurde, erklärte der französische Kaiser NAPOLEON III. unserem König WILHELM I. den Krieg, was einen unsterblichen Ruhm und Triumph unserer Kriegsanstrengungen, die Vertreibung NAPOLEONS, unerhörte Einbußen für Frankreich, seine Erniedrigung sowie den Verlust des Elsaß und eines Teils von Lothringen zur Folge hatte. Grausig waren die Kämpfe,in die unsere Truppen verwickelt waren,noch grausiger die verwendeten Waffen, jedoch am grauenvollsten die Verwundungen und der Tod vieler Soldaten.
Wer immer zum Waffentragen in der Lage war (Jünglinge und Männer) und nicht
älter als 40 Jahre war, wurde einberufen; schon unsere kleine Pfarrgemeinde hatte 23 Kriegsteilnehmer zu stellen. Täglich wurden in der Kirche Gebete für sie verrichtet, und der allmächtige Gott erwies uns die Gnade, daß alle nach dem Friedensschluß vom 10. Mai 1871 wohlbehalten und unversehrt zurückkehren konnten. Es war wie ein Wunder, aber nichtsdestoweniger entspricht es der Wahrheit und beweist eindrucksvoll, wieviel demutsvolles und stetiges Gebet bei Gott dem Herrn vermag.

Am 1. Dezember 1871 wurde in unserem Lande eine VOLKSZÄHLUNG durchgeführt; sie ergab für Steinkirchen und Effeld insgesamt 747 Einwohner. Zu dieser Zeit hatte unsere Schule 77 männliche und 71 weibliche Schulkinder.

In jeder Woche besuchte der Pfarrer dreimal die in Effeld gelegene Schule, um die Kinder den Katechismus zu lehren; in der Zeit zwischen dem 1. Januar und dem zweiten Sonntag nach Ostern sogar fünfmal wöchentlich, um die Erstkommunionkinder sorgfältig unterweisen und vorbereiten zu können.
In jedem Jahr pflegten etwa 18 Kinder zur Erstkommunion zu gehen, unter denen
nicht eines war, das vor dem jeweiligen zweiten Sonntag nach Ostern das zwölfte
Lebensjahr noch nicht vollendet hätte.
Alle Knaben und Mädchen vom vollendeten siebten bis zum zwölften Lebensjahr
wurden vierteljährlich zum heiligen Bußsakrament geführt, die übrigen mußten
innerhalb der ersten vier Jahre nach dem Empfang der Erstkommunion monat-
lich zur Beichte gehen und auch die Kommunion empfangen.
Die Anzahl der letztgenannten Kinder bereitete dem die Beichte abnehmenden
Pfarrer insofern keine Schwierigkeit, als sie in zwei Hälften aufgeteilt wurde, die
jeweils an einem der ersten beiden Sonntage zur Beichte kommen durften.
An den jeweils vorhergehenden Samstagen kamen die Kinder der beiden ersten
Jahrgänge in der Schule zusammen, wo dann der Pfarrer mit ihnen Gewissens-
erforschung betrieb und Reue und Vorsatz erweckte.
An den Kommunionsonntagen blieben sie nach dem Nachmittagsgottesdienst in der Kirche zurück, auf daß sie der Pfarrer in einer kurzen Ansprache ermahnen konnte, sich die durch den Empfang der Sakramente erlangte Gemütsverfassung nach besten Kräften zu erhalten. Viele, die auf diese Weise geistige Bereicherung erfuhren, sind dafür dankbar.

Was die Häufigkeit des Sakramentenempfangs bei den Erwachsenen angeht, ist
anzumerken, daß die Zahl der jährlich ausgeteilten Hostien sich auf etwa 2.400
belief.

An allen Sonn- und Feiertagen las der Pfarrer je zwei heilige Messen; im Winter
die erste um halb acht und die zweite um halb zehn Uhr, im Sommer die erste um
sieben und die zweite um neun Uhr.
In der ersten Messe erklärte der Pfarrer von der Kanzel aus Glaubenslehren an
Hand des Katechismus, in der zweiten Messe, dem Hochamt, hielt er eine Predigt, die sich jeweils am verkündeten Evangelium orientierte.
Nachmittags wurden, im Sommer um halb drei und im Winter um zwei Uhr,
entweder VESPERN gesungen oder ANDACHTEN der Kongregation ‘Jesus, Maria und Josef’ gehalten; d. h. am ersten Sonntag eines jeden Monats sowie an allen Sonntagen der Fastenzeit erfolgte eine ‘Verehrung des heiligen Kreuzes’ oder aber wurden Kinder und Heranwachsende - hinter der Kommunionbank - im
Katechismus unterwiesen.
In der Fastenzeit wurde an jedem Wochentag in der heiligen Messe eine kurze
Predigt gehalten.

Alljährlich erfolgte im Monat Mai die Verehrung der ‘SELIGSTEN JUNGFRAU
MARIA’, wobei wöchentlich zweimal kurze Predigten gehalten wurden; an den
übrigen Tagen wurden ausschließlich ‘FÜRBITTEN’ vorgetragen.


In Effeld gibt es zur Zeit sechs Wirtshäuser, in Steinkirchen eines, eine erstaunlich hohe Zahl angesichts der in der Pfarrgemeinde herrschenden Armut.

Die Bewohner der Pfarrgemeinde veranstalten bereits seit mehr als 200 Jahren
jährlich drei Tage dauernde Festlichkeiten, die sie ‘KIRMES’ nennen, und zwar
beginnend mit dem Sonntag nach FRONLEICHNAM, die dadurch sehr attraktiv ist, daß waffentragende Mitglieder der Schützenbruderschaft Sankt Martinus mit ihrem ‘SCHÜTZENKÖNIG’, der jeweils am vorhergehenden PFINGSTMONTAG den KÖNIGSVOGEL mit einem Militärgewehr ‘von der Stange’ geholt hat, zu den Klängen von mitgeführten Blas- und Rhythmusinstrumenten in AUFZÜGEN umhermarschierten, während eine zweite KIRMES Ende September am KIRCHWEIHFEST gefeiert wurde.
Während der KIRMESSEN fanden auch in einem oder zwei Wirtshäusern
TANZVERANSTALTUNGEN statt. Dazu muß gesagt werden, daß unsere Mädchen jeweils nur bis neun Uhr abends dabeiwaren und sonntags gar nicht zum Tanze gingen.

Der größte Teil unserer Einwohner, die sich durch enormen Fleiß auszeichnen,
verfügt zwar über ausreichende Mittel für Nahrung und Kleidung, und nur ganz
wenige sind als ‘wirklich arm’ zu bezeichnen, aber auch nur ganz wenige können
sich beispielsweise kostbarere Kleidung oder Luxusgüter leisten. Von denen, die sich ‘Seidenes’ und ‘Wollwaren’ erlauben können, betreiben die meisten ACKERBAU. Es ist zwar betrüblich, entspricht aber den Tatsachen, daß sich die Hälfte allen Ackerlandes im Besitze von HAUS EFFELD, von Graf MIRBACH auf HAUS HARFF und vom Baron auf Schloß ELSUM befindet und von unseren Pfarrangehörigen nur gegen PACHTZAHLUNG bestellt werden kann.

