Unsere Heimat im Spiegel der Presse  
   
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HVZ vom 6.,7., 8. und 13. Januar 1955:

Vor zehn Jahren:

Selfkant und Rurland in der Zeit des Zusammenbruchs
(Jakob KEVER, Steinkirchen)

Geilenkirchen-Heinsberg.

Unter der Ueberschrift „Selfkant und Rurland in der Zeit des Zusammenbruchs“ veröffentlicht der Heimatkalender 1955 des Selfkantkreises Geilen-
kirchen-Heinsberg einen ausführlichen Beitrag über das Kriegsgeschehen in unserer Heimat, wie es der Autor, Jakob KEVER aus Steinkirchen, im letzten Halbjahr des Krieges selbst erlebt hat. Da dieser Beitrag von allgemeinem Interesse ist, wird er mit Genehmigung der Kreisverwaltung und des Autors nachstehend veröffentlicht.

„Die Invasion von Cherbourg war erfolgt (6. Juni 1944), und die der Welt mit soviel Wortschwall verkündete Unüberwindlichkeit des Atlantikwalles hatte versagt. Die Ereignisse rollten Schlag auf Schlag ab, bis dann Ende August das Zurückfluten der geschlagenen deutschen Truppen einsetzte: die Herren kamen per Auto, die Mannschaften zu Fuß in größeren und kleineren Trupps, welche dann als Versprengte aufgefangen und wieder zu Einheiten formiert wurde. Anfang September mußte es auch dem Befangensten einkeuchten, daß etwas in der Luft lag, auch für unser Heimatgebiet.

Es kamen schon einzelne Soldaten, welche die Rurdämme entlang Einmann-löcher aushoben, bis dann eines Tages Marschbefehle ausgegeben wurden mit der Anweisung, wo man sich für den Fall einer Freimachung mit seiner Familie und kleinem Handgepäck einfinden mußte. Bald werden auch schon Abfahrts-
zeiten von Rückführerzügen bekannt gegeben. Noch erst „alles für den Fall“. Mitte September werden wir dann nachts aus dem tiefsten Schlummer geweckt: es geht die Schelle. Eine Bekanntmachung wird beim Scheine einer Laterne verlesen, wonach auf Befehl des Führers das ganze Kreisgebiet mit Ausnahme der Ortschaft Baesweiler geräumt werden soll. Es wurde noch gesagt, wann die Extrazüge führen und daß jede Person 15 kg Handgepäck mitführen dürfe: Aber obschon die Bekanntmachung nochmals nachts erfolgte, kümmerte sich niemand um den Befehl des Führers..

Am 20. September kommt die erste Einquartierung: Pioniere der Einheit PFEFFER (Pi 6) und Schanzarbeiter. Es waren dies ältere und ganz junge Leute, welche man aus den Betrieben herausgeholt hatte. Als Einheit nannten sie sich „Maulwurf-Bataillon“, Sie haben ihrem Namen alle Ehre gemacht und unsere Fluren nach allen Regeln der Kunst zerwühlt und verwüstet durch Auswerfen von Panzergräben, Laufgräben, Schützenlöchern usw. „Freiwillig gezwungene“ Russen in deutscher Uniform, sogenannte „Tataren“, legten die Drahtverhaue an. Effeld Steinkirchen und Ophoven waren von zwei Panzer-gräben von der holländischen Grenze bis zur Gemarkung Birgelen auf der Rurseite und der Waldseite umschlossen. Der Graben auf der Rurseite hatte folgende Maße: Tiefe 4 Meter, Krone 6 Meter und Sohle 2 Meter. Der Graben an der Waldseite hatte etwa Zweidrittel dieser Maße. Die Erde war nach beiden Seiten ca. 6 Meter breit planiert. Rechnet man die Länge der Gräben auf 8 km, noch dazu all die Laufgräben, Schützenlöcher, Bunker usw., so ergibt sich
- vorsichtig geschätzt - eine Erdbewegung von ¼ Million cbm. Sie hatten also ihren Namen als Maulwürfe nicht zu Unrecht. Wenn man den Ausfall an Anbaufläche durch die Aushebung der Gräben und die Planierung sowie die beiden Drahtverhaue mit 50 ha schätzt, so ist das wohl nicht zu hoch. Die Leitung der Erdarbeiten lag in Händen der braun Uniformierten in Leutnant-
uniform, sogenannten „Schmalspuroffizieren“. Die Wehrmacht war gänzlich
ausgeschaltet, und selbst höhere Offiziere äußerten sich offen über die Sinn-losigkeit der Schanzarbeiten. So hatte u.a. der Kommandierende der gesamten
Westfront, General MODEL, welcher einige Tage bei der Division in Effeld weilte und die Schanzarbeiten in Augenschein nahm, den Arbeitern den Rat gegeben, den Graben nur nicht zu tief zu machen, da es ja doch keinen Zweck habe.

