Unsere Heimat im Spiegel der Presse  
   
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AVZ Nr. 271 vom 24. November 1977

Über 200 Jahre eine Pächterfamilie auf dem alten Gut Haus Neuerburg
Ein landwirtschaftlicher Betrieb als Beispiel des Strukturwandels in der Landwirtschaft in 100 Jahren
(Von Dr. Paul BLAESEN)

Wassenberg-Effeld. - Das nahe bei Effeld gelegene Haus Neuerburg war früher ein Rittergut, eine Wasserburg mit Schloß, Wirtschaftsgebäuden und Zugbrücke. Über die frühe Geschichte dieses Rittergutes ist leider nicht viel bekannt, Zustand und Bauweise der heutigen Restgebäude weisen auf ein Mindestalter von 400 Jahren hin, die Anlage ist sehr wahrscheinlich jedoch viel älter.
1820 wurde das Schloß abgebrochen, 1939 der Burggraben zugeschüttet. Seit Jahrhunderten sind die Grafen von MIRBACH Eigentümer von Haus Neuerburg. Sie haben das Gut vermutlich nie selbst bewirtschaftet, sondern immer verpachtet. Die Grafen von MIRBACH besitzen außerdem 40 ha Grund und Bauden im Raum Effeld, Ophoven und Karken, der an mehrere Landwirte verpachtet ist, sowie in Selbstbewirtschaftung eine 75 ha große Waldfläche.

Die Pächterfamilie JENNISSEN

Seit mehr als 200 Jahren sitzt die Pächterfamilie JENNISSEN auf dem Hof, eine gewiß für hiesige Verhältnisse ungewöhnlich lange Zeit. Seit den Großeltern der z. Z. auf dem Hof lebenden Familie ist die Generationsfolge voll überschaubar. So wohnte um 1829 ein Peter-Josef JENNISSEN auf dem Hof.
Nachfolger wurde sein Sohn Peter-Hubert, ein tüchtiger und aktiver Landwirt, geboren 1855 und gestorben 1924. Von den elf Kindern leben heute noch acht; die Mehrheit der Kinder ist der Landwirtschaft treu geblieben, darunter auch eine Tochter, die als Landwirtschaftslehrerin tätig war. Der jüngste Sohn, der 1916 geborene Willy JENNISSEN, ist seit 1948 Betriebsleiter.

Rundblick auf die letzten 100 Jahre

Dieser Bericht wählt einige Zeitabschnitte (1880, 1920, 1950 und 1977) aus und stellt vergleichend einige ausgewählte Themen, wie Betriebsgröße, Anbaufragen, Viehhaltung, Technik und Arbeitswirtschaft, in den Vordergrund. Hierdurch wird der Ablauf der geschichtlichen Entwicklung dieses landwirtschaftlichen Betriebes in seinen wesentlichsten Zügen übersichtlich. Die Darstellung eines Betriebes erlaubt auch gewisse Parallelen zur Entwicklung der Landwirtschaft in näherer und weiterer Umgebung.


Verhältnisse um 1880

Der nahezu arrondierte und mit Böden unterschiedlicher Qualität ausgestattete Betrieb umfaßte 40 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche mit überwiegendem Ackerbau. Als Dauergrünland zählte eine Weide am Hof und eine Wiese an der Rur. Auf dem Ackerland wurden vor allem Roggen, Hafer und Rotklee angebaut, weiterhin Futterrüben, Steckrüben und Möhren sowie kleinere Flächenanteile von Weizen und Kartoffeln. Damit zeigte sich hier ein ortsübliches Anbauverhältnis mit Schwerpunkt Getreide, wobei der Roggen an der Spitze stand.

Der Rindviehbestand war um 1880 nur gering, in diesem Fall jedoch verursacht durch eine vorherige notwendige Erbteilung, in der das Vieh größtenteils veräußert werden mußte. Auf dem Hof hatte man bereits sehr früh mit der Haltung des rheinischen Kaltblutpferdes begonnen, Kühe oder Ochsen waren als Zugtiere wenig beliebt. Zur Selbstversorgung wurden auch einige Schweine, von Abfällen gefüttert, gehalten.