Die Bruderschaft (KONGREGATION) ‘Jesus, Maria und Josef’ begeht in
Steinkirchen zwei Feste mit Prozessionen, bei denen das ALLERHEILIGSTE mitgeführt wird; das eine am Sonntag nach dem Fest des heiligen Josef, ‘Nährvater des Herrn’, am 19. März, das andere am Sonntag nach FRONLEICHNAM, von den Kongregationen ‘SEMIANNUAE (=Halbjahrsfest)’ genannt.

Am 28. März 1870 verstarb Johanna Ludowika VAN DER RENNE, die Herrin auf HAUS EFFELD. Sie wurde auf unserem Friedhof beigesetzt, da sie, bereits mit dem Tode ringend, den Wunsch geäußert hatte, in der Nähe ihres Bruders Johann Theodor VAN DER RENNE, dessen Grabstätte an unsere Sakristei angrenzt, beerdigt zu werden. Noch zu Lebzeiten hatte sie uns 2.000 Taler geschenkt, mit denen wir den Bau einer neuen Kirche in Angriff nehmen können.
Der in Harff / bei Neuss lebende Graf MIRBACH, dem HAUS NEUERBURG
gehört, spendete für denselben Zweck 300 Taler. Der Fürstbischof von Breslau, FOERSTER, steuerte 50 Taler, ein schlesischer Graf 10 Taler und ein Einwohner unserer Pfarrgemeinde gar 500 Taler bei.

So kam es, daß wir mit einem Mal über 2.860 Taler verfügten. Hinzu kommt noch der Wert des Holzes, das aus dem ‘Eichenwald der Kirchenfabrik’ zweckgebunden zur Verfügung gestellt wurde und einen Geldwert von etwa 500 Talern repräsentiert.

Jetzt war es unsere Aufgabe, einen Architekten zu suchen für die Erstellung des
Bauplans einer neuen Kirche. Wir stießen dabei auf den Kölner Architekten WIETHASE, der den erforderlichen Plan entwarf und die Kosten des Neubaus mit 9.000 Talern veranschlagte. Wir gaben den Bauplan unserer Gemeindeverwaltung bekannt und erreichten auf diese Weise eine Bezuschussung in Höhe von 2.900 Talern. Da wir also demzufolge insgesamt 6.260 Taler zusammenhatten, beschlossen wir, den Turm und das alte Kirchenschiff zu erhalten, auch den Chorraum nicht abzubrechen, dafür alle übrigen Teile der Kirche neu zu bauen. Und mit Genehmigung der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit begannen wir nunmehr mit den Bauarbeiten. Wer aber war nun verantwortlich für die Bautätigkeit?
Das waren die vier Mitglieder vom sogenannten ‘KOMITEE’, von denen zwei durch die Gemeindeverwaltung gestellt wurden und zwei dem KIRCHENVORSTAND angehörten. Die von der Gemeindeverwaltung ausgewählten Komiteemitglieder waren Heinrich DAENSKENS und Gerhard Josef JENNISSEN; bei den Kirchenvorstandsmitgliedern handelte es sich um Gottfried DERICHS und den Chronisten (Clemens August KRICKER).
Die Zusammensetzung des Komitees aus beiden Gremien war schon erforderlich, da sowohl die kirchliche Seite als auch die KOMMUNE an den Kosten beteiligt war.

Ungefähr 300 Schritte westlich unseres Kirchengebäudes, am BAALBACH, der
Anlaß für die Meßstiftung zur ‘Läuterung der Seele’ des Johann Theodor VAN DER RENNE gewesen war, wurden im Jahre 1872 472.500 Ziegelsteine gebrannt. Gott hat es so gewollt, daß für den Transport von je 12.000 Ziegelsteinen vom Ziegelofen bis zum Friedhof 38 Taler vergütet wurden.

Während des Hochamtes am Fest unseres Pfarrpatrons, des heiligen Martinus,
im Jahre 1872 trafen unter Leitung eines Herrn BARTHS aus Heinsberg die
Maurer ein, um die Fundamente zu mauern.
Am 17. März 1873 begannen sie mit der Errichtung der Mauern, welche sie im
Sommer und Herbst desselben Jahres fertigstellten.
Im Winter, in dem es genügend Anlaß gab, Gott zu preisen und zu danken, wurde
das Kirchendach fertig, und am 7. März 1874 zu unserer größten Freude das
Glockentürmchen über dem Chorraum eingeweiht - und auch bezahlt!
Am 16. desselben Monats begannen die Maurer mit den Innenarbeiten am Dach
und dem Innenanstrich (KÄLKUNG) der Wände.

Während ich an dieser CHRONIK schreibe, kommt ein äußerst unerfreuliches
Klima zwischen der königlichen Regierung und der katholischen Kirche auf.
Und schon bald wurde im Berliner Ministerium abgewichen von dem, was man
‘katholische Kultur’ nennt.
Die Regierung unterstützt nämlich die neue Richtung von Ketzern, die sich
ALTKATHOLIKEN nennen und an deren Spitze ein Pseudobischof namens
REINKENS steht, der von den sogenannten JANSENISTEN in Utrecht ernannt
wurde, ein Mann, der - gerichtlich nachweisbar - vor Hochmut und Prunksucht
nachgerade strotzt.

Ferner untersagte die Regierung auf Geheiß des Königs den katholischen Bischöfen die priesterliche Betreuung der katholischen Soldaten. Die Bonner Universität ist durchsetzt von ‘altkatholischen’ Professoren. Die Grundschulen wurden der kirchlichen Aufsicht entzogen. Ferner wurde ein Gesetz erlassen, wonach zivilrechtliche Instruktionen und diesbezügliche ernste Mahnungen von den Kirchenkanzeln auf das strengste bestraft werden.
JESUITEN und ihnen nahestehende Kongregationen von Männern und Frauen
(‘SCHWESTERN’) wurden aus dem Vaterland vertrieben.
Darüber hinaus gelten die sogenannten ‘MAIGESETZE’, die im Mai 1873 erlassen worden sind und nachstehend im Wortlaut wiedergegeben sind, zur ewigen Erinnerung an den wahrhaft höllischen Haß der preußischen und deutschen Regierung auf die Kirche.

Außerdem wurden eingekerkert der Erzbischof der Provinz Posen, Graf LEDOCHOWSKY, und zwar in Ostrau, einer Festung in der vorerwähnten Provinz, sowie der Bischof von Trier, EBERHARD, in Trier selbst; und es gibt niemanden, der die Namen aller eingekerkerten Priester zu nennen und aufzuzählen vermag.