Doch nun wieder zur eigentlichen Räumung. Die hier einquartierten Pioniere waren angewiesen, ihre Quartierleute schonend auf die Möglichkeit einer Räumung vorzubereiten. Bald schon überstürzten sich die Ereignisse, die die Möglichkeit der Tatsache näher brachten. Es kommt keine Post mehr, die Zeitung hat ihr Erscheinen eingestellt, es wird keine Milch mehr zur Molkerei abgefahren, und aus den Geschäften holt die „NSV“ die Ware ab, man will uns räumungsreif machen. Vom Selfkant kommen auch schon Vertrieben mit Karren hier durch, sogenannte „Bauerntrecks“, welche in Effeld und Stein-
kirchen einen Tag rasten, ehe sie durch den Wald ins Ungewisse fahren. Nur von hier geht niemand. Aber man läßt nicht locker. Am 3. Oktober, abends fünf Minuten vor acht Uhr, dreht die deutsche Artillerie am Selfkant ihre Rohre in umgekehrter Richtung und feuert nordwärts. Um die Ortschaft Steinkirchen schlugen die Geschosse ein, welche von deutschen Artilleristen auf Grund gefundener Geschoßteile als deutsche Munition erkannt wurden. Als selbst dies uns nicht zum Wegzug bewegen kann, erscheint am 5. Oktober ein großes Aufgebot „grüner Räumungspolizei“ und fordert die Bewohner mit Waffen-gewalt auf, bis 10 Uhr den Ort zu verlassen. Das Vieh war tags zuvor schon ohne Bezahlung oder Bescheinigung abgetrieben worden. Gab`s in Anbetracht der Waffengewalt kein Sträuben mehr, so mußte auf List gesonnen werden. So hatte ich denn mit meinem Nachbar vereinbart, bis in den Wald zu fahren und dort einige Tage „Verstecken“ zu spielen, um dann nach Verschwinden der „grünen Gefahr“ wieder nach Hause zu machen.

So mußten denn alle mit viel Weh und Leid im Herzen die liebe Heimat verlas-sen und Haus und Hof fremden Menschen überlassen. Es war ein trauriger Anblick, als die Karawane der Fahrzeuge zum Dorf hinaus steuerte, begleitet von den tiefbetrübten Bewohnern, und es flossen die Tränen reichlich. Wir hatten im Wald schon das Vieh versorgt, zu Abend gegessen und waren gerade dabei, unser Nachtlager herzurichten, als wir von den „Grünen“ erwischt wurden. Wir Männer wurden zu dem Anführer, einem ganz jungen Polizeileutnant, zitiert, welcher uns mit dem Gruß empfing: „Diese verdammte schwarze, halsstarrige Bande vom Selfkant!“ Und als der junge Schnösel sogar mit Arbeitslager drohte, hat ihm eine von unseren Frauen gründlich den Kopf gewaschen. Die ganze, einem großen Omnibus entsteigende Polizeimacht, wurde auf uns losgelassen, um unsere beschleunigte Weiterfahrt zu erzwingen. Die meisten waren wüste, rabiate Kerle, aber der Ehre halber muß gesagt werden, daß es auch mitfühlende Menschen darunter gab. So sagte z.B. einer zu mir:
„Sorgt nur, daß ihr zum Fahren kommt, dann hat der Narr Ruhe.“ Es war schon dunkel, als wir nach Birgelen kamen. Dort kampierten wir eine Nacht und fuhren anderen Tags nach Eulenbusch, näher der Heimat zu.

Dort blieben wir zwei Tage. Ich pendelte mit dem Rad in dieser Zeit mehrmals zwischen Steinkirchen und Eulenbusch, und als ich mich vergewissert hatte, daß die „grüne Gefahr“ vorbei war, fuhren wir am anderen Morgen noch bei Nacht und Nebel wieder nach Hause zurück und luden ab mit dem Vorsatz, nicht mehr auzuladen, komme was wolle, welchen Vorsatz wir auch gehalten haben.