Die technische Ausrüstung hielt sich in den damals üblichen Grenzen: Hundspflug, Karre, Eggen und andere kleine Geräte. Die Arbeitsverfahren waren weitgehend der damals üblichen Methode angepaßt: Schälen und Pflügen mit Hundspflug, Saatvorbereitung mit Egge, Säen mit Hand, Mähen mit Sichel, Dreschen mit Flegel. Dieser geringe technische Entwicklungsstand machte den hohen Arbeitskräfteaufwand (6 ständige Arbeitskräfte, dazu starker Einsatz von Tagelöhnern) verständlich.

1920 noch die gleichen Feldfrüchte

Während der zwanziger Jahre baute man auf Haus Neuerburg etwa die gleichen Feldfrüchte an wie vor 30 bis 40 Jahren, nur innerhalb des Anbauverhältnisses trat eine Verschiebung ein: Die Fläche für Kartoffeln wurde auf 7,5 ha ausge-
dehnt auf Kosten des Roggens, der erheblich mit Stockälchen befallen war und hierdurch ertragsmäßig nachließ. Peter-Hubert JENNISSEN, der Vater des jetzigen Betriebsleiters, erkannte rechtzeitig die Notwendigkeit einer Umstellung, und der Betrieb hatte durch den Kartoffelanbau lange Zeit besondere Erfolge.

Seit 1912 Stromversorgung

Inzwischen war die Rindviehhaltung stark aufgestockt worden (35 bis 40 Stück). Zudem standen auf dem Hof im Auftrag der Gemeinde 2 bis 3 Deckbullen. Außerdem hielt man 3 bis 5 Ackerpferde sowie 15 bis 20 Sauen, ein Beweis für die Vielseitigkeit in der Veredlungswirtschaft zu damaliger Zeit.

Die Ausstattung mit technischen Hilfsmitteln hatte einen überdurchschnittlichen Stand erreicht. So waren bereits um die Jahrhundertwende angeschafft worden: Getreide-Ableger (Mähmaschine,die eine Einzelablage der Garben ermöglichte),
Wendepflug, Eggen mit eisernen Zinken, Glattwalze, Stiftendrescher mit Reinigung (angetrieben von einem Göpel-Antriebswerk und drei Pferden, erst 1927 durch einen leistungsfähigeren Breitdrescher abgelöst), große Sämaschine (2 m), kleine Handsämaschine für Futterrüben.

Eine eigene Trafo-Station sorgte ab 1912 für die Lieferung von Strom. Schließlich wurde 1913 ein Getreide-Selbstbinder, 1920 ein Kartoffel-Schleuderroder gekauft, die von je drei Pferden gezogen große Erleichterungen zur Folge hatten. Die beiden Maschinen waren die ersten ihrer Art im hiesigen Gebiet! Trotz dieser relativ hohen Mechanisierungsstufe war auch um 1920 dennoch ein hoher manueller Arbeitsaufwand notwendig, denn neben den etwa fünf ständigen Kräften mußten immer noch zusätzliche Tagelöhner, die in reichlicher Zahl zur Verfügung standen, aushelfen.

Blütezeit in der Viehwirtschaft

In der Zeit von 1920 bis 1930 erlebte der Betrieb in der Viehwirtschaft eine besondere Blütezeit. Pferde- und Rindviehzucht standen im Vordergrund, besonders erstere war erfolgreich, wie das gute Abschneiden auf Ausstellungen bescheinigt. Auf einer Ausstellung wurden immerhin fünf Stuten vorgeführt. Der Kauf eines Schleppers und Anbau von Zuckerrüben im Jahre 1935 bereicherte wesentlich die Betriebsorganisation. Der letzte Weltkrieg brachte eine Reihe von Rückschlägen, Höhepunkt war die völlige Evakuierung im Herbst 1944. 50 Stück Rindvieh wurden ohne Entsschädigung abgetrieben. Annähernd für ein Jahr lag der Hof leer, nach der Rückkehr von Mutter, zwei Töchtern und einem Sohn waren die Schwierigkeiten übergroß, neu anzufangen.