Es ist sehr ungewiß, was uns die Zukunft noch alles bringen wird!
Wenn nicht der Herr selbst uns hilft, werden demnächst all unsere Bischöfe und
gottgetreuen Priester eingesperrt oder vertrieben werden. HERR, beeile DICH und steh’ uns bei! Wo ist DEIN Mitleid mit SION, das allüberall ist?! Es ist höchste Zeit für DEIN Mitleid!


Die vier Gesetze über kirchliche Angelegenheiten vom 11., 12., 13. und 14. Mai 1873.

Allgemeine Bestimmungen.

§ 1. Ein geistliches Amt darf in einer der christlichen Kirchen nur einem
Deutschen übertragen werden, welcher seine wissenschaftliche Vor bildung nach den Vorschriften dieses Gesetzes dargethan hat, und gegen dessen Anstellung kein Einspruch von der Staatsregierung erhoben worden ist.

§ 2. Die Vorschriften des § 1 kommen zur Anwendung, gleichviel, ob das Amt
dauernd oder widerruflich übertragen werden, oder nur eine Stell vertretung oder Hülfsleistung in demselben statthaben soll. Ist Gefahr im Verzuge, so kann eine Stellvertretung oder Hülfsleistung einstweilen und vorbehaltlich des Einspruches der Staatsregierung angeordnet werden.

§ 3. Die Vorschriften des § 1 kommen, vorbehaltlich der Bestimmungen des
§ 26 auch zur Anwendung, wenn einem bereits im Amte § 2 stehenden
Geistlichen ein anderes geistliches Amt übertragen oder eine widerrufliche
Anstellung in eine dauernde verwandelt werden soll.


Vorbildung zum geistlichen Amte.

§ 4. Zur Bekleidung eines geistlichen Amtes ist die Ablegung der Entlassungsprüfung auf einem deutschen Gymnasium, die Zurücklegung eines dreijährigen theologischen Studiums auf einer deutschen Staatsuniversität,
sowie die Ablegung einer wissenschaftlichen Staatsprüfung erforderlich.

§ 5. Der Minister der geistlichen Angelegenheiten ist ermächtigt, mit Rücksicht
auf ein vorangegangenes anderes Universitätsstudium, als das der Theologie, oder mit Rücksicht auf ein an einer außerdeutschen Staatsuniversität
zurückgelegtes Studium, oder mit Rücksicht auf einen sonstigen besonderen
Bildungsgang von dem vorgeschriebenen dreijährigen Studium an einer
deutschen Staatsuniversität einen angemessenen Zeitraum zu erlassen.

§ 6. Das theologische Studium kann in den bei Verkündigung dieses Gesetzes
in Preußen bestehenden, zur wissenschaftlichen Vorbildung der Theologen
bestimmten kirchlichen Seminarien zurückgelegt werden, wenn der Minister
der geistlichen Angelegenheiten anerkennt, daß dieses Studium das Universitätsstudium zu ersetzen geeignet sei.
Diese Vorschrift findet jedoch nur auf die Seminare an denjenigen Orten
Anwendung, an welchen sich keine theologische Fakultät befindet; und gilt
für diejenigen Studierenden, welche dem Sprengel angehören, für den das
Seminar errichtet ist.
Die im ersten Absatze erwähnte Anerkennung darf nicht verweigert werden,
wenn die Einrichtung der Anstalt den Bestimmungen dieses Gesetzes entspricht, und der Minister für geistliche Angelegenheiten den Lehrplan derselben genehmigt.

§ 7. Während des vorgeschriebenen Universitätsstudiums dürfen die Studierenden einem kirchlichen Seminare nicht angehören.

§ 8. Die Staatsprüfung hat nach zurückgelegtem theologischen Studium statt.
Zu derselben darf nur zugelassen werden, wer den Vorschriften dieses Gesetzes über die Gymnasialbildung und theologische Vorbildung vollständig genügt hat.
Die Prüfung ist öffentlich und wird darauf gerichtet, ob der Candidat sich
die für seinen Beruf erforderliche allgemeine, wissenschaftliche Bildung,
insbesondere auf dem Gebiete der Philosophie, der Geschichte und der
deutschen Literatur erworben habe.
Der Minister der geistlichen Angelegenheiten trifft die näheren Anordnungen über die Prüfung.

§ 9. Alle kirchlichen Anstalten, welche der Vorbildung der Geistlichen dienen
(Knabenseminare, Klerikalseminare, Prediger- und Priesterseminare,
Convicte, etc.) stehen unter Aufsicht des Staates. Die Hausordnung und das Reglement über die Disziplin in diesen Anstalten, der Lehrplan der Knabenseminare und Knabenkonvicte sowie derjenigen Seminare, für welche die im § 6 bezeichnete Anerkennung ertheilt ist, sind dem Oberpräsidenten der Provinz von dem Vorsteher der Anstalten vorzulegen. Die Anstalten unterliegen der Revision durch Commissare, welche der Oberpräsident ernennt.

§ 10. An den im vorstehenden § gedachten Anstalten darf als Lehrer oder zur
Wahrnehmung der Disziplin nur ein Deutscher angestellt werden, welcher
seine wissenschaftliche Befähigung nach Vorschrift des § 11 dargethan hat,
und gegen dessen Anstellung kein Einspruch von der Staatsregierung
erhoben worden ist. Die Vorschriften der §§ 2 und 3 finden entsprechende
Anwendung.

§ 11. Zur Anstellung an einem Knabenseminare oder Knabenkonvicte ist die
Befähigung zur entsprechenden Anstellung an einem preußischen Gymnasium, zur Anstellung an einer für die theologische wissenschaftliche Vorbildung bestimmten Anstalt die Befähigung erforderlich, an einer deutschen
Staatsuniversität zu lehren, für welche die Anstellung erfolgt. Kleriker und Predigtamts-Candidaten müssen die für Geistliche vorgeschriebene Vorbildung besitzen. Dieselbe genügt zur Anstellung an den zur theologisch-praktischen Vorbildung bestimmten Anstalten.

§ 12. Für die Erhebung des Einspruches gegen die Anstellung finden die
Bestimmungen entsprechende Anwendung, welche die Erhebung des Einspruches gegen die Anstellung von Geistlichen regeln.
§§ 15-17.

§ 13. Werden die in den §§ 9-11 enthaltenen Vorschriften oder die getroffenen
Anordnungen der Staatsbehörden nicht befolgt, so ist der Minister der
geistlichen Angelegenheiten ermächtigt, bis zur Befolgung die der Anstalt
gewidmeten Staatsmittel einzubehalten oder die Anstalt zu schließen.
Unter der angegebenen Voraussetzung und bis zu dem bezeichneten Zeitpunkte können Zöglinge der Knabenseminare und Knabenkonvicte von dem Besuche der Gymnasien und von der Entlassungsprüfung ausgeschlossen, und den im § 6 erwähnten Anstalten die ertheilte Anerkennung entzogen werden. Diese Anordnungen stehen dem Minister der geistlichen Angelegenheiten zu.
Nach Errichtung eines königlichen Gerichtshofes für die kirchlichen
Angelegenheiten kann über die Gesetzmäßigkeit der nach diesem § getroffe nen Anordnungen und Verfügungen innerhalb 30 Tagen bei dem gedachten
Gerichtshofe Berufung eingelegt werden. Durch Einlegung derselben wird
die Vollstreckung der angefochtenen Verordnung oder Verfügung nicht
aufgehalten. Der Gerichtshof kann jedoch bestimmen, daß bis zur endgültigen Entscheidung die Vollstreckung unterbleibe.