Doch nun wieder zum Selfkant, wo Ende September der Vormarsch der Alliierten zum Stehen kam. Es gab wieder eine Frontlinie. Von den Alliierten waren besetzt: Millen, Tüddern, Süsterseel, Hastenrath, Kievelberg, Vinteln, Stahe, Gillrath, Teveren, Gangelt und Grotenrath. Am 16. November wurden die Bewohner dieser Ortschaften von den Amerikanern in das Camp Vught nach Nordbrabant gebracht und interniert. Die deutsche Linie verlief damals von Süstern (Susteren) über Schalbruch, Havert, Breberen, Schierwaldenrath auf Geilenkirchen zu. Hier haben Angriff und Gegenangriff bis Ende Januar 1945 gedauert, mit dem Ergebnis, daß die deutsche Front immer mehr auf die Rur zurückgedrängt wurde. Die in der Kampflinie liegenden Dörfer sind Brennpunkte der Kämpfe gewesen, und wo ein Dorf als strategisch wichtiger Punkt angesehen wurde, wechselte es öfters seinen Besitzer und wurde zur Ruine. So besonders Schierwaldenrath.

Nach Stillstand der Offensive wird das Hinterland in Zonen aufgeteilt. Die Kampfzone ist „Rote Zone“, dann kommt die „Grüne Zone“ bis zur Rur und darüber hinaus bis in Höhe von Effeld die „Weiße Zone“. Ein Anschlag an Haus Nr. 1 in Effeld besagt: „Wer sich ohne Ausweis in Feindrichtung bewegt, wird erschossen.“ Dadurch, daß die Front stand, wurde es den arbeitsfähigen Männern gestattet, zurückzukommen zur Dienstverpflichtung, worüber man einen diesbezüglichen Ausweis erhielt. Später wurde die Rückkehr auch den Frauen ohne Anhang (Kinder) gestattet. Uns Männern oblag es zunächst, das Rurufer von allem Strauchwerk zu säubern, eine Maßnahme, die von Wehr-
machtsoffizieren als sehr günstig für den Gegner angesehen wurde, wegen der dadurch entstehenden guten Sicht. Später wurden dann die Dienstverpflichteten eingesetzt zur Bergung der Kartoffelernte und für Druscharbeiten.. Als dann die Landwacht verstärkt wurde, meldete ich mich dazu. Die Landwacht war ein Polizeiorgan und als solches an einer weißen Armbinde kenntlich. Sie hatte die Aufgabe, Eigentumsdelikte zu verhüten, auf eine vorschriftsmäßige Verdunk-lung zu achten usw. Auch bei Razzien auf Personen ohne Ausweise mußte sie mitwirken. Aus der Landwachtzeit erinnere ich mich noch gerne an die vorzügliche Küche, die wir uns eingerichtet hatten und deren Leitung in bewährten Händen lag. Die Dienstverpflichteten hatten auch ihre Küche, welche aber nicht allzu berühmt war, was wohl daran lag, daß die Belieferung durch zu viele Hände ging. Sie wurde vom bayerischen Hilfszug versorgt.

(Fortsetzung vom 7.1.1955):
Waren alle Dörfer unseres Kreises schwer genug heimgesucht, so sollte Effeld noch seine besondere Heimsuchung haben. Es zog dort der Rgt.-Stab der
176. Division ein - im Soldatenjargon „Räuberdivision“ - , mit allem Drum und Dran rund 100 Mann.Dazu waren in Effeld die Versprengten-Sammelstelle, das Gefängnis, das Kriegsgericht und das grausige sogenannte „Himmelfahrts-
kommando“, welches die Todesurteile zu vollstrecken hatte. Und es sind ihrer gar viele ausgesprochen und vollstreckt worden, sowohl an Soldaten wie auch an Zivilversonen. Aus Mitteilungen, welche ich von Meldern habe, schätze ich die Zahl der Soldaten auf gut 50. Jesuitenpater HÄHNER, welcher zu der Zeit Kaplan in Wassenberg und gleichzeitig Divisionspfarrer vom Abschnitt „Untere Rur“ war und nachher von den Amerikanern zum Bürgermeister des Amtes Wassenberg ernannt wurde, schätzte die Zahl der in Effeld ausgesprochenen und vollzogenen Todesurteile auf annähernd 100. Soviel bekannt, hat nur eine Anklage nach dreitägiger Verhandlung mit Freispruch geendet. Sie betraf den in Höngen beheimateten Dr. LEGEWIE, welcher des Verrats angeklagt war. Als Dr. LEGEWIE sich darauf von Wassenberg aus evakuieren wollte, wurde er dort durch eine Fliegerbombe getötet. Die Todesurteile für Zivilisten wurden auf dem Effelder Friedhof durch Genickschuß vollstreckt und die Leichen auch dort zur Erde gegeben. Wo die Exekutionen an den Soldaten stattfanden und wo ihre Leichen geblieben sind, ist nicht ganz klar geworden. Die 1944-45 gefallenen Soldaten vom Abschnitt „Untere Rur“ wurden teilweise in Wildenrath und vereinzelt sonstwo, größtenteils aber auf dem Waldfriedhof in Wassenberg begraben. Ihre Zahl übersteigt 360.

