Unsere Heimat im Spiegel der Presse  
   
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  HVZ vom 27. September 1961:

Der alte Turmhahn in Steinkirchen
Heimatforscher Peter JANSEN erzählt aus der Geschichte des alten Turmhahnes

Steinkirchen. - Unser Bericht über die wertvollen Sammelstücke aus Steinkirchen am Samstag veranlaßte den bekannten Heimatforscher Rektor Peter JANSEN aus Übach-Boscheln, über die Geschichte des alten Stein-
kirchener Turmhahnes zu berichten.

Welcher Leser, der sich in der deutschen Literaturgeschichte einigermaßen auskennt, wird nicht gleich beim Anblick des Kirchturmhahnes an Eduard
MÖRIKEs köstliche Idylle „Der alte Turmhahn“ erinnert!

Zu Cleversulzbach im Unterland
Hundertunddreizehn Jahr` ich stand,
auf dem Kirchenturm ein guter Hahn,
als ein Zierat und Wetterfahn`.

Nun kann es der Steinkirchener Turmhahn mit dem Kollegen des schwäbischen Cleversulzbach zwar an literarischem Wert nicht aufnehmen; aber in anderer Hinsicht dürfte er diesem doch manches voraushaben: Zum ersten hat er ein höheres Alter als jener aus dem Schwabenland erreicht, zählt er doch nahezu 160 Jahre, zweitens ist er keinem „rußig Lümmel“ von Hufschmied „für zween Batzen“ in die schwarzen Finger gefallen; weiter kommt ihm ein Kreuz aus dem Eisenrücken, zum vierten weist er einen Namen und eine Jahreszahl auf, und schließlich hat ihn kein „krummer Teufelshöcker“ von Schieferdecker von der Stange geholt, wie bei Eduard MÖRIKEs Dorfkirche, sondern der heftige Sturm des Rurlandes.

Steinkirchen kann sich glücklich schätzen, einen Bürger zu besitzen, der soviel Pietät und geschichtlichen Sinn hat, daß ihm auch das, was vom heutigen Zeit-
geist leider allzuzoft mit einer verächtlichen Geste als „alter Kram“ abgetan wird, noch etwas bedeutet. Gäbe es überall so aufgeschlossene und verantwor-tungsbewußte wackere Leute, so wären manche kulturgeschichtlich bedeutsa-men Denkmale, deren Verlust wir heute beklagen müssen, vor der Vernichtung bewahrt geblieben. Von der geistigen Haltung dieses Bürgers könnte sich mancher Behördenvertreter „eine dicke Scheibe abschneiden“.


Das Werk eines einheimischen „Künstlers“?

Der gerettete Steinkirchener Turmhahn aus dem Jahre 1802 ist das rührend-
Primitive Werk wohl eines heimischen Kunstbeflissenen, vielleicht eines Dorf-
schmiedes, eines Vertreters jener Handwerkergattung, in deren Werkstätten auch noch nach MÖRIKEs Zeiten die ausgedienten Wetterhähne ein unrühm-liches Ende zu finden pflegten, wie für Gangelt der Chronist Heinrich Joseph OTTEN nach einem Erlebnis aus dem vorigen Jahrhundert berichtet. Wer würde in dem komischen Zweibeiner einen Hahn wiedererkennen, wenn ihn nicht die vier schön geschweiften Eisensicheln des Schwanzes als solchen kenn-zeichneten! Ist er aber drum ein weniger wertvolles, ja kostbares Erinnerungs-
stück? Ich denke: Keineswegs! Es dürfte auch nicht alltäglich sein, daß einem Turmhahn die Jahreszahl seiner Entstehung und dazu noch ein Pfarrername aus dem Leib gehauen sind.

Der Pastor „van Per“.

Denn wenn es in dem Bericht bezüglich der Inschrift auf dem Hahn heißt:
„Wie der Besitzer des Wetterhahnes sagt, soll in Steinkirchen um 1800 ein Pfarrer namens van PER gelebt haben“, so ist diese Vermutung eine geschicht-liche Tatsache. Das ersieht man aus dem Verzeichnis der katholischen Pfarrer in der „Kirchengeschichte des Wassenberger Raumes“ von Heribert HEIN-RICHS und Jakob BROICH (Geilenkirchen 1958) S. 329. In der Aufstellung der Pfarrer von Steinkirchen-Effeld ist dort für die Zeit von 1751 bis 1808 ein Pastor Johannes Leonardus von PIER genannt. Dieser Pastor des Turmhahns hat also
und das ist eine außerordentlich bemerkenswerte Tatsache ¾ der Pfarre
Steinkirchen nicht weniger als 57 Jahre als Hirte vorgestanden. Als der Schmied den Namen seines Pfarrherrn in ungelenken Lettern in den Rumpf des Turm-hahns hämmerte, wird dieser sich wohl der Vollendung des 80. Lebensjahres genähert haben. Möglicherweise stammte er ¾ worauf sein Name hindeuten könnte ¾ aus dem Orte Pier bei Düren. Vielleicht finden die Heimatforscher des Wassenberger Landes noch weitere Nachrichten aus dem Leben dieses Priesters.

Warum das Jahr 1802?

Die Jahreszahl 1802 im Eisenblech des Turmhahnes könnte uns einen Finger-zeig dafür geben, warum der Ort Steinkirchen gerade in diesem Jahre einen neuen Kirchenhahn beschaffen ließ. Damals (seit 1794) saßen die Franzosen im Lande, und unsere Heimat war ein Bestandteil der französischen Republik geworden. Auch bei uns wüteten die republikanischen Machthaber mit wildem Fanatismus gegen alles, was christlich und kirchlich war. So mußte der Gottes-
Dienst streng auf den Kirchenraum beschränkt bleiben. Prozessionen waren gänzlich verboten. Sie galten als „geistliche Rottierungen“. Die Kreuze mußten von den öffentlichen Plätzen, den Friedhöfen und mancherorts sogar von den Kirchtürmen verschwinden. Dieses bezeugt eine alte Niederschrift für Übach:
„So auch das vom Kirchtoore (Kirchturm) muste gleich herunter gerißen werden.“ Vielleicht hat das Steinkirchener Turmkreuz in der damaligen Zeit das gleiche Schicksal erlitten. Und damit war es möglicherweise auch um den Turmhahn geschehen, der mit dem Kreuz vom Turmknauf gezerrt worden sein könnte.

Aber die Zeiten änderten sich. Nach dem Siege von Marengo trat der Erste Konsul NAPOLEON mit Papst PIUS VII. in Verhandlungen wegen eines neuen Konkordats. Dieses wurde am 16. Juli 1801 abgeschlossen. Damit gewährte die französische Regierung der katholischen Kirche freie Religionsausübung unter Staatsaufsicht. Bereits im folgenden Jahre erhielt die Turmspitze von Steinkir-chen wieder ein Kreuz, eigentlich einen neuen Turmhahn mit einem aufge-
schmiedeten, auffallend kleinen Kreuz, das in seiner Winzigkeit die oberste Schwanzfeder des Hahnes kaum überragt. Man fragt sich. Ob die Größe oder Winzigkeit dieses Kreuzes der Franzosenzeit nicht durch einen örtlichen Macht-
haber und alten republikanischen Doktrinär aus seinem antikichlichen Affekt heraus förmlich vorgeschrieben worden sein könnte. Wie dem auch sei: Der Steinkirchener Turmhahn ist ein ganz außerordentlicher Turmhahn, ein ganz wichtiges geschichtliches „Erinnerungsstück“.
P. JANSEN

 
     
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