§ 14. Knabenseminare und Knabenkonvicte § 9 dürfen nicht mehr errichtet, und
in die bestehenden Anstalten dieser Art nur Zöglinge nicht mehr aufgenommen werden. Im Falle der Aufnahme neuer Zöglinge ist der Minister der geistlichen
Angelegenheiten zur Schließung der betreffenden Anstalt befugt.


Anstellung der Geistlichen.

§ 15. Die geistlichen Oberen sind verpflichtet, denjenigen Candidaten, dem ein
geistliches Amt übertragen werden soll, dem Oberpräsidenten unter Bezeichnung des Amtes zu benennen. Dasselbe gilt bei Versetzung eines Geistlichen in ein anderes geistliches Amt oder bei Umwandlung einer widerruflichen Anstellung in eine dauernde. Innerhalb 30 Tagen nach der Benennung kann Einspruch gegen die Anstellung erhoben werden. Die Erhebung des Einspruches steht dem Oberpräsidenten zu.

§ 16. Der Einspruch ist zulässig:
1., wenn dem Anzustellenden die gesetzlichen Erfordernisse zur Bekleidung
des geistlichen Amtes fehlen;
2., wenn der Anzustellende wegen eines Verbrechens oder Vergehens,
welches das deutsche Strafgesetzbuch mit Zuchthaus oder mit dem
Verluste der bürgerlichen Ehrenrechte oder dem Verluste der öffentlichen Ämter bedroht, verurtheilt ist oder sich in Untersuchung befindet;
3., wenn gegen den Anzustellenden Thatsachen vorliegen, welche die
Annahme rechtfertigen, daß derselbe den Staatsgesetzen oder den
innerhalb ihrer gesetzlichen Zuständigkeit erlassenen Anordnungen
der Obrigkeit entgegenwirken oder den öffentlichen Frieden stören
werde.

Die Thatsachen, welche den Einspruch begründen, sind anzugeben.
Gegen die Einspruchserklärung kann innerhalb 30 Tagen bei dem
königlichen Gerichtshofe für die kirchlichen Angelegenheiten und, so
lange dessen Einsetzung nicht erfolgt ist, bei dem Minister der geistlichen
Angelegenheiten Berufung eingelegt werden.
Der Entscheid ist endgültig.

§ 17. Die Übertragung eines geistlichen Amtes, welche der Vorschrift des § 1
zuwiderläuft, oder welche vor Ablauf der im § 15 für die Erhebung des
Einspruches gewährten Frist erfolgt, gilt als nicht geschehen.


§ 18. Jedes Pfarramt ist innerhalb eines Jahres vom Tage der Erledigung, wo
gesetzlich oder observanzmäßig ein Gnadenjahr besteht, vom Tage der
Erledigung der Pfründe an gerechnet, dauernd zu besetzen. Die Frist ist
vom Oberpräsidenten im Falle des Bedürfnisses auf Antrag angemessen
zu verlängern.
Nach Ablauf der Frist ist der Oberpräsident befugt, die Wiederbesetzung
der Stelle durch Geldstrafen bis zum Betrage von 1.000 Thalern zu
erzwingen. Die Androhung und Festsetzung der Strafe darf wiederholt
werden, bis dem Gesetze genügt ist. Außerdem ist der Minister der geistlichen Angelegenheiten ermächtigt, bis dahin Staatsmittel einzubehalten,
welche zur Unterhaltung der Stelle oder desjenigen geistlichen Obern
dienen, der das Pfarramt zu besetzen oder die Besetzung zu genehmigen
hat.

§ 19. Die Errichtung von Seelsorgsämtern, deren Inhaber unbedingt abberufen
werden können, ist nur mit Genehmigung des Ministers der geistlichen
Angelegenheiten zulässig. Die Bestimmungen des § 18 beziehen sich auf
die sogenannten Sukkursal-Pfarreien des französischen Rechtes mit der Maßgabe, daß die in Absatz 1 des § 18 vorgeschriebene Frist vom Tage der
Publikation dieses Gesetzes an zu laufen beginnt.

§ 20. Anordnungen oder Vereinbarungen, welche die durch das Gesetz begründete Klagbarkeit der aus dem geistlichen Amtsverhältnisse entspringenden vermögensrechtlichen Ansprüche ausschließen oder beschränken, sind nur mit Genehmigung der Staatsbehörde zulässig.

§ 21. Die Verurtheilung zur Zuchthausstrafe, die Aberkennung der bürgerlichen
Ehrenrechte und der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter hat die
Erledigung der Stelle, die Unfähigkeit zur Ausübung des geistlichen Amtes
und den Verlust des Amtseinkommens zur Folge.


Strafbestimmungen.

§ 22. Ein geistlicher Oberer, welcher den §§ 1-3 zuwider ein geistliches Amt
überträgt oder die Übertragung genehmigt, wird mit Geldstrafe von
200-1.000 Thalern bestraft. Dieselbe Strafe trifft denjenigen, welcher der
Vorschrift des § 19 Absatz 1 zuwiderhandelt.

§ 23. Wer geistliche Amtshandlungen in einem Amte vornimmt, welches ihm den
Vorschriften der §§ 1-3 zuwider übertragen worden ist, wird mit Geldstrafe
bis zu ...........(Höhe fehlt!) Thlr. bestraft.
Dieselbe Strafe trifft denjenigen, der geistliche Amtshandlungen in einem
von ihm nicht dauernd verwalteten Pfarramte vornimmt, nachdem er von
dem Oberpräsidenten benachrichtigt worden ist, daß das Zwangsverfahren
behufs Wiederbesetzung der Stelle in Gemäßheit der Vorschrift in § 18
Absatz 2 eingeleitet sei.
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§ 24. Wer geistliche Amtshandlungen vornimmt, nachdem er in Folge
gerichtlichen Strafurtheils die Fähigkeit zur Ausübung des geistlichen
Amtes verloren hat, § 21, wird mit Geldstrafe bis zu 100 Thlr. bestraft.


Übergangs- und Schlußbestimmungen.