Im November-Dezember wurden dann für die Division im Wald bei Gut Cromland acht Bunker gebaut, luxuriös und mit allem Komfort ausgestattet. Das Material und die Einrichtung wurden aus dem zerstörten Heinsberg herangeschafft. Sogar ein hochnobles Offiziers-Casino fehlte nicht. Aber die Bunker sind kaum bezogen worden, denn die Herren zogen es vor, rechtzeitig ab zu Rücken.

Als Mitte November dann die vielen Einquartierungen kamen und die „Feldgrauen“ im Gegensatz zu den „Braun-Grünen“ sich den Zivilisten gegenüber freundlich und helfend erwiesen, wagten letztgenannte Farben sich nicht mehr auf den Plan, was besonders für die vielen Untergetauchten eine Befreiung war. So haben wir denn, trotz der Schwere der Zeit, mit den Soldaten manche frohe Stunde verlebt. Sie waren alle für die kleinste Aufmerksamkeit dankbar und hilfsbereit.

Während die Front im Selfkant stand, wurde von der deutschen Heeresleitung eine großangelegte Offensive geplant. Sie wurde vorbereitet unter dem Deck-namen „Unternehmen Greif“ und startete unter dem Motto: Wir greifen an! Allgemein ist sie bekannt unter dem Namen „RUNDSTEDT-Offensive“. In die Geschichte wird sie eingehen als „Verzweiflungsdefensive“. Sie sollte, vom Raum Aachen-Trier aus, durch Belgien durchstoßen bis Antwerpen und so den am Selfkant stehenden Gegener sowie die links der Maas sich vorkämpfenden alliierten Truppen von ihren rückwärtigen Verbindungen abschneiden. Im Zusammenhang mit der „RUNDSTEDT-Offensive“ wurden die Dörfer des unteren Rurtales stark mit Einquartierung belegt, mit dem Zweck, falls die Offensive Erfolg haben sollte, Truppen und Material bereit zu haben, um den am Selfkant stehenden, von seinen rückwärtigen Verbindungen abgeschnittenen Gegner anzugreifen und zu vernichten. Waren es linksrurisch mehr die Erdkampftruppen, so lagen rechtsrurisch die technischen Einheiten und die Trosse. Zeitweilig war das kleine Steinkirchen (19 Häuser) mit über 300 Mann und den dazu gehörigen Fahrzeugen belegt. Als dann um Weihnachten die Offensive als gescheitert angesehen werden konnte, wurden die vielen Soldaten langsam ins Innere zurückgenommen.

So ging es bis Ende Januar 1945. Am 22. und 23. Januar war noch einmal „Zwangsräumung“. War die Räumung im Oktober schon bitter und leidvoll, so wurde jetzt der Becher des Leides und der Bitternis übervoll. Es war eine Flucht durch Eis und Schnee, wobei nur wenige Habseligkeiten mitgenommen werden konnten. Wenn unsere Nachkommen etwa auch betrübte und armselige Zeiten durchleben sollten, so sollen sie stets eingedenk sein, daß ihren Vorfahren an Leid und Weh nichts erspart geblieben ist. In Effeld konnte sich niemand halten. In Ophoven sechs und in Steinkirchen 18 Leute. Als dann am 24. Januar Heinsberg von den Deutschen aufgegeben wurde, wurde in der Nacht zum 25. Januar die deutsche Front diesseits der Rur zurückgenommen. Die Soldaten waren froh, wenn sie Zivilisten antrafen; sie glichen mehr fahrendem Volk als Kampftruppen. Auch im Punkte „Verpflegung“ war es nicht gut bestellt. Diese Frage wurde aber bald zur Zufriedenheit der Soldaten gelöst. So kam denn in Steinkirchen zwischen den Soldaten und Zivilisten eine Not- und Todgemeinschaft zustande. Waren wir jetzt vor dem Vertriebenwerden absolut sicher, so entstand uns dafür eine neue Gefahr. Wir befanden uns plötzlich über Nacht in der Hauptkampflinie. Wir mußte und wegen des Artilleriebeschusses fast ständig im Keller aufhalten. Solange die Engländer uns gegenüberlagen, war der Beschuß noch erträglich, da mit einer gewissen Pünktlichkeit geschossen wurde und dazwischen regelmäßig schußfreie Pausen lagen. Wir hatten uns schon unseren Reim darauf gemacht: „Jetzt gehen die Engländer Kaffee trinken oder zu Mittag essen“. Als dann aber, etwa um den 10. Februar herum, die Amerika-ner die Front übernahmen, wurde pausenlos gefeuert. Geschosse aller Kaliber, mit Aufschlag und Verzögerung, prasselten Tag und Nacht ins Gelände. Nach sehr vorsichtiger Schätzung fielen etwa von der Ziegelei Forst bis zur holländischen Grenze (ca. 5 km) in einer Tiefe von ebenfalls 5 km täglich mehrere tausend Schuß. Es war ein Glück, daß dieses Schießen nicht so sehr als Ziel-, sondern als Geländeschießen anzusehen war, sonst wäre in Effeld, Ophoven und Steinkirchen kein Stein auf dem anderen geblieben.