Mit der Entlassung des heutigen Betriebsleiters aus Kriegsgefangenschaft im Jahr 1948 begann ein sichtbarer Aufschwung, und schon nach zwei Jahren zeigte der Betrieb folgende Organisation: Größe unverändert 40 ha landw. Nutzfläche mit 70 Prozent Ackerland und 30 Prozent Grünland, intensiver Ackerbau durch 40 Prozent Hackfrucht (7,50 ha Kartoffeln, 5 ha Zuckerrüben und Futterrüben), der Rest Getreide, davon relativ viel Weizen; vielseitige Viehwirtschaft: 20 Stück Rindvieh, 5 Pferde, 10 Sauen, 200 Hühner.

Technische Ausrüstung geringer als in der Vorkriegszeit, da durch Kriegsfolgen alle Maschinen verloren gegangen sind. Einige Jahre wieder Pferdeeinsatz statt Schlepper (daher auch die hohe Zahl von Pferden);4 bis 5 ständige Arbeitskräfte mit zusätzlicher Aushilfe in Arbeitsspitzen.

Auf 64 Hektar aufgestockt

Inzwischen wurde der Betrieb auf 64 ha aufgestockt und umfaßt heute nur noch einen geringen Teil Grünland. Durch die Flurbereinigungim Jahre 1969 konnte die Rurwiese ausgetauscht werden gegen eine andere hofnahe Ackerfläche. Ein intensiver Zuckerrübenanbau ( 1 / 3 Anteil) bestimmt das Anbauverhältnis und die Fruchtfolge, zum Getreide zählen Weizen, Gerste und etwas Roggen. Die Viehhaltung konzentrierte sich zunehmend auf die Ferkelerzeugung, so werden heute etwa 100 Sauen in einem in den 60er Jahren erbauten Stall gehalten.

Die technische Ausstattung ist hoch, drei Schlepper, vier Ackerwagen und Mähdrescher sowie andere notwendige Geräte bringen die Voraussetzungen für moderne Arbeitsmethoden. Die Zuckerrüben werden im Lohnverfahren geerntet. Infolge dieses Maschinenparks und Lohnverfahrens sind - trotz der größeren landwirtschaftlichen Nutzfläche und des hohen Sauenbestandes - nur zwei Arbeitskräfte notwendig; neben dem Betriebsführer, ab 1956 Landwirtschafts-meister, ist nur noch eine einzige ständige Arbeitskraft vorhanden, gelegentlich unterstützt durch Aushilfskräfte.

Ein Beispiel für viele

Der landwirtschaftliche Betrieb Haus Neuerburg hat in den letzten 100 Jahren eine wechselvolle Geschichte erlebt. Unter der Leitung von drei Generationen der gleichen Pächterfamilie führte der Weg aus „der guten alten Zeit“ hinein in das technische Zeitalter. An großen Veränderungen wurden im einzelnen aufgezeigt: Der Anbau von Feldfrüchten wechselte sehr stark nach Zahl und Flächenumfang bis zur heutigen rationellen Bewirtschaftung, die Viehwirtschaft veränderte sich von der Vielseitigkeit bis zur Spezialisierung auf einen einzigen Betriebszweig, die technische Ausstattung mit Maschinen und Geräten nahm immer mehr zu und der Arbeitskräfteeinsatz konnte ganz wesentlich einge-schränkt werden. Diese Entwicklung dient auch dem heutigen Ziel, für die in der Landwirtschaft tätigen Menschen mehr Einkommen zu erwirtschaften. Der Gutshof Haus Neuerburg verdeutlicht die allgemeine Entwicklung in der Landwirtschaft in den letzten 100 Jahren.

(Der Artikel ist angereichert durch ein FOTO des Archivs der HVZ „Das Haus Neuerburg in Wassenberg-Effeld“.)

 
     
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