§ 25. Ausländer, welchen vor Verkündigung dieses Gesetzes ein geistliches Amt,
§ 2, oder eines der im § 10 erwähnten Ämter an kirchlichen Anstalten
übertragen worden ist, haben bei Vermeidung der Folgen des § 21
innerhalb sechs Monate die Reichsangehörigkeit zu erwerben.
Der Minister der geistlichen Angelegenheiten kann mit Rücksicht auf die
besonderen Bedürfnisse des einzelnen Falles diesen Zeitraum verlängern.

§ 26. Die Vorschriften dieses Gesetzes über den Nachweis wissenschaftlicher
Vorbildung und Befähigung finden keine Anwendung auf Personen,
welche vor Verkündigung dieses Gesetzes im geistlichen Amte angestellt
sind oder die Fähigkeit zur Anstellung im geistlichen Amte erlangt haben.
Außerdem ist der Minister der geistlichen Angelegenheiten ermächtigt,
denjenigen Personen, welche vor Verkündigung diese Gesetzes in ihrer
Vorbildung zum geistlichen Amte vorgeschritten waren, den in diesem
Gesetze vorgeschriebenen Nachweis der Vorbildung ganz oder theilweise
zu erlassen.
Der Minister der geistlichen Angelegenheiten ist auch ermächtigt, Ausländer
von den Erfordernissen des § 4 dieses Gesetzes zu dispensieren.

§ 27. Die in den §§ 4 und 8 dieses Gesetzes vorgeschriebene Staatsprüfung kann
mit der theologischen Prüfung verbunden werden, insofern die Einrichtung dieser Prüfung und die Bildung der Prüfungs-Commission Behörden zusteht, deren Mitglieder sämmtlich oder theilweise vom Könige ernannt werden.

§ 28. Die Vorschriften dieses Gesetzes über das Einspruchsrecht des Staates
(§§ 1, 3, 10, 12, 15, 16) finden in den Fällen keine Anwendung, in welchen
die Anstellung durch Behörden erfolgt, deren Mitglieder sämmtlich vom
Könige ernannt werden.

§ 29. Soweit die Mitwirkung des Staates bei Besetzung geistlicher Ämter auf
Grund des Patronats oder besonderer Rechtstitel anderweit geregelt ist,
behält es dabei sein Bewenden.
Desgleichen werden die bestehenden Rechte des Staates bezüglich der
Anstellung von Geistlichen beim Militair und an öffentlichen Anstalten
durch das vorliegende Gesetz nicht berührt.

§ 30. Der Minister der geistlichen Angelegenheiten ist mit der Ausführung
dieses Gesetzes beauftragt.
Gegeben Berlin, den 11. Mai 1873. gez. - Wilhelm

Gesetz über die kirchliche Disziplinargewalt
und die Errichtung des Königlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten vom 12. Mai 1873


Allgemeine Bestimmungen.


§ 1. Die kirchliche Disziplinargewalt über Kirchendiener darf nur von deutschen
kirchlichen Behörden ausgeübt werden.

§ 2. Kirchliche Disziplinarstrafen, welche gegen die Freiheit oder das Vermögen
gerichtet sind, dürfen nur nach Anhörung des Beschuldigten verhängt
werden. Der Entfernung aus dem Amte (Entlassung, Versetzung, Suspension
sowie unfreiwillige Emeritierung usw.) muß ein geordnetes prozessualisches
Verfahren vorausgehen.
In allen Fällen dieser Art ist die Entscheidung schriftlich unter Angabe der
Gründe zu erlassen.

§ 3. Die körperliche Züchtigung ist als kirchliche Disziplinarstrafe oder Zuchtmittel unzulässig.

§ 4. Geldstrafen dürfen den Betrag von 30 Thalern oder, wenn das einmonatliche
Amtseinkommen höher ist, den Betrag des letzteren nicht übersteigen.

§ 5. Die Strafe der Freiheitsentziehung, § 2, darf nur in der Verweisung in eine
Demeriten-Anstalt bestehen.
Die Verweisung darf die Dauer von 3 Monaten nicht übersteigen, und die
Vollstreckung derselben wider den Willen des Betroffenen weder begonnen,
noch fortgesetzt werden.
Die Verweisung in eine außerdeutsche Demeriten-Anstalt ist unzulässig.

§ 6. Die Demeritenanstalten sind der staatlichen Aufsicht unterworfen. Ihre
Hausordnung ist dem Oberpräsidenten der Provinz zur Genehmigung
einzureichen.
Er ist befugt, Visitationen der Demeritenanstalten anzuordnen und von
ihren Einrichtungen Kenntniß zu nehmen.
Von der Aufnahme eines Demeriten hat der Vorsteher der Anstalt unter Angabe der Behörde, welche sie verfügt, binnen 24 Stunden dem Oberpräsidenten Anzeige zu machen.
Über sämmtliche Demeriten ist von dem Vorsteher ein Verzeichniß zu
führen, welches den Namen derselben, die gegen sie erkannten Strafen
und die Zeit der Aufnahme und Entlassung enthält.
Am Schlusse jedes Jahres ist das Verzeichniß dem Oberpräsidenten einzureichen.


§ 7. Von jeder kirchlichen Disziplinar-Entscheidung, welche auf eine Geldstrafe
von mehr als 20 Thalern, auf Verweisung in eine Demeritenanstalt für mehr
als 14 Tage, oder auf Entfernung aus dem Amte, § 2, lautet, ist dem
Oberpräsidenten, gleichzeitig mit der Zustellung an den Betroffenen,
Mittheilung zu machen.
Die Mittheilung muß die Entscheidungsgründe enthalten.

§ 8. Der Oberpräsident ist befugt, die Befolgung der in §§ 5-7 enthaltenen
Vorschriften und der auf Grund derselben von ihm erlassenen Verfügungen
durch Geldstrafe bis zum Betrage von 1.000 Thalern zu erzwingen.
Die Androhung und Festsetzung der Strafe darf wiederholt werden, bis dem
Gesetze genügt ist.

§ 9. Eine Vollstreckung kirchlicher Disziplinar-Entscheidungen im Wege der
Staatsverwaltung findet nur dann statt, wenn dieselben von dem Oberpräsidenten nach erfolgreicher Prüfung der Sache für vollstreckbar erklärt worden sind.


Berufung an den Staat.

§ 10. Gegen Entscheidungen der kirchlichen Behörden, welche eine Disziplinarstrafe verhängen, stehen die Berufungen an die Staatsbehörde, § 32, offen:

1., wenn die Entscheidung von einer durch die Staatsgesetze ausgeschlossenen Behörde ergangen ist;
2., wenn die Vorschriften des § 2 nicht befolgt worden sind;
3., wenn die Strafe gesetzlich nicht zulässig ist;
4., wenn die Strafe verhängt ist:
wegen einer Handlung oder Unterlassung, zu welcher die Staatsgesetze oder die von der Obrigkeit innerhalb ihrer Zuständigkeit erlassenen Anordnungen verpflichten, wegen Ausübung oder Nichtausübung eines öffentlichen
Wahl- oder Stimmrechts, wegen Gebrauches der Berufung an die Staatsbehörde, § 32, auf Grund dieses Gesetzes.