Im folgenden noch einige Notizen:
Am 16. November 1944 zwischen 14 und 15 Uhr wird Heinsberg von Bombern angegriffen und in kurzer Zeit in einen Trümmerhaufen verwandelt. Auch der prachtvolle GANGOLFUS-DOM fiel den Bomben zum Opfer. Von den Detonationen zersprangen in der Steinkirchener Kirche die Fenster. Ich liege bei den Westarbeitern in einem Laufgraben in Deckung. Die abziehenden Bomber sammeln sich staffelweise über Effeld. Von den Westarbeitern wurden über 300 Maschinen gezählt. Zur Zeit des Angriffs passierte ein von Haaren über Kempen nach Steinkirchen kommender Artillerietroß die Wegegabelung an der Heinsberger Molkerei. Keinem geschieht etwas.
17. November 1944: Die 1925-26 erbaute Betonbrücke über die Rur bei Kempen wird von Bombern angegriffen. Ohne Erfolg. Am 18. November wird der Angriff wiederholt, eine Bombe trifft die Sprengladung der Brücke und zerstört das Bauwerk. Von Pionieren wird sofort der Bau einer Behelfsbrücke, die auf eingerammten Pfählen als Holzbrücke errichtet wird, begonnen, welche bis Mitte Dezember fertiggestellt war. Sie hatte eine Tragfähigkeit von 60 Tonnen. Sie wurde vor dem Hochwasser mit Brennstoff getränkt und weggebrannt. Sie lag an der Wurmseite der gesprengten Brücke und war an der Kempener Seite durchgebaut bis zum Damm. Von da aus ging die Verlängerung über den Hof von DOMSEL und THISSEN auf die Wegekurve hinter THISSEN zu. Zur Auffüllung und Festigung des Weges wurden die Oekonomiegebäude von THISSEN mit geballten Ladungen gesprengt.
17. November 1944: Alle Steinkirchener, besonders aber die, welche hier untergetaucht sind (es sind ihrer 12), erleben heute eine große Freude. Es wird Gottesdienst gehalten von Jesuitenpater Unteroffizier Alfred GEIER aus Salzburg, welcher hier bei einer Panzereinheit einquartiert ist. Gelegenheit zum Sakramentenempfang während der hl. Messe und eine zu Herzen gehende Ansprache. Es war besonders für die Untergetauchten eine Art Katakombenfeier.

20. Januar 1945: Gegen 10 Uhr wird Effeld von Fliegern angegriffen. Von 12 Bomben fallen acht vor das Dorf, vom Schloß bis in den Garten von Haus Nr. 136. Zwei fallen hinter das Dorf, je eine in die Gebäulichkeiten von Geschwister THISSEN und Wilhelm RAMAKERS. Große Materialschäden, aber keine Menschenverluste. Ich liege etwa 20 Meter davon entfernt, als die Bombe in den Garten von Haus Nr. 136 einschlägt. Einen Schreck und viel Dreck habe ich abbekommen, weil die Bombe rund 4 Meter tief einschlägt und dann krepiert.