§ 11. Die Berufung findet außerdem statt, wenn
die Entfernung aus dem kirchlichen Amte, § 2 Absatz 2, als Disziplinarstrafe oder sonst wider den Willen des davon Betroffenen ausgesprochen worden ist, und die Entscheidung der klaren thatsächlichen Lage widerspricht oder die Gesetze des Staates oder allgemeine Rechtsgrundsätze verletzt,
nach erfolgter, vorläufiger Suspension vom Amte das weitere Verfahren ungebührlich verzögert wird.

§ 12. Die Berufung steht Jedem zu, gegen welchen die Entscheidung ergangen
ist, sobald er die dagegen zulässigen Rechtsmittel bei der vorgesetzten
kirchlichen Instanz ohne Erfolg geltend gemacht hat.
Liegt ein öffentliches Interesse vor, so steht die Berufung auch dem
Oberpräsidenten zu, jedoch erst dann, wenn die bei den kirchlichen
Behörden angebrachten Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben sind, oder die
Frist zur Einlegung derselben versäumt ist.

§ 13. Die Berufung ist bei dem Königlichen Gerichtshofe für kirchliche
Angelegenheiten schriftlich anzumelden.
Die Frist zur Anmeldung beträgt in den Fällen des § 10 und 11 Absatz 1
für den durch die Entscheidung Betroffenen vier Wochen.
Sie beginnt mit Ablauf des Tages, an welchem die Entscheidung mit
Gründen ihm zugestellt ist.
In den Fällen des § 11 Absatz 2 ist die Berufung an keine Frist gebunden.

Für den Oberpräsidenten beträgt die Frist, wenn ihm die Entscheidung als
endgültige amtlich mitgetheilt ist, drei Monate, andernfalls ist derselbe an
keine Frist gebunden.

§ 14. Durch Einlegung der Berufung wird die Vollstreckung der angefochtenen
Entscheidung aufgehalten.
Der Gerichtshof ist jedoch befugt, die vorläufige Vollstreckung zu gestatten.
Andernfalls kann die Einstellung der Vollstreckung von dem Gerichtshofe
durch Geldstrafen bis zum Betrage von 1.000 Thalern erzwungen werden,
§ 8 Absatz 2.

§ 15. Die Berufung ist innerhalb 14 Tage nach der Anmeldung schriftlich zu
rechtfertigen.
Diese Frist kann auf Antrag verlängert werden.

§ 16. Die Anmeldung und Rechtfertigungsschrift wird der kirchlichen Behörde
zur Abgabe einer schriftlichen Erklärung und Einreichung der Akten
innerhalb vier Wochen zugefertigt.
Die Einreichung der Akten kann erzwungen werden, geeignetenfalls
durch Geldstrafen bis zum Betrage von 1.000 Thalern, § 8 Absatz 2.

§ 17. Der Gerichtshof trifft die zur Aufklärung der Sache erforderlichen
Verfügungen.
Die Beweis-Verhandlungen sind unter Zuziehung eines vereidigten
Protokollführers aufzunehmen.

§ 18. Die Entscheidung erfolgt auf Grund mündlicher Verhandlung in
öffentlicher Sitzung.
Die Öffentlichkeit kann durch Beschluß des Gerichtshofes ausgeschlossen
oder auf bestimmte Personen beschränkt werden.


§ 19. Zu den Verhandlungen §§ 17 und 18 sind der Berufende und die
kirchliche Behörde zuzuziehen. Dieselben können sich durch einen
Advokaten oder Rechtsanwalt vertreten lassen.
Im Falle ihres Ausbleibens wird nach Lage der Verhandlungen erkannt.
Außerdem ist der Minister der geistlichen Angelegenheiten zu benach-
richtigen, welcher einen Beamten mit seiner Vertretung beauftragen
kann.
Hat er Oberpräsident die Berufung eingelegt, so übernimmt der von dem
Minister bezeichnete Beamte die Vertretung des Berufenden.

§ 20. In dem Termin zur mündlichen Verhandlung gibt ein von dem Vorsitzer
des Gerichtshofes aus der Zahl seiner Mitglieder ernannter Referent eine
Darstellung der Sache, wie sie aus den bisherigen Verhandlungen hervor-
geht.
Hierauf wird der Berufende oder dessen Vertreter, sowie der Vertreter der
kirchlichen Behörde und des Ministers der geistlichen Angelegenheiten
mit ihren Vor- und Anträgen gehört.

§ 21. Bei der Entscheidung hat der Gerichtshof, ohne an positive Beweisregeln
gebunden zu sein, nach seiner freien, aus dem ganzen Inbegriffe der Ver-
handlungen und Beweise geschöpften Überzeugung zu entscheiden.
In dem Urtheil ist entweder die Verwerfung der Berufung oder die Vernich-
tung der angefochtenen Entscheidung auszusprechen.
Das mit Gründen versehene Urtheil wird in der Sitzung, in welcher die
mündliche Verhandlung beendet worden ist, oder in einer der nächsten
Sitzungen verkündet und eine Ausfertigung desselben dem Berufenden oder
dessen Vertreter, sowie der kirchlichen Behörde und dem Minister der
geistlichen Angelegenheiten zugestellt.

§ 22. Über die mündliche Verhandlung wird ein Protokoll aufgenommen, welches
die Namen der Anwesenden und die wesentlichen Momente der Verhand-
lung enthalten muß.
Das Protokoll wird von dem Vorsitzenden und dem vereideten Protokoll-
führer unterzeichnet.

§ 23. Wird die angefochtene Entscheidung vernichtet, so hat die kirchliche
Behörde die Aufhebung der Vollstreckung zu veranlassen und die Wirkung
der bereits getroffenen Maßregeln zu beseitigen.
Der Oberpräsident ist befugt, die Befolgung der von ihm deshalb
erlassenen Verfügungen durch Geldstrafen bis zum Betrage von 1.000
Thalern zu erzwingen, § 8 Absatz 2.
Gegen diese Verfügungen steht der kirchlichen Behörde die Beschwerde
bei dem Gerichtshofe für die kirchlichen Angelegenheiten offen.


III. Einschreitung des Staates ohne Berufung.

§ 24. Kirchendiener, welche die auf ihr Amt oder ihre geistlichen Amtsverrich-
tungen bezüglich Vorschriften der Staatsgesetze oder die in dieser Hinsicht
von der Obrigkeit innerhalb ihrer gesetzlichen Zuständigkeit getroffenen
Anordnungen so schwer verletzen, daß ihr Verbleiben im Amte mit der
öffentlichen Ordnung unverträglich erscheint, können auf Antrag der
Staatsbehörde durch gerichtliches Urtheil aus ihrem Amte entlassen werden.
Die Entlassung aus dem Amte hat die rechtliche Unfähigkeit zur Ausübung
des Amtes, den Verlust des Amtseinkommens und die Erledigung der Stelle
zur Folge.

§ 25. Dem Antrage muß eine Aufforderung an die vorgesetzte kirchliche Behörde
vorausgehen, gegen den Angeschuldigten die kirchliche Untersuchung auf
Entlassung aus dem Amte einzuleiten.
Steht der Angeschuldigte unter keiner kirchlichen Behörde innerhalb des
deutschen Reiches, so ist derselbe zur Niederlegung des Amtes aufzufordern.
Die Aufforderung erfolgt schriftlich unter Angabe des Grundes von dem
Oberpräsidenten der Provinz.

§ 26. Wird der Aufforderung nicht binnen gesetzter Frist Folge gegeben, oder
führt die kirchliche Untersuchung nicht binnen gesetzter Frist zur Entlas-
sung des Angeschuldigten aus dem Amte, so stellt der Oberpräsident bei
dem Gerichtshofe für kirchliche Angelegenheiten den Antrag auf Einleitung
des Verfahrens.

§ 27. Auf das Ersuchen des Gerichtshofes hat das Gericht höherer Instanz, in
dessen Bezirk der Angeschuldigte seinen amtlichen Wohnsitz hat, einen
etatmäßigen Richter mit Führung der Voruntersuchung zu beauftragen.
Bei der Voruntersuchung kommen die entsprechenden Bestimmungen der
Strafprozeß-Gesetze zur Anwendung.
Die Verrichtungen der Staatsanwaltschaft werden durch einen von dem
Minister der geistlichen Angelegenheiten ernannten Beamten wahrgenom-
men.

§ 28. Der Gerichtshof kann mit Rücksicht auf den Ausfall der Voruntersuchung
das Verfahren einstellen.
In diesem Falle erhält der Angeschuldigte eine Ausfertigung des darauf
bezüglichen mit Gründen auszufertigenden Beschlusses.

§ 29. Wird das Verfahren nicht eingestellt, so ist der Angeschuldigte unter
Mittheilung der von dem Beamten der Staatsanwaltschaft anzufertigenden
Anschuldigungsschrift zur mündlichen Verhandlung vorzuladen.
Derselbe kann sich des Beistandes eines Advokaten oder Rechtsanwaltes
als Vertheidigers bedienen.
Außerdem ist der Minister der geistlichen Angelegenheiten zu benach-
richtigen.


§ 30. Für das Verfahren finden die Bestimmungen der §§ 17, 18, 20, 21, 22
sinnentsprechende Anwendung.
In dem Urtheil ist entweder die Freisprechung oder die Entlassung des
Angeschuldigten aus den von ihm bekleideten kirchlichen Ämtern
auszusprechen.

§ 31. Kirchendiener, welche Amtshandlungen vornehmen, nachdem sie in
Gemäßheit des § 30 aus ihrem Amte entlassen worden sind, werden mit
Geldbußen bis zu 100 Thalern, im Wiederholungsfalle bis zu 1.000 Thalern
bestraft.


Königlicher Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten.

§ 32. Zur Entscheidung der in den §§ 10-23 und 24-30 bezeichneten, so wie der
anderweitig durch Gesetz zugewiesenen Angelegenheiten wird eine Behörde
errichtet, welche den Namen: königlicher Gerichtshof für kirchliche
Angelegenheiten führt und seinen Sitz in Berlin hat.

§ 33. Der Gerichtshof besteht aus 11 Mitgliedern. Der Präsident und wenigstens
fünf andere Mitglieder müssen etatsmäßig angestellte Richter sein.
Die mündliche Verhandlung und Entscheidung in den einzelnen Sachen
erfolgt durch sieben Mitglieder. Der Vorsitzende und wenigstens drei
Beisitzer müssen zu den richterlichen Mitgliedern gehören.

Die Geschäftsordnung, insbesondere die Befugnisse des Präsidenten und die
Reihenfolge, in welcher die Mitglieder an den einzelnen Sitzungen Theil zu
nehmen haben, wird durch ein Regulativ geordnet, welches der Gerichtshof
zu entwerfen und dem Staatsministerium zur Bestätigung einzureichen hat.
Durch Plenarbeschlüsse des Gerichtshofes können auch die in diesem Gesetz
gegebenen Vorschriften des Verfahrens ergänzt und deren sinngemäße
Anwendung auf andere durch Gesetz dem Gerichtshofe überwiesene Angele-
genheiten geregelt werden.

§ 34. Die Mitglieder des Gerichtshofes werden vom Könige auf den Vorschlag des
Staatsministeriums und zwar die bereits in einem Staatsamte angestellten für
die Dauer ihres Hauptamtes, die anderen Mitglieder auf Lebenszeit ernannt.

Für die Rechte und Pflichten der Mitglieder des Gerichtshofes sind die für
die Mitglieder des Ober-Tribunals bestehenden Vorschriften maßgebend.

§ 35. Der Gerichtshof entscheidet endgültig mit Ausschluß jeder weiteren
Berufung.

§ 36. Die Justiz- und Verwaltungs-Behörden haben den an sie ergehenden
Ersuchen des Gerichtshofes Folge zu geben. Die Beschlüsse und Ent-
scheidungen des Gerichtshofes sind im Verwaltungswege vollstreckbar.


§ 37. Ueber die Verpflichtung zur Zahlung der Kosten des Verfahrens entscheidet
der Gerichtshof nach freiem Ermessen.
Als Kosten werden nur bare Auslagen in Ansatz gebracht.


Schlußbestimmung.

§ 38. Das Erforderniß staatlicher Bestätigung kirchlicher Disziplinar-Entschei-
dungen und der Rekurs wegen Mißbrauchs der kirchlichen Disziplinar-
Strafgewalt an den Staat treten, so weit solche im bisherigen Rechte
begründet sind, außer Kraft.

Gegeben Berlin, den 12. Mai 1873 gez. Wilhelm


Gesetz
über die Grenzen des Rechtes
zum Gebrauch kirchlicher Straf- und Zuchtmittel
vom 13. Mai 1873.

§ 1. Keine Kirche oder Religionsgesellschaft ist befugt, andere Straf- oder
Zucht-Mittel anzudrohen, zu verhängen oder zu verkünden, als solche,
welche dem rein religiösen Gebiete angehören, oder die Entziehung eines
innerhalb der Kirche oder Religionsgesellschaft wirkenden Rechtes oder
die Ausschließung aus der Kirche oder Religionsgesellschaft betreffen.

Strafe oder Zuchtmittel gegen Leib, Vermögen, Freiheit oder bürgerliche
Ehre sind unzulässig.

§ 2. Die nach § 1 zulässigen Straf- oder Zuchtmittel dürfen über ein Mitglied
der Kirche oder Religionsgesellschaft nicht deshalb verhängt oder verkündet
werden:
weil dasselbe eine Handlung vorgenommen hat, zu welcher die Staats-
gesetze oder die von der Obrigkeit innerhalb ihrer gesetzlichen
Zuständigkeit erlassenen Anordnungen verpflichten;
weil dasselbe öffentliche Wahl- oder Stimmrechte in einer bestimmten
Richtung ausgeübt oder nicht ausgeübt hat.