(Fortsetzung vom 8.1.1955):
21. Januar 1945: Die Landwacht wird um 14 Uhr nach Wassenberg beordert zwecks Auflösung. Die unter 60 Jahren kommen zum VOLKSSTURM, die über 60 Jahre erhalten den EVAKUIERUNGSSCHEIN. In eine geschlossen ange-
tretene Volkssturmkompanie fallen Bomben. Acht Tote und 17 Verletzte, meist Leute von jenseits der Rur.

22. und 23. Januar: Zweite Zwangsräumung. Ophoven bekommt Artilleriebe-schuß. Zwei Bewohner werden durch Splitter schwer verletzt, an deren Folgen sie auch gestorben sind.

24. Januar 1945: Heinsberg aufgegeben. In der Nacht wird die Front über die Rur zurückgenommen. Auf der anderen Seite der Rur bleiben nur noch Stütz-punkte. Uns gegenüber in Karken-End und weiterhin in Kempen. Stützpunkt Karken-End hat höchstens 35 Mann gehabt. Karken-Dorf war sogenanntes „Niemandsland“, es konnten sich dort mehrere hundert Einwohner halten. Die sogenannte „Front“ bestand in unserem Bereich (etwa 5 km) aus der ersten und dritten Grenadier-Kompanie, Grenz-Rgt. 1218, im ganzen etwa 80 Mann, dazu zwei Granatwerfen und einige MGs. Als artilleristische Stütze standen im Wald hinter Rothenbach einige Geschütze. Wegen des großen Munitionsmangels hatte die Artillerie meistens Schießverbot, wenn sie von einem bedrängten Stützpunkt oder Spähtrupp jenseits der Rur um Unterstützung angerufen wurde. Die Infanteristen hatten die Aufgabe, die Verbindung zwischen den Stützpunkten und der Front aufrechtzuerhalten und an der anderen Seite Stoß- und Spähtruppunternehmen durchzuführen. Zu diesem Zweck war über die Rur ein Steg gebaut. Später, nach der Hochwasserflut, wurde der Verkehr vermittels Kähnen aufrechterhalten. Der Verkehr über die Rus hat immerhin 25 jungen Menschen das Leben gekostet. Davon fielen nur zwei durch Feindberührung, die einen durch eigene Minen, die meisten aber durch Artilleriefeuer, da der Verkehr über die Rur gut einzusehen war. Um durch das Hochwasser in Sumpf und See verwandelte Gelände weiterkommen zu können, hatten die Soldaten von den Scheunen und Stallungen die scharfkantigen Sparren heruntergeholt und damit einen Laufsteg gebaut.

26. Januar 1945: Schloß ELSUM wird aus der Luft angegriffen und mit Phos-phorbomben belegt, wodurch es vollständig ausbrennt. In der Nacht kommt ein Pionierkommando in unser Haus. Es sollen 2000 Minen im Gelände um Stein-
kirchen gelegt werden. Es wurden aber nur etwa 200 gelegt, zwei Panzersperren gebaut. Große Unlust und Kampfmüdigkeit bei den Soldaten.

Februar 1945: Artillerietreffer in den Häusern Nr. 3 und 5 (in Steinkirchen).

Februar 1945: Fernmündlicher Räumungsbefehl von der Division. In der
Folge kommt dieser Befehl noch öfters. Die Antwort lautet immer: „In Stein-
kirchen ist kein Zivilist mehr!“ Wir werden in unserem Vorsatz zu bleiben auch von den Soldaten bestärkt und unterstützt. Bis zum 6. Februar außer Artilleriebeschuß nichts Besonderes. Die Häuser im Feld sind schon schwer mitgenommen. Befehl von der Division: „Jeder Zivilist wird ohne Anruf erschossen!“ In der Nacht zum 10. Februar kommt das Hochwasser. Die Keller, welche unsere Zufluchtsstätten sind, stehen unter Wasser, stellenweise über 50 cm. Wir müssen unsere Lagerstätten höher bauen. Der Stützpunkt Karken-End wird zurückgenommen.

19. Februar 1945: Stützpunkt Karken-End wieder besetzt. Der Verkehr wird mit Kähnen aufrechterhalten. Starker Beschuß bis zum 23. Februar.

23. Februar 1945: Das Feuer verstärkt sich fortwährend. Nachts gegen 12 Uhr Drahtmeldung: Die Effelder Kirche brennt! Da aber kein Feuerschein zu sehen ist, muß angenommen werden, daß der Brand von Soldaten gelöscht wurde. Es ist auch nur das Orgelgebläse ausgebrannt.

24. Februar 1945: Frühmorgens liegt das Gelände vor Steinkirchen von Karken aus unter rasendem MG-Feuer. Von der Leuchtspur-Munition ist das Dörfchen grausig beleuchtet. Gegen 10 Uhr morgens wird die Spitze des Steinkirchener Kirchturmes von Karken-Tichelkamp aus von Flachbahngeschützen wegge-schossen. Der Turm war einige Zeit vor dem Kriege von Offizieren in Zivil als strategischer Punkt in die Meßtischblätter eingetragen worden. In der Frühe sind die Granatwerfer abgerückt. In der Nacht rücken nochmals einige Soldaten in Steinkirchen ein. Das vernichtende Artilleriefeuer hat sich noch verstärkt und wird in der Nacht immer wütender. Frühmorgens am 26. Februar entstehen in Steinkirchen vier Großbrände durch Phosphor. Von Haus Nr. 4 brennen die Stallgebäude aus. Das Vieh kommt in den Flammen um. Haus Nr. 12 samt den Oekonomiegebäuden brennt vollständig aus, dazu die Hälfte der Scheune von Haus Nr. 11. Von Haus Nr. 10 brennen Scheune und Stallungen nieder. Ueber Tag unvermindert starker Beschuß. Haus Nr. 1 erhält einen Volltreffer; in das Wohnhaus Nr. 3 gehen sechs Treffer und mehrere in das Oekonomiegebäude. Haus Nr. 2 fast vollständig zerstört. In der Nacht rücken die nachts vorher gekommenen Soldaten wieder ab. Es kommen nochmals sechs neue.

(Schluß vom 13.1.1955):
27. Februar 1945: Die Salven werden immer häufiger, nachmittags rücken auch die letzten sechs Soldaten auseinandergezogen übers Feld in Richtung Effeld ab. Bei einbrechender Dunkelheit kommt noch ein Spähtrupp, ängstlich schleichend durchs Dorf. Das waren die letzten. Abends sind wir dann im Keller beisammen, und nachdem wir unserem Herrgott in der üblichen Weise für seinen Schutz gedankt und ihn um weiteren Beistand gebeten haben, suchen wir unser Lager auf. Zum Schlafen ist wohl keiner gekommen bei dem orkanartigen Toben der Artillerie. In der Nacht wurden die Lindenbäume an den Kirchen in Steinkirchen und Ophoven sowie die Linden an den Feldkreuzen zwischen Steinkirchen und Effeld gesprengt. Das heftige Feuer hört gegen Morgen des 28. Februar plötzlich auf.

28. Februar 1945: Wir haben gefrühstückt. Eine Frau, welche mal nach oben gegangen ist, ruft plötzlich in den Keller hinein: „Was sind das für Soldaten, welche die Straße nach Effeld ziehen?“ Der Amerikaner war da. Gegen 9 Uhr wurden wir durch ein energisches „Raus!“ aus dem Keller nach oben befohlen. Eine Anzahl amerikanischer Soldaten stand mit schußbereiten Maschinenpistolen im Anschlag an der Haustür Spalier, und wir mußten auf der Straße antreten zum Abmarsch nach Ophoven. Wir atmeten wie von einem Alp befreit auf. Was kümmerte uns, daß wir nur notdürftig bekleidet waren, was scherte uns die starke Eskorte der Soldaten mit schußbereiten Maschinenpistolen! Wir waren frei! Frei von banger Kellerhaft, befreit von manch seelischer Not.

So waren wir denn auch alle, jung und alt, frohgelaunt. Ich muß gestehen: so lieblich wie an jenem Morgen hat mir nie Gottes Sonne geleuchtet, so würzig war mir nie die Luft, nie so schön die Natur. In Ophoven wurden wir zunächst ins Pfarrhaus gebracht, wo die Herren waren, mußten dann aber wegen der großen Zahl der Internierten (sechs von Ophoven waren schon da) in das Haus des Rendanten SCHLÖSSER umsiedeln. Hier besuchte uns ein Offizier, welcher uns mit den Worten begrüßte: „Schickt euch gut, dann habt ihr`s gut!“ Daß wir keine NAZIS waren, nahm er als selbstverständlich an, denn sonst wären wir doch nicht in der Heimat geblieben. Auch mußten wir aus unserer Mitte einen Bürgermeister wählen. Dieser wurde öfters zu den Herren gerufen und kam dann jedesmal mit Anordnungen zurück.