§ 3. Ebensowenig dürfen derartige Straf- oder Zuchtmittel angedroht, verhängt
oder verkündet werden:
um dadurch zur Unterlassung einer Handlung zu bestimmen, zu welcher
die Staatsgesetze oder die von der Obrigkeit innerhalb ihrer gesetzlichen
Zuständigkeit erlassenen Anordnungen verpflichten;
um dadurch die Ausübung oder Nichtausübung öffentlicher Wahl- oder
Stimmrechte in bestimmter Richtung herbeizuführen.



§ 4. Die Verhängung der nach diesem Gesetze zulässigen Straf- und Zucht-
mittel darf nicht öffentlich bekannt gemacht werden. Eine auf die
Gemeindemitglieder beschränkte Mittheilung ist nicht ausgeschlossen.

Die Vollziehung oder Verkündigung derartiger Straf- oder Zuchtmittel
darf auch nicht in einer beschimpfenden Weise erfolgen.

§ 5. Geistliche, Diener, Beamte oder Beauftragte einer Kirche oder
Religionsgesellschaft, welche den Vorschriften dieses Gesetzes, §§ 1-4,
zuwider Straf- oder Zuchtmittel androhen, verhängen oder verkünden,
werden mit Geldstrafen bis zu 200 Thalern oder mit Haft oder mit
Gefängniß bis zu einem Jahre und in schwereren Fällen mit Geldstrafen
bis zu 500 Thalern oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.

§ 6. Die besonderen Disziplinarbefugnisse der Kirchen oder Religionsgesell-
schaften über ihre Diener und Beamten und die darauf bezüglichen
Rechte des Staates werden durch dieses Gesetz nicht berührt.
Insbesondere findet das dem Staate in solchen Gesetzen vorbehaltene
Recht der Entlassung von Kirchendienern wegen Verletzung der öffent-
lichen Ordnung unabhängig von den in § 5 enthaltenen Strafbestim-
mungen statt.

Gegeben Berlin, den 13. Mai 1873 gez. Wilhelm


GESETZ,
betreffend den Austritt aus der Kirche
vom 14. Mai 1873.

§ 1. Der Austritt aus einer Kirche mit bürgerlicher Wirkung erfolgt durch
Erklärung des Austretenden in Person vor dem Richter seines Wohnortes.

Rücksichtlich des Uebertrittes von einer Kirche zur anderen verbleibt es
bei dem bestehenden Rechte.
Will jedoch der Uebertretende von den Lasten seines bisherigen Verbandes
befreit werden, so ist die in diesem Gesetze vorgeschriebene Form zu
beobachten.

§ 2. Der Aufnahme der Austrittserklärung muß ein hierauf gerichteter Antrag
vorangehen. Derselbe ist durch den Richter dem Vorstande der Kirchen-
gemeinde, welcher der Antragsteller angehört, ohne Verzug bekannt zu
machen.
Die Aufnahme der Austrittserklärung findet nicht vor dem Ablauf von
4 Wochen, und spätestens innerhalb 6 Wochen nach Eingang des Antrages
zu gerichtlichem Protokoll statt. Abschrift des Protokolles ist dem Vorstande
der Kirchengemeinde zuzustellen. Eine Bescheinigung des Austrittes ist
dem Ausgetretenen auf Verlangen auszustellen.


§ 3. Die Austrittserklärung bewirkt, daß der Ausgetretene zu Leistungen, welche
auf der persönlichen Kirchen- oder Kirchengemeinde-Angehörigkeit
beruhen, nicht mehr verpflichtet wird.
Diese Wirkung tritt mit dem Schlusse des auf die Austrittserklärung folgen-
den Kalenderjahres ein. Zu den Kosten eines außerordentlichen Baues,
dessen Nothwendigkeit vor Ablauf des Kalenderjahres, in welchem der
Austritt aus der Kirche erklärt wird, festgestellt ist, hat der Austretende bis
zum Ablauf des zweiten auf die Austrittserklärung folgenden Kalenderjahres
ebenso beizutragen, als wenn er seinen Austritt aus er Kirche nicht erklärt
hätte.
Leistungen, welche nicht auf der persönlichen Kirchen- oder Kirchen-
gemeindeangehörigkeit beruhen, insbesondere Leistungen, welche entweder
kraft besonderen Rechtstitels auf bestimmten Grundstücken haften, oder von
allen Grundstücken des Bezirks, oder doch von allen Grundstücken einer
gewissen Klasse in dem Bezirk ohne Unterschied des Besitzers zu entrichten
sind, werden durch die Austrittserklärung nicht berührt.

§ 4. Personen, welche vor dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Gesetzes ihren
Austritt aus der Kirche nach den Vorschriften der bisherigen Gesetze erklärt
haben, sollen vom Tage der Gesetzeskraft diese Gesetzes ab zu anderen, als
den im 3. Absatze des § 3 bezeichneten Leistungen nicht ferner heran-
gezogen werden.

§ 5. Ein Anspruch auf Stolgebühren und andere bei Gelegenheit bestimmter
Amtshandlungen zu entrichtende Leistungen kann gegen Personen, welche
der betreffenden Kirche nicht angehören, nur dann geltend gemacht werden,
wenn die Amtshandlung auf ihr Verlangen wirklich verrichtet worden ist.

§ 6. Als Kosten der Verfahrens werden nur Abschriftsgebühren und bare
Auslagen in Ansatz gebracht.

§ 7. Die in diesem Gesetze dem Richter beigelegten Verrichtungen werden im
Bezirk des Appellationsgerichtshofes zu Cöln durch den Friedensrichter,
im Gebiet der ehemals freien Stadt Frankfurt a.M. durch die 2te Abtheilung
des Stadtgerichtes daselbst wahrgenommen.

§ 8. Was in den §§ 1-6 von den Kirchen bestimmt ist, findet auf alle Religions-
gemeinschaften, welchen Corporationsrechte gewährt sind, Anwendung.

§ 9. Die Verpflichtung jüdischer Grundbesitzer, zur Erhaltung christlicher
Kirchensysteme beizutragen, wird mit dem Eintritt der Gesetzeskraft dieses
Gesetzes auf den Umfang derjenigen Leistungen beschränkt, welche nach
dem 3. Absatze des § 3 des gegenwärtigen Gesetzes den aus der Kirche
ausgetretenen Personen zur Last bleiben.

§ 10. Alle dem gegenwärtigen Gesetze entgegenstehenden Bestimmungen werden
hierdurch aufgehoben.


§ 11. Der Justizminister und der Minister der geistlichen Angelegenheiten sind
mit der Ausführung dieses Gesetzes beauftragt.

Gegeben Berlin, den 14. Mai 1873. gez. Wilhelm

 
     
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