Wir durften das Haus nicht verlassen und nur den Hof betreten. Von drei Doppelposten wurden wir bewacht. Anderentags stand nur noch der Posten am Tor. Tagsüber kamen dann noch 24, welche sich auf Gut Cromland, in Rosenthal und Crafeld gehalten hatten. Sie brachten auch Mundvorrat aus Bunkern mit.

Am 3. März hielten wir in Ophoven das Begräbnis des auf Schloß ELSUM durch Artilleriebeschuß ums Leben gekommenen Franz HOFFMANN von Gut WYLACK und der Mechtilde WERES aus Ophoven in würdiger und christlicher Weise. An diesem Tage war in Ophoven und Steinkirchen kein Soldat mehr, nur in Effeld war der Ausgang des Dorfes auf den Wald zu noch besetzt. Am Nachmittag sind wir wieder nach Hause zurückgekehrt. Während unserer Abwesenheit hatten die Soldaten in den Häusern alles durchstöbert und kunterbunt durcheinandergeworfen. Die Truppen, welche das Gelände des unteren Rurtales von Hilfarth aus durchkämmten, gehörten zur 134. Division. Die im Wald stehende deutsche Artillerie hat, ehe sie abzog, „auf Befehl“ wohl als Abschieds-
Gruß noch 18 Schuß nach Effeld und Ophoven gesandt. Der 28. Februar des Jahres 1945 wird in der Geschichte des unteren Rurtales für immer bedeutungsvoll bleiben. Schwiegen doch an diesem Tage die Kanonen, und damit hörten die grausigen Vernichtungen auf.

Als wir einige Tage zu Hause waren, stellte sich Brotmangel ein. Die Soldaten, welche uns damit versorgt hatten, waren ja nicht mehr da, und so mußte es denn gewagt werden, unsere Nachbarn jenseites der Grenze in Anspruch zu nehmen, da unsere heimischen Mühlen nicht mehr intakt waren. Mit einem Säckchen Roggen wurde der Weg zur Gitstapper Mühle angetreten, und er endete in Vlodrop im Kittchen, und nur der Großzügigkeit des Vlodroper Bürgermeisters haben die drei Grenzgänger es zu danken, daß sie nicht in Roermond gelandet sind. Auch brachten sie das Mehl und ein achtpfündiges Brot mit heim. Als dann nach und nacht immer mehr Bewohner zurückkehrten, wurde von dem damaligen Ortsbürgermeister, Pfarrer ESSER, eine Arbeitsgemeinschaft eingerichtet mit dem Zweck, wenigstens für die Frühjahrsbestellung das Feld einigermaßen in Ordnung zu bringen. Jeden Montagmorgen arbeiteten die Männer und nachmittags die Frauen durch Zuwerfen der Gräber und Löcher. Die Panzergräben wurden im Herbst 1947 von Planierraupen eingeebnet. Auch sorgte Pfarrer ESSER dafür, daß von auswärts Lebensmittel herangebracht wurden, ebenfalls sorgte er für Hausbrand.

Von deutscher Seite wurden durch Sprengung, besonders im unteren Rurtal, viele Kirchen zerstört, so in Vlodrop, Herkenbosch, Karken, Kempen und Oberbruch, und wohl die Zerstörung der Wassenberger Kirche kann man auch auf dieses Konto setzen, denn laut Erklärung von Pater HÄHNER wäre ihm die Sprengung schon vorher angekündigt worden. Man kann diese Maßnahmen nur bösen „Vandalismus“ nennen, da etwa nur der Kirchturm als militärisches Objekt anzusprechen war. Aber es ging um die Kirchen selbst, was aus der Äußerung eines Sprengoffiziers zu entnehmen war, als er sagte: „Wozu braucht ihr Kirchen?“

In Effeld verunglückten durch Minen Willi LANDMESSER und Hans OPHET-
FELD tödlich, Heinrich CARON und Wilhelm SCHMITZ wurden schwer verletzt.

Im Mai-Juni 1945 setzte das große Waldsterben ein. Von Holland wurde der ganze Wald beschlagnahmt. Zunächst wurde das Betreten des Waldes durch aufgestellte Schilder mit der Aufschrift „Betreten des Waldes für Deutsche verboten!“ untersagt. Von Holland wurde dann der brauchbare Bestand haupt-sächlich als Grubenholz abgemacht und nach Holland transportiert. Als Merk-
würdigkeit muß angesehen werden, daß nach Abzug der Holländer ein großer Teil der noch jungen Schonungen in Flammen aufging. Im September 1947 erfolgte die Beschlagnahme der Pappeln längs der Rur
.

 
     
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